Maria Stern macht Platz für Peter Pilz: Jetzt wäre es an der Zeit, auch zu einer klareren Parteiform zu finden.

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Parteiendemokratie ist anstrengend. Renitente Mitglieder, Versammlungen, Anträge, Überzeugungsarbeit – und wenn man Pech hat, droht am Ende eine Urabstimmung, die man noch dazu verlieren kann. Um diese Mühen abzumildern, wird die Arbeit politischer Parteien in den meisten westlichen Demokratien mit öffentlichen Mitteln gefördert – auch in der Hoffnung auf engagierte Bürger, die ihre Ziele unterstützen und eine möglichst breite gesellschaftliche Verankerung sichern.

Diese gesellschaftliche Verankerung ist etwa dem deutschen Gesetzgeber so wichtig, dass er die "Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung" auch an die Zahl der Mitglieder einer Partei bindet. Als zusätzlichen Anreiz zu einer breiten Aufstellung sieht das deutsche Parteiengesetz ein Bonus-Malus-System vor, das die Eigenleistung einer Partei durch Mitgliedsbeiträge und Kleinspenden finanziell belohnt, während Großspenden nicht bezuschusst werden und bei zu großer Höhe zu Kürzungen führen können.

Der Geist barocker Nonchalance

Was in Deutschland mit höchster bürokratischer Finesse normiert wurde, regelte man in Österreich im Geist barocker Nonchalance. Weder ist die Zahl der Mitglieder einer Partei ein Kriterium ihrer Förderwürdigkeit – selbst eine aus vier Mitgliedern bestehende Mitgliederversammlung ist in Österreich zulässig, um millionenschwere Förderungen zu lukrieren -, noch wurde ein Anreizsystem erdacht, das solches Engagement belohnt. Der österreichische Gesetzgeber hat damit die Möglichkeit der Gründung einer Art Privatpartei geschaffen, die die Arbeit der gewählten Mandatare einer Partei vollständig von der begleitenden Kontrolle ihrer Mitglieder abkoppelt.

Genutzt wurde die Möglichkeit zweimal: vom Team Stronach, das eine ursprüngliche Sechs-Mitglieder-Partei nach Kritik öffnete, und von der Liste Pilz, die nach einem öffentlichen Rätselraten über ihre anfangs vier, nun offenbar je nach Zählung sieben bis neun Mitglieder ebenfalls den Weg der Öffnung beschreiten will.

Die Personen sind das Programm

Wir alle kennen die Nachteile und Auswüchse der überaus potenten österreichischen Mitgliederparteien – die ÖVP etwa hat (über ihre Bünde) mehr Mitglieder als CDU und CSU gemeinsam. Aber die Liste Pilz wollte keine alternative Vision politischer Strukturen, sondern sie wollte gar keine Strukturen. Sie wollte keine Partei anderen, neuen Typs sein, sondern eine Nichtpartei, in der die Personen das Programm sind und man sich darüberhinausgehende Festlegungen sparen kann. Die praktischen Schwächen dieser Konzeption haben sich zuletzt überdeutlich gezeigt. Denn Martha Bißmann, die nach der Logik der Liste Pilz das Programm Umwelt und Ökologie verkörpert, kann mit Recht darauf verweisen, dass ihre Inhalte nach dem Ende der Grünen eine parlamentarische Vertretung brauchen.

Seltsames Image

Und Parteigründer Peter Pilz dürfte nur wenige klar definierte Aufgaben übernommen haben – eine Nichtpartei mit einem Nichtprogramm braucht weder Sprecher noch allgemeine Strategie. Das für Führung und "Aufbau" der Partei zuletzt zugestandene Abgeordnetengehalt wird damit zu einer Art Apanage, die zum Image einer Kontroll- und Transparenzpartei nicht passen möchte.

Um Strukturreformen, wenn auch zunächst vielleicht nur im Kleinen, wäre die Liste Pilz freilich in keinem Fall herumgekommen – schon Peter Kolba hatte, Wochen vor seinem völligen Abschied von der Politik, die Mitgliedschaft in der Partei aus Ärger über ihre nicht entwickelte Struktur zurückgelegt. In die mit Martha Bißmann erarbeitete Punktation wurden schließlich ungeschickt Ansätze zu einer Parteireform hineinverpackt. Paragraf 17 der Satzung, dessen Streichung die Punktation forderte, entmachtet Mitgliederversammlung und selbst den Vorstand und macht die Liste Pilz zu einem Sieben-Personen-Direktorium, das ausschließlich aus den gewählten Abgeordneten zum Nationalrat besteht.

Vorstellung, wohin die Reise geht

Bleibt man bei dieser Öffnung der Strukturen, dann wird man allerdings auch um einen Programmprozess nicht herumkommen: Mitglieder, die über Mitgliederversammlungen Anträge stellen können, müssen eine ungefähre Vorstellung davon haben, wohin die Reise geht, und auch für Mandatare bieten programmatische Leitlinien eine zusätzliche inhaltliche Orientierung, die gerade in Krisenzeiten zu einer wichtigen Identifikationshilfe werden kann. Der Zustand der Partei in den letzten Wochen hätte im Extremfall zu einer Entwicklung führen können, in der der Klub der Liste Pilz zerfällt und sich in ein Gemisch aus letzten Getreuen, wilden Abgeordneten und Politkarrieristen, die sich von der Konkurrenz abwerben lassen, auflöst.

Das wäre schade, denn die Liste Pilz wird gebraucht – als undogmatischere Alternative zum Traditionskoloss SPÖ, als Gegengewicht zu einer Rechtsregierung und als zusätzliches und innovatives Angebot der Opposition.

Von der Nichtpartei zur Partei alternativen Zuschnitts

Niemand zwingt die Liste Pilz, die überkommenen politischen Strukturen eins zu eins zu übernehmen. Doch sie wird sich der Aufgabe stellen müssen, diese Strukturen neu zu interpretieren, um so schließlich aus der Nichtpartei der Gründungszeit zu einer Partei alternativen Zuschnitts zu werden. Je schneller dieser Neustart nun geschieht, umso besser dürfte die Prognose für die nächsten Jahre sein. Damit alles bleibt, wie es ist, muss sich alles ändern. (Christoph Landerer, 10.6.2018)