Wien – Das Oberlandesgericht Wien hat den Weg für den Mordprozess gegen einen gebürtigen Afghanen freigemacht, der am 18. September 2017 in Wien-Favoriten seiner jüngeren Schwester mit einem Kampfmesser mindestens 25 Stichverletzungen zugefügt und sie vorsätzlich getötet haben soll. Das OLG habe den Einspruch von Verteidiger Nikolaus Rast gegen die Anklage zurückgewiesen, sagte OLG-Sprecher Leo Levnaic-Iwanski am Montag.

Rechtskräftige Anklageschrift

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Beschuldigte im Tatzeitraum zumindest 21 Jahre und drei Monate alt war. Sie stützt sich dabei auf die Feststellungen eines erfahrenen Gerichtsmediziners und eines Anthropologen, die in einem Gutachten zu dem Schluss kommen, dass der Bruder der Getöteten im Tatzeitpunkt nicht – wie von ihm behauptet – 18, sondern schon über 21 Jahre alt war. Damit käme für ihn das Erwachsenenstrafrecht zum Tragen, das für Mord zehn bis 20 Jahre oder lebenslange Haft vorsieht.

Der Verteidiger hatte die Einschätzung der Staatsanwaltschaft nicht akzeptiert. Aufgrund der Reisepassdaten des Mannes und dessen verzögerter Reife meint Rast, sein Mandant sei am 1. Jänner 1999 geboren. Der Angeklagte selbst hatte im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren an der Feststellung seines Alters nicht mitgewirkt. Er entzog sich einer computertomografischen Untersuchung.

Gericht muss auch Altersfrage klären

"Der Einspruch wurde zurückgewiesen, weil das OLG der Ansicht ist, dass die Altersfeststellung der richterlichen Beweiswürdigung obliegt", sagte Rast, nachdem er am Montag den Beschluss erhalten hatte. Das Schwurgericht, vor dem sich der Afghane zu verantworten haben wird, muss damit neben der Schuldfrage auch die Altersfrage klären. Rast geht davon aus, dass die Verhandlung Mitte August stattfinden wird. Den Prozess wird Richter Thomas Kreuter leiten.

Laut Anklage stach der spätestens am 29. Mai 1996 Geborene und damit mittlerweile 22-Jährige mit einem Messer mit einer Klingenlänge von circa 20 Zentimetern zu. Er brachte der Schwester – sie hatte sich als 14 ausgegeben, war laut Obduktionsgutachten zum Zeitpunkt ihres Todes aber schon 17 oder 18 Jahre alt – bis zu acht Zentimeter tiefe Wunden bei. Zum Motiv heißt es in der Anklage, die Getötete habe "nach Ansicht des Angeklagten die Familienehre befleckt".

Das Mädchen war erstmals im Juli 2017 in ein Krisenzentrum geflüchtet, weil es zu Hause wiederholt zu Handgreiflichkeiten gekommen war. Ihr Vater und der ältere Bruder sollen sie immer wieder geschlagen haben. Die Schülerin dürfte sich immer stärker gegen die elterlichen Vorgaben – sie durfte ohne Begleitung nicht außer Haus und musste Kopftuch tragen – aufgelehnt haben.

Gewalt in der Familie

Sie ließ sich in der Folge zu einer Rückkehr überreden, ehe sie sich vier Tage vor ihrem Tod erneut in ein Krisenzentrum begab. Den Betreuern erzählte sie, Angst vor ihrer Familie zu haben. Ihr Vater wolle mit ihr nach Afghanistan fliegen, um sie "gegen ihren Willen zu verheiraten und sie dort alleine zurücklassen", heißt es in der Anklageschrift. Als sie sich widersetzte, soll der Vater sie in der Wohnung gefesselt und eingesperrt haben.

Der Tochter gelang es, sich zu befreien und zu flüchten. Am 18. September passte sie ihr älterer Bruder in der U-Bahn-Station Reumannplatz ab, als sie zur Schule wollte. Seinen Angaben zufolge wollte er sie überreden, wieder nach Hause zu kommen. Als die Schwester nicht mit sich reden ließ, zog er laut Anklage in einem Innenhof in der Puchsbaumgasse sein Messer und tötetet sie damit. (APA, 11.6.2018)