Silicon Valley-Atmosphäre in Zentrum von Pjöngjang. Die NGO Choson Exchange bringt Nordkoreanern die Grundlagen des Unternehmertums bei

Foto: Choson Exchange

Seoul – Ein karger Konferenzraum mit Projektor und Leinwand, der Lektor am Pult referiert über effizientes Netzwerken und die wichtigsten Startup-Skills, danach eine Frage-und-Antwort-Runde: im Silicon Valley eine alltägliche Szene – nicht jedoch im "Großen Studienpalast des Volkes" inmitten von Pjöngjang. 130 Nordkoreaner haben sich Anfang Mai für den dreitägigen Workshop einer singapurischen NGO angemeldet. Die älteren Parteikader – in Mao-Anzügen mit Kim-Stecknadeln auf der linken Brusttasche – schauen skeptisch drein. Die Endzwanziger in den ersten Reihen, gehüllt in taillierte Bürohemden, schreiben hingegen eifrig mit.

Choson Exchange unterstützt seit elf Jahren, was für viele wie ein Widerspruch klingt: freies Unternehmertum in einer der abgeschlossensten Volkswirtschaften zu bringen. Rund 100 Nordkoreaner haben sie bereits für Workshops nach Singapur, Vietnam und Malaysia geholt, mehr als 1000 Interessierte in Pjöngjang unterrichtet. Für jeden Workshop laden sie Praxis-Experten als Lektoren ein, etwa für Startup-Bootcamps oder Seminare für weibliche Firmengründer.

Erste Erfolgsgeschichten

Kleine Erfolgsgeschichten können sie bereits vorweisen: Ein Jungunternehmer hat etwa einen Überspannungsschutz entwickelt, der sich innerhalb Nordkoreas gut verkauft. Ein anderer Firmengründer vermarktet die anscheinend heilende Wirkung des Meeresschlamms der koreanischen Ostküste.

Manche ehemaligen Teilnehmer der Workshops von Choson Exchange sind heute Unternehmer
Foto: Choson Exchange

"Selbst viele Forscher ignorieren, dass es in der nordkoreanischen Mittelschicht und Elite ein zunehmendes Interesse an kaufmännischer Ausbildung gibt. Immer mehr Leute wollen wissen, wie man sein eigenes Geschäft betreibt", sagt Andray Abrahamian, der Choson Exchange seit den Anfängen als Geschäftsführer begleitet. Sein Interesse an Nordkorea war zunächst rein akademisch. In seiner Doktorarbeit untersuchte er das Nordkorea-Image in westlichen Medien: "Weil ich darum wusste, wie wenig sogenannte Experten wirklich vom Land verstehen, wollte ich es schlicht besser machen". In Fachjournalen über Nordkorea zu publizieren reichte dem 41-Jährigen bald nicht mehr: Er wollte die Dinge verändern.

Selbst um Überleben kämpfen

Ausgerechnet aus der größten Tragödie in der Geschichte Nordkoreas entsprangen dessen marktwirtschaftlichen Anfänge: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der Neunziger Jahre brach mit den ausbleibenden Öllieferungen auch die staatliche Versorgung zusammen. Vor der ausbrechenden Hungersnot stellte ein hyperstalinistischer Staat die Ernährung der Bürger sicher. In den Neunziger Jahren jedoch wurden die Leute gezwungen, selber um ihr Überleben zu sorgen. Handeln auf den Schwarzmärkten des Landes wurde zu einer Frage über Leben und Tod. Der Staat konnte schließlich weder für Löhne noch Mahlzeiten sorgen.

Aus jener Zeit stieg eine neue Händlerkaste hervor, auch "donju" genannt, koreanisch für "Fürsten des Geldes". "Viele von ihnen sind Frauen und Kinder von politischen Gefangenen. Im alten System wären sie diskriminiert worden. In der neuen Situation hatten sie jedoch weniger Hemmungen, sich den Regeln zu widersetzen", sagt der russische Nordkorea-Experte Andrei Lankov, der als junger Sprachstudent Ende der 80er Jahre für ein Jahr an der Kim Il Sung Universität lernte: "Die ersten Donju gingen zum Handeln auf den Markt, schmuggelten Waren aus China über die Grenze oder eröffneten kleine Werkstätten. Die Hungersnot war ein gesellschaftlicher Gleichmacher".

Versprochener Wohlstand

Als bisher erster Machthaber des Landes hat Kim Jong Un seine Legitimität direkt mit dem materiellen Wohlergehen des Landes verknüpft. Wiederholt versprach der 34-Jährige, dass es mit der Wirtschaft nun bergauf ginge. Schwarzmärkte werden weitgehend geduldet, Bauern dürfen Teile ihrer Ernte behalten, Manager von kleinen Staatsbetrieben ihre Mitarbeiter frei aussuchen und nach entlohnen. All das sorgte für bescheidenes Wirtschaftswachstum. Dieses wird jedoch von der Sanktionspolitik gefährdet.

Trotz der wirtschaftlichen Öffnung des Landes gibt es jedoch bislang keinerlei Anzeichen einer politischen Öffnung. "Damit sich das politische System verändert, muss zunächst die Wirtschaft in Ordnung gebracht werden", meint Abrahamian von Choson Exchange. Er hofft, dass sich das Land von innen verändern kann. Die Kluft unter den Generationen sei erstaunlich: Die Jugend Pjöngjangs unterscheide sich sowohl vom Erscheinungsbild als auch dem Denken nur mehr wenig von dem Rest der Welt. Sie verwenden Tabloid-PCs, spielen auf Apps und benutzen Bike-Sharing.

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Der Machthaber der abgeschlossensten Volkswirtschaft trifft in Singapur auf den Präsidenten der größten Volkswirtschaft der Welt
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Der singapurisch-chinesische Gründer Geoffrey sagte im US-Fernsehen am Montag über seinen jüngsten Aufenthalt in Pjöngjang: "Es war definitiv überraschend, wie populär Südkoreaner und Präsident Moon Jae In im Süden waren. Sollte das Gipfel in Singapur ähnlich erfolgreich werden, werden wir wohl einen ähnlichen Meinungswechsel über Trump in Nordkorea erleben". (Fabian Kretschmer aus Seoul, 12.6.2018)