Wünscht sich mehr harte Kante gegenüber der EU: Außenminister Boris Johnson.

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Knapp drei Wochen vor dem nächsten EU-Gipfel und wenige Tage vor entscheidenden Brexit-Abstimmungen im Unterhaus verschärft die britische Regierung gegenüber Brüssel den Ton. Am Freitagnachmittag reagierte Premierministerin Theresa May mit einer schroffen Stellungnahme auf eine Pressekonferenz des EU-Chefunterhändlers Michel Barnier. Zuvor allerdings hatte Außenminister Boris Johnson seine Chefin für deren lahme Verhandlungstaktik kritisiert und May mit US-Präsident Donald Trump verglichen: "Der würde harter rangehen."

Johnsons Worte sorgten am Freitag in London für eine Sensation. Der Brexit-Vormann hatte am Mittwochabend auf einer Zusammenkunft konservativer EU-Feinde gesprochen, angeblich im Glauben, seine Äußerungen würden vertraulich behandelt. Stattdessen landete ein Mitschnitt bei der Website Buzzfeed. Der Außenminister warnte seine Gesinnungsfreunde vor einem Brexit, der nicht ihren Wünschen entsprechen werde. Stattdessen laufe Großbritannien Gefahr, ohne Sitz und Stimme "in einer Umlaufbahn um die EU" zu kreisen, als Mitglied in einer Zollunion und weiten Teilen des Binnenmarktes.

Mays Kompromissformel

Tatsächlich sprach in den vergangenen Wochen manches dafür, dass die Premierministerin diesem sogenannten "weichen" Brexit den Weg bereitet, während sie in öffentlichen Äußerungen weiter am "harten" Brexit samt Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion festhält. So sieht eine jetzt an Brüssel überstellte Kompromissformel vor, die Insel werde über die EU-Mitgliedschaft (bis Ende März 2019) und die geplante Übergangsphase (bis Ende 2020) hinaus an gemeinsamen Zöllen und Abgaben festhalten.

Weil Brexit-Minister David Davis dagegen protestierte, dass diese Übergangsregelung zeitlich unbegrenzt war, ließ May in letzter Minute einen weiteren Satz einfügen: Demzufolge "erwartet" ihr Land eine Neuregelung bis spätestens Ende 2021, also rechtzeitig vor der geplanten nächsten Unterhauswahl im Jahr danach. Eine Garantie aber gebe es nicht, ließ die Regierungschefin gegenüber britischen Medien auf dem Flug zum G7-Gipfel durchblicken.

Schwierige Grenzfrage

Eine "Schummelei" sieht Tim Durrant vom Institut für Regierungsstudien IfG in dem Regierungspapier: Erneut hätten May und ihre Minister einen klaren Lösungsvorschlag für die zukünftige Grenze zwischen dem britischen Nordirland und der Republik Irland vermieden. Dementsprechend lauwarm äußerte sich Chefunterhändler Barnier, was eine bemerkenswert scharfe Stellungnahme aus der Downing Street zur Folge hatte: "Niemals" werde May eine Zollgrenze zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreiches zulassen.

Die 500 Kilometer lange Landgrenze dürfte auch eine wichtige Rolle spielen, wenn kommenden Dienstag das Unterhaus erneut über das EU-Austrittsgesetz der Regierung berät. Dabei geht es um eine Reihe von Änderungen, die das Oberhaus in den Gesetzestext eingefügt hatte, und die allesamt einem weichen Brexit den Weg ebnen sollen. Sollte die entscheidende Kammer dem Votum des Oberhauses folgen, würde dies die May-Regierung schlecht aussehen lassen. Allerdings wäre für eine gemeinsame Abstimmungsstrategie der Oppositionsparteien auch rund ein Dutzend konservativer EU-Freunde nötig. Danach sah es am Freitag nicht aus.

Neuerliches Referendum

Unterdessen rüsten sich eingefleischte Brexit-Gegner, finanziert vom Milliarden-schweren Finanzspekulanten George Soros, zum letzten Gefecht. Die Organisation "Best for Britain" (Das Beste für Großbritannien) redete am Freitag einem zweiten Referendum das Wort, da sich die Mehrheitsverhältnisse geändert hätten. Dabei dürfte Wunschdenken im Spiel sein: Den Umfragen zufolge wollen die Briten mehrheitlich am Brexit festhalten. (Sebastian Borger aus London, 10.6.2018)