Viktorianische Damen kamen in der Londoner U-Bahn nur selten ins Schwitzen. 150 Jahre nach ihrer Eröffnung ist die Hitze im Tube-Netzwerk auf vielen Linien jedoch unerträglich.

AFP

London/Wien – Sie ist ordentlich in die Jahre gekommen, die Londoner U-Bahn samt ihren Metro-Garnituren. Das soll sich bald ändern. Die Transport for London dürfte demnächst eine Entscheidung bekanntgeben, die nicht nur in Großbritannien mit Spannung erwartet wird. Auch in Wien wird dem Zuschlag entgegengefiebert, denn: Mit Siemens soll ein Konzern, der in Wien-Simmering U-Bahn-Züge für den Weltmarkt herstellt, beste Chancen bei der langfristig fünf Milliarden Pfund schweren Vergabe haben.

Gerüchte, denen zufolge Siemens Mobility den Großauftrag bereits fix in der Tasche hätte, wurden am Montag nicht bestätigt. Man könne dazu keine detaillierten Auskünfte geben, weil das dem potenziellen Kunden obliege. Bei Transport for London (TfL) war ebenfalls keine Stellungnahme zum angeblichen Zuschlag an Siemens zu erhalten. Davor hatte es geheißen, dass die Entscheidung im ersten Halbjahr 2018 erfolgen solle.

Milliardenprojekt unter der Erde

Die Londoner U-Bahn, eröffnet im Jahr 1863, ist die älteste U-Bahn der Welt und hat ein notorisches Hitzeproblem sowie eine veraltete Wagonflotte. 2016 reichten insgesamt fünf Unternehmen Angebote für das sogenannte "Deep Tube"-Projekt ein, ein gigantischer Modernisierungsplan für die vier am schlimmsten betroffenen und am tiefsten unter der Erdoberfläche liegenden U-Bahn-Linien.

Die TfL will 250 Züge der Linien Piccadilly, Central, Bakerloo und Waterloo & City ersetzen. Diese vier Linien machen ein Drittel des gesamten Londoner U-Bahnnetzwerks aus und werden täglich von etwa zwei Millionen Passagieren genutzt. Das "Deep Tube"-Programm soll dem ständigen Anstieg der Temperaturen in den Zügen ein Ende bereiten, Signal- und Kontrollsysteme erneuern sowie Kapazitäten steigern.

40 Jahre alte Züge müssen weg

Die TfL gab im Mai bekannt, dass die Wagonflotte der Piccadilly Line, die seit 1975 im Betrieb ist, ihre Lebenserwartung von 40 Jahren erreicht habe und dringend ersetzt werden müsse. In der ersten Modernisierungsphase soll die Kapazität der Piccadilly-Line durch 94 neue Züge erhöht werden. Geliefert werden sollen sie zwischen August 2023 und 2026. Bis 2035 wird eine Steigerung der Kapazitäten der vier Linien um durchschnittlich 36 Prozent angepeilt. Für die Lieferung dieser Züge soll Siemens nun eine neue Werkseröffnung in Goole, einer Kleinstadt im Nordosten Englands zwischen Hull und Leeds, planen. An die 700 Jobs könnten dort entstehen.

Die Hitze in der Londoner U-Bahn, die sich über 400 Kilometer erstreckt, ist ein immer größer werdendes Problem für die jährlich 1,37 Milliarden Passagiere – vor allem im Sommer. Am 1. Juli 2015 stiegen die Temperaturen in der Northern Line beispielsweise auf 35 Grad. Seit Jahren erteilt die Londoner U-Bahn Passagieren Tipps in Sachen Coolbleiben. Immer wieder kommt es jedoch zu Evakuierungen von Passagieren, die wegen der Hitze gesundheitliche Probleme bekommen.

Hitzekoller

Im Juli 2001 beispielsweise mussten mehr als 600 Personen ärztlich behandelt werden, nachdem Züge der Victoria-Line 90 Minuten stillgestanden hatten.

Während die ersten Tunnel der Tube noch recht nah an der Erdoberfläche angelegt und mit ausreichenden Belüftungsschächten versehen wurden, begann man 1890, tiefer liegende Tunnel unterhalb der Themse zu bauen. Dieses Netzwerk wird heute als "Deep Tube" bezeichnet – und hat das größte Hitzeproblem.

Dass ein Großteil der Hitzeenergie, die von den Zügen der U-Bahn freigesetzt wird, vom natürlichen Boden unterhalb der Stadt, der die Tunnel umgibt, absorbiert wird, wusste man im 19. Jahrhundert noch nicht. Und dass mehr als eine Milliarde Menschen im Jahr durch das Tunnelnetzwerk reisen würden, konnte man sich zu viktorianischen Zeiten ebenfalls nicht vorstellen. (Jedidajah Otte, 12.6.2018)