Global und brisant: Statt die Sehnsucht nach Heldenfiguren zu bedienen, setzt die Berlin Biennale auf die Auseinandersetzung mit aktuellen Problemen und Ängsten.

Foto: Basir Mahmood

Vor zwanzig Jahren war Berlin arm, aber nur in Teilbereichen sexy. Als ein Team rund um den heute in New York tätigen Kurator Klaus Biesenbach 1998 die erste Berlin Biennale ausrichtete, erwies sich schnell, dass die Kunst einer der wichtigsten Faktoren für die Imageproduktion der nun wiedervereinigten Stadt werden würde. Dieser Trend hat sich seither eher noch verstärkt. An diesem Wochenende wurde die zehnte Berlin Biennale eröffnet, und von Routine keine Spur. Im Gegenteil. Es zeigt sich einmal mehr, dass die alle zwei Jahre stattfindende Ausstellung ein herausragendes Messinstrument für die Situation der Stadt geworden ist – und für die internationale Kunstszene, die sich in den Jahren seit der Wende massiv in Berlin etabliert hat.

Dieses Mal kommt die Kuratorin aus Südafrika. Gabi Ngcobo hat vor vier Jahren in Berlin noch als Künstlerin teilgenommen. Sie war mit dem Center for Historical Reenactments aus Johannesburg zu Gast, einer Gruppe, die sich mit den offiziellen Geschichtserzählungen vor allem zur späten Befreiung aus den Fängen der Apartheid beschäftigte. Eingeladen wurde Gabi Ngcobo damals von Juan Gaitán, einem Kanadier aus Kolumbien, der zum Zeitpunkt seiner Berufung vor allem in Mexiko arbeitete.

Überbietung des Profitstrebens

Dass die Kunst heute beinahe noch globaler auftritt als die Warenwirtschaft oder die Informationsgesellschaft, hat mit ihrem Doppelcharakter zu tun: Sie ist ja selbst eine Warenwirtschaft und zugleich auch deren Unterwanderung. Sie steht für raffinierte Überbietungen des Profitstrebens. Und zugleich steht sie auch für eine luzide Kritik daran. Manchmal steht sie allerdings selbst für triviale Hinweise auf das Offensichtliche. Gabi Ngcobo und ihr Team sahen sich nicht nur der Herausforderung gegenüber, aus der weltweiten Kunstproduktion eine überzeugende Auswahl zu treffen. Ihre Biennale wird unweigerlich auch als Beitrag zur aktuellen Globalisierungsdebatte in Berlin gesehen werden. 2019 soll ja direkt neben der weltbekannten Museumsinsel das Humboldt-Forum eröffnet werden.

Im wiederaufgebauten Stadtschloss mit Hohenzollernpatina sollen dann ausgerechnet die "außereuropäischen Sammlungen" gezeigt werden, die bisher im Südwesten der Stadt am Rande der Wahrnehmung vor sich hin schlummerten. Das alles darf natürlich auf keinen Fall irgendwie kolonial wirken. Und dafür übt Berlin jetzt schon eine geraume Weile – zuletzt mit der sehr sehenswerten Großausstellung Hello World der Neuen Nationalgalerie, die noch den ganzen Sommer hindurch im Hamburger Bahnhof zu sehen ist. Über die zehnte Berlin Biennale kann man zuerst einmal sagen, dass sie keinerlei Ambitionen zeigt, sich irgendwie als Diskursstopper zu betätigen. An den fünf Veranstaltungsorten gibt es eine ganz normale (vergleichsweise schlanke) Großausstellung. Explizit "afrikanische" Themen und Formen sind da zahlreich vertreten. Im Detail verhält es sich damit allerdings eher vielschichtig.

Aufnahmen eines Dramas

Dies wird zum Beispiel an einer Arbeit von Luke Willis Thompson erkennbar, für die eigens ein schwerer 35-mm-Projektor in die Kunst-Werke geschafft wurde: Der (weiße) Neuseeländer zeigt in autoportrait kein Selbstporträt, sondern eine Aufnahme von Diamond Reynolds, eine Afroamerikanerin, die bekannt wurde, weil sie mitfilmte, als die Polizei in Minnesota ihren Freund erschoss. Luke Willis Thompsons Film bedenkt Reynolds mit der technischen Aura des großen Kinos. Aber ist seine Intervention nicht auch ein typischer Fall, bei dem sich die Kunst eines tatsächlichen Dramas bemächtigt, um daraus Pathos zu gewinnen? Ähnlich verhält es sich mit Mario Pfeifers Zweikanalvideo Noch einmal, das in der Akademie der Künste raumgreifend gezeigt wird: Ein rassistischer Vorfall im ostdeutschen Arnsdorf im Jahr 2016 wird hier mit viel technischem Aplomb humanistisch überformt.

Mit ihren großen Gesten wirkt diese Biennale eher nicht überzeugend, auch wenn für den Hauptraum der Kunst-Werke, also für die Flagshipstelle, mit der Multimediainstallation Untitled (of occult instability) von Dineo Seshee Bopape aus Südafrika eine beeindruckende Lösung gefunden wurde – eine monumentale Ruinenlandschaft, durch die von einem kleinen Bildschirm aus ein fernes Lied der verstorbenen, großen US-Jazzsängerin Nina Simone weht.

Untergegangene Industrie

Es sind aber insgesamt eher die unauffälligeren, diskreten Arbeiten, mit denen diese Biennale ein wenig Druck aus dem Betrieb nimmt und die Konzentration auf konkrete Kontexte lenkt. Das Video all voices are mine von Basir Mahmood aus Pakistan erinnert an die untergegangene Filmindustrie von Lahore und schafft dafür gleich am Eingang einen angemessen abgegrenzten, fast schon privaten Raum. Gleich daneben zeigen Zeichnungen von Firelei Báez, wie man mit einem Blatt Papier von Berlin nach Haiti springen kann.

An diesen beiden Orten gibt es Gebäude mit dem Namen Sans-Souci, die von einem Herrschaftssystem träumen, in dem die opulente Sorglosigkeit der Regierenden vielleicht irgendwann dann doch auch das Volk erreichen würde. Eben dies leistet heute unter anderem der Städtetourismus mit seiner Bewunderung für alte Machtrelikte (vom Pariser Louvre bis zum Berliner Fernsehturm). Die Kunst durchkreuzt die Logik der Sehenswürdigkeiten; sie fördert aber gleichzeitig auch den Städtetourismus.

Genau diesem Dilemma begegnet die zehnte Berlin Biennale (sie trägt das Motto "We don't need another hero"), indem sie die Spree (die ja bekanntlich in Athen entspringt) in einen schwarzen Atlantik münden lässt. (Bert Rebhandl, 10.6.2018)