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Willy Meisl, hier anno 1932, war ein Multitalent. Er spielte Fußball, Tennis, Wasserball, schwamm, boxte, studierte Jus und schrieb.

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Am 12. Juni 1968 starb im Alter von 72 Jahren einer der Größten, jedenfalls, was den europäischen Sport betrifft. Heute ist dieser Wilhelm Meisl verblasst wie ein altes Schwarzweißfoto. Und wenn er denn doch erinnert wird, dann hauptsächlich als Bruder.

Dabei hat uns dieser Wilhelm Meisl wenn schon nicht mehr, so doch Vielfältigeres zu erzählen als Hugo, dessen Fußballbesessenheit den alten monarchischen Donauraum zu einem letzten – diesmal bloß ballesterischen, dafür den Kontinent prägenden – Aufflackern geleitet hat. Willy dagegen, 14 Jahre jünger, war ein wahrer Allrounder. Er spielte Tennis, boxte, schwamm, spielte Wasserball und war nicht zuletzt Tormann des Wiener Amateur-Sportvereins, der nachmaligen Austria, als welcher er 1920 vom Bruder ins Team berufen wurde.

Aber das alles war nur die Basis fürs Eigentliche. Dr. Wilhelm Meisl, wie alle ihn stets respektvoll genannt haben, wechselte nämlich nach seinem Jusstudium ins schreibende Fach, wo er den Sport – der gerade dabei war, eine neue, erregende soziale Kraft zu entfalten – aus der Schmuddelecke verbaler Unbeholfenheit gewissermaßen ins Feuilleton wuchtete.

Vom Wiener Sport-Tagblatt übersiedelte er via Dagens Nyheter – in Schweden war er kurz Coach bei Hammarby in Stockholm – ins vibrierende Berlin, wo er bei Ullstein anheuerte. 1924 berichtete er für die BZ am Mittag von den Olympischen Spielen aus Paris. Mit seiner Reportage über den Sieg des Finnen Paavo Nurmi über die 10.000 Meter querfeldein wurde der Ton gesetzt, in dem ab nun über den Sport geredet werden sollte: anschaulich, ein wenig dramatisierend, sprachlich variantenreich.

Karriere bei Ullstein

Meisl gilt als eine Art Vater des modernen Sportjournalismus. Er war der Erste – so verneigte sich gar die alte Tante Zeit anlässlich seines 70. Geburtstags 1965 -, "der seine Sportberichte in wohlgedrechselte Sätze kleidete, die auch im Romanischen Café in Berlin, dem Treffpunkt der literarischen Welt, eifrig gelesen wurden".

Ullstein – der große Berliner Verlag, der dann der Arisierung zum Opfer gefallen ist – machte Meisl zum Sportchef aller seiner Produkte. Via BZ erreichte er die Masse, via Vossische Zeitung das sozusagen gehobenere Publikum. Meisl spielte auf beiden Klavieren meisterlich. Nebenbei gab er zahlreiche Bücher heraus, darunter den hellsichtig die Kommerzialisierung thematisierenden Sammelband Sport am Scheideweg, zu dem Egon Erwin Kisch das Vorwort und Bertolt Brecht den Beitrag übers Boxen schrieb.

1933 kamen die Nazis an die Macht. Meisl hoffte, wie Millionen andere auch, dass so heiß schon nicht gegessen werde wie gekocht worden war. Um sicher zu gehen, forderte er vom Wiener Kriegsarchiv seinen Personalakt mit all den Auszeichnungen und Belobigungen des Leutnants Meisl an. Der Dienst an der Italien-Front beeindruckte die Nazis nicht. Und spätestens am 1. April, mit dem Boykott jüdischer Geschäfte in ganz Deutschland, war klar, wohin es gehen würde.

Am Ostersonntag, es war der 16. April 1933, erschien in der Tante Voss ein seitenaufmachender Artikel unter dem Titel "Von ,Danny' Mendoza bis Carr", in dem Meisl die herausragenden Leistungen jüdischer Sportler quer durch die Geschichte würdigte. "Vielleicht", so begann Meisl die Erzählung, " ist die Sportgeschichte der Juden grade heute von Interesse für weitere Sportkreise." Die neuen Machthaber tobten. Die Osterausgabe ist freilich restlos ausverkauft gewesen.

Im Jänner 1934 emigriert er via Schweden nach England, wo er sich erst mühsam in die neue Sprache hieven musste. Aber wenig später schrieb er schon für die renommierte World Sports und als Korrespondent zahlreicher Zeitungen auf dem Kontinent. Als britischer Offizier nahm der einstige k. u. k. Leutnant Meisl am neuen Krieg teil.

Nach dem Krieg war Willy Meisl einer der wirklichen Granden im Weltsport. In den frühen 1950er-Jahren schrieb er sein wohl bekanntestes, leider nie ins Deutsche gebrachte Buch Soccer Revolution, in dem er den Abstieg des englischen und den Aufstieg des brasilianischen Fußballs beschrieb und erklärte. Ein großer Teil behandelt auch die Stärke und die Vorzüge des zentraleuropäischen Fußballs.

Diskussion mit Torberg

Der feierte 1954 seinen Höhe-, aber auch Endpunkt. Deutschland – stets eher englisch inspiriert – schlug im Finale Ungarn 3:2. Das sei, rief Friedrich Torberg nach eigenem Bekunden, "das Ende der Poesie im Fußball". Meisl, der neben ihm stand, erwiderte, fast britisch cool, Torberg solle sich nicht echauffieren. Es sei bloß das Ende des Hexameters.

Ende der 50er-Jahre siedelte Willy Meisl ins Tessin. Dort hoffte er auf Linderung seines Krebsleidens. In Lugano starb er dann auch. Hochangesehen. Bald aber verblassend. Weil ja gerade der Sport sich gern einredet, keine Herkunft zu haben und keine Geschichte zu brauchen. (Wolfgang Weisgram, 12.6.2018)