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Sechs Kandidaten und ein ungleiches Feld: Amtsinhaber Tayyip Erdoğan geht als Favorit in die Präsidentenwahl am 24. Juni. Auf dem Stimmzettel ist er als Dritter gereiht. Bei der gleichzeitigen Parlamentswahl könnten laut Umfragen die Oppositionsparteien die Mehrheit erringen.

Reuters / Huseyin Aldemir

Der türkische Karrierediplomat Ünal Çeviköz tritt für die Republikanische Volkspartei (CHP) im zweiten Wahlkreis in Istanbul an. Er glaubt an einen Sieg der Opposition bei der Parlamentswahl. Bei der zweiten Runde der Präsidentenwahl am 8. Juli werde es dann schwierig für Erdoğan, sagt er.

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Einen Anschlag auf seinen Konvoi in Bagdad 2006 überlebte er leicht verletzt. In Bregenz war er zu Beginn seiner Karriere einmal ein Konsul. Und an den Versuchen, die Beziehungen mit Armenien zu normalisieren, war der langjährige türkische Botschafter Ahmet Ünal Çeviköz auch immer wieder beteiligt. Nun tritt der 65-jährige Karrierediplomat für die sozialdemokratisch-kemalistisce CHP in Istanbul bei der Parlamentswahl an. Tayyip Erdoğans Außenpolitik kritisiert er, bei den Wählern spürt er den Wunsch nach einem politischen Wechsel – der Rückkehr zu Demokratie und Rechtsstaat in der Türkei.

STANDARD: Die türkische Regierung scheint mit den USA eine Einigung über die nordsyrische Stadt Manbij und den Abzug der dortigen Einheiten der kurdischen YPG erreicht zu haben. Dies war einer der großen Streitpunkte in den vergangenen Monaten. Dennoch sind die US-türkischen Beziehungen auf einem historischen Tiefstand. Wer trägt die Schuld dafür – Tayyip Erdoğan oder Donald Trump?

Çeviköz: Die türkisch-amerikanischen Beziehungen begannen sich im Jahr 2003 zu verschlechtern. Das türkische Parlament erlaubte damals nicht den USA, mit ihren Soldaten über türkisches Gebiet in den Krieg gegen den Irak zu ziehen. Die Folge war ein Vertrauensverlust der USA in die Türkei als ein verlässlicher Partner. 2003 ist deshalb die eigentliche Zäsur. Die folgenden US-Regierungen versuchten, das vertrauensvolle Verhältnis der Vergangenheit wiederherzustellen. Aber die Beziehungen zur Türkei verschlechterten sich erneut im Treibsand des syrischen Kriegs. Die amerikanische Seite zog es vor, im Kampf gegen den Terror des IS mit der PYD/YPG zusammenzuarbeiten, weil sie die Freie Syrische Armee nicht als schlagkräftigen Partner ansah. Die Türkei jedoch unterstützte die FSA. Dies wurde der wichtigste Dissens zwischen beiden Ländern.

STANDARD: Wie ist das schlechte Verhältnis zwischen den USA und der Türkei dann aber zu verstehen – als ein Ergebnis der Politik der regierenden konservativ-islamischen AKP oder eher des allgemeinen nationalen Interesses der Türkei?

Çeviköz: Ich halte die Verschlechterung der Beziehungen zu den USA, aber auch zu den anderen Verbündeten im Westen für eine Folge der Außenpolitik, die die AKP-Regierung verfolgt. Was wir über die Jahre gesehen haben, war eine schrittweise Verschlechterung des Verhältnisses mit den Partnern der Türkei im Westen.

STANDARD: Wie kommt die Türkei da wieder heraus?

Çeviköz: Die Türkei muss wiederherstellen, was sie verloren hat: Vertrauen und Verlässlichkeit. Die Türkei muss das Bild eines unzuverlässigen, unberechenbaren Partners korrigieren und zeigen, dass es für die Atlantische Allianz keine Belastung, sondern ein Zugewinn ist. In ihrer Außenpolitik hat die Türkei auch ihre Unparteilichkeit verloren. Sie vermittelt nun den Eindruck, dass sie näher zu Moskau rückt.

STANDARD: Der EU-Beitrittsprozess der Türkei scheint tot, was auch immer in Ankara oder offiziell in Brüssel von der EU-Kommission verlautbart wird. Würde sich dies ändern, wäre Erdoğan nicht mehr da? Oder sehen Sie ohnehin zu viel Voreingenommenheit gegenüber der Türkei in Europa?

