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Alter neuer Brennpunkt Evros: Syrische Flüchtlinge rasten nach der Überquerung des Grenzflusses auf griechischer Seite und warten auf die Polizei. Im April zählten die Behörden knapp 3000 ankommende Flüchtlinge. Seither gingen die Zahlen etwas zurück.

Reuters / Alkis Konstantinidis

Als die türkische Regierung dieser Tage die Aussetzung eines der Flüchtlingsabkommen mit den Europäern bekannt gibt, fühlen sich Krisenmanager in Athen in ihren Zweifeln bestätigt. "Sind wir in irgendeiner Weise besser vorbereitet als 2015?", fragt sich ein leitender Vertreter einer Hilfsorganisation, frustriert über die Langsamkeit der Bürokratie in Brüssel wie in Griechenland, aber auch über den fehlenden politischen Zusammenhalt in Europa in der Flüchtlingsfrage. "Was, wenn auch das Flüchtlingsabkommen zu den Inseln zusammenbricht?"

Noch hält dieser Handel, den die EU-Staaten mit Ankara schlossen und der die große Flüchtlingswelle von 2015 stoppte. Doch die türkische Führung hatte am vergangenen Donnerstag ein bilaterales Abkommen mit Griechenland über die Rücknahme von illegal eingereisten Migranten ausgesetzt.

Asyl für türkische Soldaten

Es ist als Strafmaßnahme gegen das Nachbarland gedacht, weil die griechische Justiz sich weigerte, acht türkische Soldaten auszuliefern, die nach dem vereitelten Putsch vom Sommer 2016 in einem Hubschrauber nach Nordgriechenland geflüchtet waren. Die letzten der acht Soldaten kamen diese Woche nach Ablauf der legalen Frist aus der Untersuchungshaft. Einem von ihnen gewährte das oberste Verwaltungsgericht in Athen bereits politisches Asyl. In der Türkei könnten die Soldaten kein faires Verfahren erwarten, so entschieden die griechischen Richter.

Zwei der acht türkischen Soldaten, die nach der Putschnacht vom 15. Juli 2016 mit einem Hubschrauber in Alexandroupoli landeten. Alles sind nun auf freien Fuß, einer hat bereits Asyl erhalten. Die Soldaten wollen angeblich nach Deutschland, um der griechischen Regierung keine weiteren Probleme zu machen.

Das 2001 geschlossene bilaterale Rücknahmeabkommen ist einer von drei Verträgen, die zur Eindämmung des Flüchtlingsstroms nach Griechenland und weiter nach West- und Nordeuropa Anwendung finden. Die EU-Kommission hat noch vor Ausbruch der Flüchtlingskrise von 2015 ein ähnliches allgemeines Rücknahmeabkommen mit der Türkei geschlossen. Entscheidend aber ist das dritte, unter politischen Druck geborene Flüchtlingsabkommen vom März 2016. Ankara will es weiter einhalten.

Die Türkei verpflichtete sich darin zur Kontrolle ihrer Seegrenze. Flüchtlinge, die dennoch von der türkischen Küste auf die nahe gelegenen griechischen Inseln übersetzen, können dort zwar Asyl beantragen. Gewährt wird es aber nur noch in außerordentlichen Notfällen. In der Praxis werden ankommende Flüchtlinge auf den Inseln für Monate und Jahre interniert. Die mit der Türkei vereinbarte schnelle Abschiebung zurück zur Küste scheiterte bisher. Denn die Asylverfahren in Griechenland dauern lange. Und abgelehnte Asylbewerber lassen sich zum Teil nicht mehr finden – sie sind untergetaucht oder bereits aus Griechenland weitergezogen in Richtung Europa.

Massenauszug auf Lesbos

Mehr als 16000 Flüchtlinge sind derzeit auf den Ägäisinseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos registriert. 1630 Menschen haben die griechischen Behörden und die europäische Grenzschutzpolizei Frontex seit 2016 zurück an die Küste gebracht. Vor allem auf Lesbos, wo 9200 Migranten festgehalten werden, ist die Lage angespannt. Vergangene Woche kam es zu einem Massenauszug aus dem Lager Moria. Rund 900 kurdische Insassen weigerten sich nach gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Flüchtlingen aus arabischen Ländern ins Lager zurückzukehren. Sie haben Unterschlupf in offenen, seit der Krise von 2015 kaum genutzten Lagern gefunden. Inakzeptabel für Spiros Galinos, den Bürgermeister der Insel, der im Dauerstreit mit der linksgeführten Regierung in Athen liegt.

