Szenen besungener Einsamkeit mit Janos Szemenyei als Flüchtling.

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Wien – Schuberts Liederkosmos szenisch zu ummanteln ist bei den Wiener Festwochen längst liebe Tradition: Die schöne Müllerin wurde 2003 Regisseur Christoph Marthaler überantwortet. Und die Winterreise, das Monument der Einsamkeit, war bereits in der kurzen Ära von Markus Hinterhäser Objekt außermusikalischer Deutung. Der Liederzyklus erblühte als bilderpraller Assoziationsgarten; Künstler William Kentridge umrahmte Bariton Matthias Goerne während der Minidramen mit Animationsfilmen.

Das düstere Seelenporträt (mit Intendant Hinterhäuser am Klavier) litt allerdings an einer gewissen Infoüberfrachtung. Bei aller Originalität des Experiments blieb denn auch die Erkenntnis, dass die Winterreise von selbstgenügsamer Unmittelbarkeit und autonomer Substanz ist. Jede ergänzende Neudeutung stößt da an Grenzen.

Bei den aktuellen Festwochen versucht der ungarische Theater- und Filmregisseur Kornel Mundruczo, den Zyklus allerdings sogar dreischichtig zu inszenieren: Auf dem Fundament einer orchestralen Bearbeitung der Winterreise durch Hans Zender platziert er hinter dem (von Mate Hamori geleiteten) Danubia Orchestra Obuda eine opernhafte Figur.

Alltag der Flüchtlinge

Zwischen Schmuddelsofa, Einkaufswagerl und Lokus absolviert Janos Szemenyei als Flüchtling Etüden der Einsamkeit, die nur einmal gestört werden. In einer plakativen Sequenz nimmt ihm ein Beamter Fingerabdrücke ab. Hinter dem Sofaplatz des mikroverstärkten, inbrünstig besungenen Elends geht es – auf Ebene drei – filmisch zurück in das Jahr 2013: Mundruczo fing den Alltag von Flüchtlingen im Lager Bicske ein. Später ergänzt er die Sequenzen durch Dokumente aus dem Jahr 2015, die nach Österreich ziehende Gruppen zeigen.

Jede Ebene für sich birgt Markantes: Das Orchester umgarnt den (fernab der Kriterien klassischen Liedgesangs) immerhin mit kernigem Timbre agierenden Janos Szemenyei respektabel. Und die filmischen Momente wirken für sich mitunter wie individualisierende Porträts. Die stummen Großaufnahmen bräuchten allerdings weder Instrumentalmusik noch Gesang. Unterlegt mit schönem Kunstklang, kommen sie denn auch in die Nähe einer Ästhetisierung von Leid und Melancholie. Zu Auf einem Totenacker simulieren Filmflüchtlinge etwa mit einer Hand suizidale Kopfschüsse und zielen mit der anderen aufs Publikum. Eher platt.

Man beschwert sich

Also: Statt – einander beflügelnd – auf eine gesamtkunstwerkliche Ebene zu entschweben, nivellieren und beschweren die Elemente einander: Schubert wird überfordert durch die Flüchtlingsthematik, die ihrerseits liedhaft verniedlicht erscheint. Das Szenisch-Gesangliche wiederum gerät zum Ornament, das den tristen Alltag flach repräsentiert.

Wenn sich zum Leiermann die Flüchtlingskolonnen in Bewegung setzen und aus der Gruppe der erschöpfte Einzelne hervorsticht, ist der Mann auf dem Sofa somit längst vergessen, begraben unter der Last dieser anklagenden Bilder. (Ljubisa Tosic, 10.6.2018)