Çeviköz: Wäre Erdoğan nicht mehr an der Macht, wäre die Lage gänzlich anders. Die Türkei müsste dann das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit wiederherstellen. Sie hätte zu zeigen, dass sie sich nicht von den Verpflichtungen der Kopenhagen-Kriterien entfernt. Sie müsste die Gewaltenteilung wiederherstellen und die Justiz dem Zugriff der Politik entziehen. Unter solchen Umständen wird die Türkei dann ihren Partnern deutlich machen, dass alles wieder auf dem richtigen Weg ist – zu den Standards der Demokratie und zu den Grundrechten und Freiheiten. Wenn wir das Vertrauen der Europäer zurückgewinnen können, dann, so glaube ich, kann auch der Beitrittsprozess wieder belebt werden.

STANDARD: Was halten Sie vom Beschluss der österreichischen Regierung, Moscheen zu schließen und Imame auszuweisen?

Çeviköz: Österreich ist ein demokratisches Land und ein Rechtsstaat. Eine Schließung von sieben Moscheen ist daher unmöglich zu begreifen. Die schränkt die Religionsfreiheit und grundlegende Menschenrechte ein. Auch die Ausweisung von Imamen ist inakzeptabel. Folgen Imame nicht bestimmten Vorgaben und Regeln in Österreich, sollte dies ihrem Herkunftsland zur Kenntnis gebracht und bilateral gelöst werden. Die Türkei sollte andererseits sehr gewissenhaft beim Auswahlverfahren religiöser Vertreter im Ausland hinsichtlich Qualifikation und Erfahrung sein.

STANDARD: Der Beginn eines militärischen Angriffs der türkischen Armee auf die PKK in den Kandil-Bergen im Nordirak stünde kurz bevor, so hat Erdoğan nun erklärt. Warum muss das genau jetzt sein?

Çeviköz: Dies ist nur ein weiteres Beispiel für die Ausnutzung der Außenpolitik durch die AKP-Regierung zu innenpolitischen Zwecken. Wenn die angenommene Bedrohung von den Kandil-Bergen, wo die PKK seit vielen Jahren schon ihre Kommandozentrale hat, so groß ist, dann ist ein laufender Wahlkampf wahrscheinlich nicht der richtige Zeitpunkt, um dieser Bedrohung zu begegnen. Wenn es notwendig wäre, hätte man es früher tun sollen. Einen Angriff jetzt während der Wahlen auf die Agenda zu bringen, wirft einige Fragezeichen auf. Die öffentliche Meinung in der Türkei sieht aus diesem Grund auch keinen Grund für eine solche militärische Operation.

STANDARD: Halten Sie Erdoğans Ankündigung gleichwohl für ernst gemeint?

Çeviköz: Nun, das Hauptquartier der PKK ist schon seit Jahren in den Kandil-Bergen, aber die türkische Armee war noch nie so tief in irakischen Gebiet wie jetzt. Die Türkei muss allerdings die Souveränität des Irak respektieren und sich mit der gewählten Regierung in Bagdad absprechen. Wenn der Irak nun sagt, er kann das Problem mit der PKK lösen, sieht die Sache für die Türkei anders aus. Ich kann mir nicht vorstellen, die Regierung in Bagdad würde jemals erklären, sie sei nicht in der Lage, dieses Problem zu lösen.

STANDARD: Zu den Wahlen in der Türkei selbst: Was würde denn passieren, wenn die Opposition bei den Wahlen für das Parlament am 24. Juni die Mehrheit gewinnt?

Çeviköz: Das wird der Beginn eines ernsthaften Wandels in der türkischen Politik. Es wird eine sehr klare Bestätigung für die Demokratisierung des Landes sein. Dass die Opposition die Mehrheit im Parlament gewinnt, scheint den Umfragen zufolge offensichtlich. Die AKP ist jedoch nicht bereit zu einer Kohabitation (Präsident und Parlamentsmehrheit gehören jeweils unterschiedlichen politischen Lagern an, Anm.). Aus diesem Grund wird der Sieg der Opposition bei den Parlamentswahlen auch eine sehr starke Basis für ihre Chancen in der zweiten Runde der Präsidentenwahlen sein.

STANDARD: Der nächste Präsident – im Fall, dass Erdoğan wiedergewählt wird – kann weitgehend regieren, wie er will, mit oder ohne Parlament.

Çeviköz: Es ist richtig, das Parlament ist in dem neuen Verfassungssystem geschwächt. Trotzdem hat es noch einige Befugnisse. Für Präsident Erdoğan wird das nicht leicht sein.

STANDARD: Sie sind ein Karrierediplomat, und dies ist Ihr erster richtiger Wahlkampf. Wie läuft es denn?

Çeviköz: Es läuft sehr gut bisher. Ich bin Kandidat in Istanbul und muss zwölf Stadtteile abdecken. Ich gehe auf alle Wählergruppen zu und ganz sicher auf den Mann auf der Straße. Die Leute sind sehr lebhaft, sehr aktiv. Ich fühle, dass sie bereit sind zu sagen "Genug ist genug!" nach 16 Jahren von Erdoğans Herrschaft. (Markus Bernath, 11.6.2018)