Provisorium als Dauerzustand: Für neu ankommende Flüchtlinge auf Lesbos gibt es oft nur ein Zelt außerhalb des überfüllten Sammellagers Moria.

2500 Flüchtlinge will die Regierung nun auf dem Festland verteilen, um etwas Druck von den Inseln in der Ostägäis zu nehmen. Ein Gericht in Athen hatte im vergangenen April die Internierung von Asylsuchenden auf den Inseln für unrechtmäßig erklärt.

Evros-Route

Zeitweise sah es im Frühjahr auch so aus, als ob die Flüchtlinge aus der Türkei wieder den alten Weg über den Grenzfluss Evros an der türkisch-griechischen Landesgrenze nehmen. Bis 2010 galt die 130 Kilometer lange Grenze als das offene Eingangstor nach Europa. Die Überquerung des Evros ist gefährlich. Bei der türkischen Stadt Edirne aber verläuft der Fluss auf türkischem Gebiet; ein zwölf Kilometer langes Stück jenseits des Evros ist die einzige tatsächliche Landgrenze zwischen der Türkei und Griechenland. Dort errichteten die Griechen 2011 eine meterhohe Sperranlage. Die Flüchtlinge begannen auf die Ägäisinseln auszuweichen.

Knapp 3000 illegale Migranten griff die griechische Polizei aber im April dieses Jahres am Evros auf. Neben Syrern und Afghanen kommt ein steter Strom türkischer Staatsbürger, die vor der Regierung des autoritären Staatspräsidenten Tayyip Erdogan flüchten. Mittlerweile ist die Zahl gesunken. 30 bis 50 Neuankünfte am Tag gebe es in den Lagern um Thessaloniki, in Epirus und der Region Ostmakedonien, berichtet ein Vertreter des Arbeiter-Samariterbunds.

Griechisches Grenzgebiet Evros im vergangenen Mai: Eine Syrerin, die über den Fluss flüchtete, nimmt ihr Baby entgegen. Die Flüchtlinge werden in einem alten Transportwagen der griechischen Polizei zu einem Aufnahmelager gebracht.

Die Hilfsorganisation mit Sitz in Köln übernahm im Februar vom Norwegian Refugee Council Managementaufgaben in den Lagern. Der NRC beendet diesen Monat nach mehr als zwei Jahren seinen Einsatz in Griechenland. Andere internationale Hilfsorganisationen wie WAHA haben sich bereits zurückgezogen. Zum einen gibt es keine akute Notfallsituation mehr, zum anderen hat die griechische Regierung im Sommer 2017 offiziell die und erhält deshalb auch die Hilfsgelder der EU-Kommission.

Der stete, wenn auch niedrige Zustrom von Flüchtlingen über die türkisch-griechische Grenze schafft gleichwohl neue Belastungen für das Krisenmanagement der griechischen Behörden. So zählt das Lager bei der Kleinstadt Filippiada in Epirus zum Beispiel derzeit 700 alte Bewohner und doppelt so viele neue – im Jargon der NGOs – "spontane Ankünfte" von Flüchtlingen.

Kritik vom Europarat

Wer es vom Evros nicht auf eigene Faust in die kleinen Lager in Nordgriechenland schafft, landet in Gefängnissen und Sammellagern der Polizei. Die Bedingungen dort sind so schlecht wie 2010, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle am Evros. Eine Delegation des Anti-Folter-Komitees des Europarats kam mit fürchterlichen Eindrücken von einem Besuch in der Evros-Region zurück. Verdreckte Polizeiwachen, in denen Migranten über Wochen gfestgehalten würden, seien "deutlich Sub-standard", heißt es in dem Anfang Juni veröffentlichten Bericht. In einem Lager, in der Stadt Fylakio, fanden die Europaratsdelegierten eine Zelle mit 95 Insassen – Frauen, Männer, Kinder. Jeder hatte etwa einen Quadratmeter Raum für sich. Freigang an die frische Luft gab es nur zehn bis 20 Minuten am Tag. (Markus Bernath, 09.06.2018)