Blick in die Gösserhallen mit der Performance "L'habitude".

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Jakob Öhrmann und Janeth Rothe performen in "Häusliche Gewalt Wien" fünf Stunden lang bedrückende Szenen einer Beziehung.

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Wien – Performancetechnisch sind die Gösserhallen gerade ein ganz ungemütlicher Ort. Schauen wir uns das am Beispiel von "L'habitude" an, einer Aufführung von und mit Jean Michel Bruyère und LFKs. Die haben in der Halle 4 einen Parcours aus Videos, Sound und Plakaten aufgebaut. Deren übergeordnetes Thema ist Gewalt, Unterdrückung und die Befreiung daraus. Deshalb auch der kurze Selbstverteidigungskurs auf den grünen Turnmatten.

Eine Stunde kann/soll man sich da durch französische Texte lesen, die jemandes Mutter als Hure beleidigen, auffordern "Lutsch meinen Schwanz" oder die Anleitung zum Bau eines Molotowcocktails darstellen. "Menschen gewöhnen sich an alles, je weniger sie über ihre Unterdrückung nachdenken", macht ein Zitat von Assata Shakur nicht gerade Mut. Nach und nach werden immer mehr Sprüche auf Planen entrollt. Bis hin zu Kanye Wests jüngster Verbal-Irritation zur Sklaverei: "400 Jahre? Das klingt wie eine Wahl."

Auf Kuba regnet es derweil in einem Video dicke Tropfen zu einer Rede Che Guevaras. Ein "Museum der Revolten" ist in einer Ecke aufgebaut mit "Dingen aus der Vergangenheit" wie einem Absperrgitter und einer Gasmaske. Vor den Toren sitzt eine Vietkong-Kämpferin zwischen roten Fahnen. Eine Hardcore-Band macht richtig Krach. Man ist eingeladen, sich die Steinchen selber zusammenzusetzen. Aber irgendwie weiß man nicht, ob es sich lohnt.

Viel kann gewiss viel. Sobald die Band spielt, hört aber der Großteil des Publikums nur mehr ihr zu, während der Rest durch die offenen Tore raus an die frische Luft gegangen ist. Ein, zwei Tapfere versuchten am Ende einen Applaus anzuregen. Vergebens.

Starke Wirkung

Mit wenig Mitteln viel Wirkung schafft dagegen Markus Öhrns "Häusliche Gewalt Wien" zwei Hallen weiter.

85,8 Prozent der Opfer häuslicher Gewalt in Wien sind weiblich und 91,2 Prozent der Täter männlich. Im Alter von 19 bis 60 sind Männer am gefährlichsten. Meist ist es der Freund, Lebensgefährte oder Ehemann. Ottakring, Landstraße und Simmering sind die Bezirke mit den meisten Betretungsverboten je 10.000 Einwohner, nämlich rund 23. Im Wiener Durchschnitt sind es 17,6. In der Inneren Stadt liegt die Rate bei 19,5. Es geht also quer durch die sozialen Schichten. In 45 Prozent der Strafanzeigen handelt es sich um Körperverletzungen. Aber das ist nur Statistik an der Wand beim Eingang.

Öhrns Uraufführung gibt den Zahlen zwei übergroße Pappmachégesichter. Wer gegen halb zehn Uhr abends bei der Performance vorbeischaut, findet das Paar und die Wohnung, in der es lebt, schon einigermaßen zerstört vor. Blutspuren ziehen sich über die weißen Wände. Eine Stunde vorher waren diese noch nicht da.

"Häusliche Gewalt Wien" erreicht beim Zuschauer schon nach kurzer Zeit viel. Das liegt an den tollen Darstellern. Es liegt an den schmatzenden Geräuschen, mit denen er (Jakob Öhrmann) ihr (Janeth Rothe) nach Schlägen immer wieder Küsse auf den Kopf drückt. Es liegt daran, wie ihr Blick ihm folgt, wenn er ihr das Weinglas einfach so aus der Hand nimmt – weil er es kann, weil er der Herr im Haus ist. Es liegt an seiner körperlichen Nähe, gegen die sie sich nicht wehren kann. Es liegt am Schnaufen und Röcheln durch die aufgesetzten Masken und an deren geweiteten Augen (Makode Linde). Und nicht zuletzt liegt es auch an der schweren Klaviermusik (Arno Waschk live).

Aggression. Erschöpfung. Reue. Immer zur vollen Stunde ruft der Kuckuck aus seiner Uhr. Fünf Stunden dauert der Abend, die kleine Halle 5 füllt sich (bei freiem Eintritt) beständig und hält viele Besucher lange im Bann. Jede Situation kann eskalieren. Trautes Heim, Unglück zu zweit. Hier wird niemand ins asoziale Eck gestellt. Auch das macht dieses Stück so stark. (Michael Wurmitzer, 9.6.2018)