Nicht länger "Erster unter Gleichen": Latein in der Schule und an der Universität.

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Latein gilt bis heute als zentrale Säule der humanistischen Bildung, eine Sine-qua-non-Bedingung, um gebildet in die Welt entlassen werden zu können. Bester Beweis für dieses tradierte Denken ist die bis heute andauernde Lateinpflicht in einigen Lehramtsfächern sowie in diversen Fachstudiengängen von Rechts- beziehungsweise Musikwissenschaft bis zu vielen Sprachenstudien inklusive der slawischen Sprachen. Da ist es nicht verwunderlich, dass allein die Diskussion über die Notwendigkeit der Lateinpflicht scharfe Rückmeldungen bringt, besonders von Verfechtern der Lateinpflicht. Doch wäre die Abschaffung der Lateinpflicht für die oben genannten Fächer wirklich der Abverkauf althergebrachter akademischer Werte und humanistischer Bildung?

Eine Bestandsanalyse

Die Anforderungen an das Lehramtsstudium und angehende Lehrkräfte wachsen und wachsen. Lehrerinnen und Lehrer sollen belesen, bereist, weltgewandt, universalwissend sein, sie sollen für ihre Schülerinnen und Schüler Psychologen und Therapeuten sein, Sprachdefizite sowie Lebens- und Sozialumstände ausgleichen, soziale Prozesse steuern, Mobbing erkennen und unterbinden, Lernstörungen diagnostizieren. Jede Debatte, jeder Artikel über das Lehramtsstudium strotzt vor neuen Forderungen an die künftigen Lehrkräfte.

Die Umstellung auf das Bachelor- und Mastersystem im Lehramt hat verkrustete Strukturen aufgebrochen und die Frage gestellt, was es im Lehramtsstudium für die Schule wirklich braucht. Die Schulpraxis wurde ausgebaut, die Pädagogik umgestellt und die Fachwissenschaft auf die Schultätigkeit und den Lehrplan angepasst. Das Lehramtsstudium ist nicht mehr das Studium generale, welches ein Fachstudium und etwas Schulpraxis als kleinen Zusatz inkludiert, sondern zielgerichteter auf die Schule aufgestellt. Gleichzeitig wurden die Lehramtsstudien österreichweit mit Mindeststandards versehen und angeglichen.

Die Frage ist nur konsequent

In diesem Zusammenhang wirkt die Frage nach der Lateinpflicht in einigen Lehramtsfächern nur konsequent und logisch; die dazugehörige öffentliche Diskussion, egal wie sehr sie polarisiert, ist gesund und sollte geführt werden. Doch dabei sollte eines nicht vergessen werden: Es geht um die Frage nach einer Lateinpflicht, nicht um die Frage, ob Latein positive Einflüsse auf andere Wissensbereiche haben kann. Im Vordergrund steht hier die Frage, ob der positive Studienabschluss ohne Lateinkenntnisse unmöglich ist.

Dazu muss man wissen: Aktuell können fehlende Lateinkenntnisse bis zum Abschluss des Studiums nachgeholt werden, was zur absurden Situation führt, dass Studierende ihr Studium rein inhaltlich bereits vollkommen abgeschlossen haben, das Studium selbst aber aufgrund der fehlenden "Studienvoraussetzung" nicht abschließen können. Dies beweist bereits, dass es sich hier um keine Voraussetzung im eigentlichen Sinne handeln kann.

Weltweit studieren viele Studierende zum Beispiel Englisch oder Geschichte gänzlich ohne Lateinkenntnisse und bekommen ihren Abschluss – es ist nicht ersichtlich, warum österreichische Studierende hier eine Ausnahme sein sollten. Den akademischen Ductus sowie latinisierte Fachbegriffe muss man in jedem Studium sowieso auswendig lernen, einen größeren Stellenwert nimmt Latein im Studium auch in Österreich heute kaum mehr ein.

Mit Latein zum Humanisten?

Dabei wird gerne Latein mit Allgemeinbildung und humanistischer Bildung gleichgesetzt, doch dies ist weit von der Realität entfernt. Wer kaum Bücher oder Tageszeitung liegt und sich für wenige Wissensbereiche außerhalb seines Studiums interessiert, wird durch den Anachronismus eines verpflichtenden Lateinaufbaukurses weder zum Humanisten, noch zum besseren Lehrer oder zum besseren Studenten.

Der Wert von Allgemeinbildung und Wissensvertiefung über die Pflicht hinaus fehlt definitiv im Studium selbst, kann aber schwerlich durch einen Studienplan verordnet werden. Im Gegenteil: Wenn sich die Uni ihres Stellenwertes und Handlungsspielraums bewusst ist, welcher nur sehr eingeschränkt ist, sollte sie diesen nutzen, um weit relevanteres Zusatzwissen zu vermitteln. Zuvorderst seien hier digitale Kompetenzen zu nennen, welche bisher keinen oder kaum Platz in den Studienplänen bekommen haben. Wie absurd wirkt das Bild des 25-jährigen Lehrers, welcher zwar zur allgemeinen Belustigung lateinische Sprichwörter der Klasse zum Besten geben kann, aber beim Anschließen des Beamers die Hilfe seiner Schüler braucht? Ist das der zeitgemäße Pädagoge, den wir uns wünschen?

Keine Sonderbehandlung mehr

Ohne über das heutige Studiensystem zu lamentieren, welches weit mehr Zeitdruck, überlaufene Strukturen und Ellenbogen verlangt und gleichzeitig Bildung in einer Währung, den sogenannten ECTS-Punkten, aufwiegt: Den zukünftigen Lehrkräften sollte man stärker zukunftsbezogene Kompetenzen aktiv abverlangen und heute benötigte Themenfelder aufzeigen.

Liebe Lehrerinnen und Lehrer, beschäftigt euch mit dem Programmieren – und damit sind nicht nur die Informatiklehrerinnen und -lehrer gemeint –, lest Zeitung, lest Bücher, seid up to date und am Zeitgeist einer Jugend, die ihr anleiten, unterrichten und bilden sollt. Lernt so viel ihr könnt über so viele Bereiche wie möglich. Und angekommen an der Schule: Bereitet euren Schülerinnen und Schülern Spaß am Lernen, Erforschen und Erkunden der Welt, an Sprachen, an Technologie – denn Wissen und das Beschäftigen mit Problemen und Lösungsansätzen erfordert Bildung.

Dazu ist Latein sicher keine Voraussetzung, weder für das Studium noch für all diese Aufgaben. Doch es bleibt ein Bereich dieser Welt, mit dem man sich beschäftigen kann (!), und in diesem Sinne spricht niemand Latein seinen Platz als akademische Disziplin oder Schulfach ab – nur eben nicht länger als primus inter pares mit Sonderbehandlung. Oder wie der Lateiner sagt: Homines cum docent, discunt – wer lehrt, lernt. Aber nicht zwangsläufig Latein. (Maximilian Wagner, 11.6.2018)