Bild nicht mehr verfügbar.

Aktivisten demonstrieren für einen Kohleausstieg.

Foto: Reuters/THILO SCHMUELGEN

Berlin – "Atomkraft? Nein Danke!" Diese Debatte ist in Deutschland längst ausdiskutiert. Der Großteil der Atomkraftwerke ist abgeschaltet, die verbliebenen sieben werden bis Ende 2022 vom Netz gehen. Jetzt hat sich Berlin ein noch ehrgeizigeres energiepolitisches Ziel gesetzt: Um die Emissionen in Zeiten des Klimawandels zu senken, soll in absehbarer Zeit auch kein Strom aus Kohle mehr fließen.

Am vorigen Mittwoch hat die deutsche Regierung eine Kommission für den Kohleausstieg eingesetzt. 31 Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften, Umweltverbänden und Wissenschaft sollen schon bis Ende dieses Jahres ein Enddatum für den Kohleausstieg festlegen. Das dürfte wohl frühestens 2030 sein. Umweltschützern kann es nicht schnell genug gehen, während Wirtschaft und Landespolitiker bremsen. Die Unternehmen fürchten um eine stabile Stromversorgung, die Ministerpräsidenten um Arbeitsplätze in Bergbau und Kraftwerken.

Kohle auf dem ersten Platz

Trotz der unzähligen Windräder, Solar- und Biogasanlagen, die im Zuge der "Energiewende" in Deutschland errichtet wurden, ist die Kohle bei der Elektrizitätsgewinnung immer noch die Quelle Nummer eins. 2017 stammten 22,5 Prozent des Stroms aus Braunkohle und 14,1 Prozent aus Steinkohle. Steinkohle wird zum größten Teil importiert, die allerletzten heimischen Zechen machen Ende dieses Jahres dicht. Bei Braunkohle ist Deutschland dagegen Selbstversorger.

Mit rund 170 Millionen Tonnen im Jahr ist Deutschland nach Regierungsangaben das größte Braunkohleförderland der Welt. Anders als die Steinkohle braucht der Braunkohlebergbau keine staatlichen Subventionen. Die Vorräte beziffert das Wirtschaftsministerium auf fünf Milliarden Tonnen. Laut Bundesverband Braunkohle waren 2017 rund 20.900 Menschen in den Braunkohlerevieren beschäftigt. Direkt und indirekt dürften sogar 70 000 Arbeitsplätze von der Braunkohle abhängen, schätzt der Verband.

Beim Wort Kohleausstieg schrillen daher in den Bergbauregionen die Alarmglocken. Es gibt im Westen Deutschlands das große rheinische Braunkohlerevier (Nordrhein-Westfalen), im Osten das Mitteldeutsche Revier (Sachsen-Anhalt/Sachsen) und die Lausitz (Sachsen und Brandenburg). Im dünn besiedelten Osten wäre der Verlust von tausenden von Arbeitsplätzen besonders schmerzhaft. Finstere Erinnerungen werden wach an die Zeit der deutschen Wiedervereinigung und den Zusammenbruch der DDR-Industrie vor fast 30 Jahren.

Kein harter Strukturbruch

Ein harter Strukturbruch wie 1990 dürfe sich keinesfalls wiederholen, mahnte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und forderte für den Ausstieg eine Schonfrist von 20 Jahren. Sein Brandenburger Amtskollege Dietmar Woidke (SPD) beschwor die Gefahr einer ökonomischen und sozialen Krise herauf. Aber auch der Westen warnt: Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagte, es sei ausgeschlossen, bis 2030 den Energiebedarf der stromintensiven Industrie durch Wind und Sonne zu decken.

Bei keinem anderen Energieträger entstehen pro Kilowattstunde Strom so große Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) wie bei der Braunkohle. Deutschland sieht sich gerne als Vorreiter beim Klimaschutz, hat aber Mühe, dieser Rolle gerecht zu werden. Das nationale Ziel, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren, wird das Land verfehlen.

Druck von NGOs

Deshalb drängen Umweltschützer zur Eile. Der Chef des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Hubert Weiger, verlangte, die Kohlekraftwerke mit dem höchsten CO2-Ausstoß bis 2020 abzuschalten. Die Energieversorgung sei nicht in Gefahr, weil Deutschland immer noch große Mengen Strom exportiere. Grünen-Chefin Annalena Baerbock forderte, die dreckigsten Kraftwerke sofort stillzulegen, Greenpeace pocht auf einen vollständigen Kohleausstieg bis 2030.

Unkenrufe, dass mit dem Atomausstieg in Deutschland die Lichter ausgingen, haben sich nicht bewahrheitet. 2017 kamen nur noch gut 11 Prozent des Stroms aus AKWs, dagegen schon 16 Prozent aus Windrädern und 6 Prozent aus Solarzellen, Tendenz stark steigend. Schwierig wird es bei "Dunkelflauten", wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Nach Ansicht der Industrie werden konventionelle Kraftwerke als "Sicherheitsnetz für die Energiewende" daher weiter benötigt. Nach einem Ausstieg aus Kohle und Kernkraft bliebe dafür nur noch das Erdgas – mit Gasimporten vor allem aus Russland. (APA, 10.6.2018)