Er ist, gelinde gesagt, verärgert über US-Präsident Donald Trump. Mit einer "Rücksichtslosigkeit sondergleichen" gehe dieser über so große Projekte wie das Iran-Abkommen hinweg, sagt Werner Hoyer, Präsident der Europäischen Investitionsbank (EIB), als sich DER STANDARD mit ihm im Hotel Kempinski am Wiener Schottenring trifft.

Das 2015 geschlossene Atomabkommen sei "eines der feinsten Stücke europäischer Diplomatie". Er würde "unglaublich gern helfen", dass dieses trotz der Angriffe aus den USA bestehen bleibe. Er könne dafür aber nicht die Existenz der Bank aufs Spiel setzen, sagt der Mittsechziger (siehe Interviewpassagen zum Iran in der Montagausgabe). Nicht nur in dieser Aussage schimmert der frühere Außenpolitiker Hoyer durch. Er saß für die FDP im Bundestag und war zwischen 1994 und 1998 sowie von Oktober 2009 bis Dezember 2011 Staatsminister im Auswärtigen Amt. Anfang 2018 hat Hoyer seine zweite Periode an der Spitze der EU-Bank angetreten.

STANDARD: Welche Schwerpunkte haben Sie?

Hoyer: Die antizyklischen Investitionen, mit denen wir den brutalen Effekt der Lehman-Pleite auf europäische Unternehmen abmildern konnten, haben ihren Zweck erfüllt. Jetzt müssen wir uns fragen, wo die Schwächen liegen.

STANDARD: Wie lautet Ihre Analyse?

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Meine Kinder nutzen die digitalen Instrumente wie die Weltmeister, aber nur als Konsumenten, sagt Hoyer.
Foto: Reuters

Hoyer: Wir haben in Europa stark an Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Zehn Jahre lang haben wir im Schnitt 1,5 Prozent weniger vom Bruttosozialprodukt in Forschung und Entwicklung investiert als unsere Partner in Asien und Nordamerika. Der technologische Abstand wird immer größer.

STANDARD: In puncto Digitalisierung liegt Europa ebenfalls zurück?

Hoyer: Digitalisierung ist ein Riesenwohlstandsfaktor. Ich komme aus dem größten Land der EU, Deutschland. Verglichen mit Frankreich und anderen Ländern ist das eine digitale Wüste. Man hat zu lange auf alte Technologien gesetzt. Dass Digitalisierung nicht nur Hardware ist, sondern auch etwas für die Köpfe, das ist auch noch nicht angekommen.

STANDARD: Was genau meinen Sie?

Hoyer: Meine Kinder nutzen die digitalen Instrumente wie die Weltmeister, aber nur als Konsumenten. In der Schule werden sie nicht angeleitet, die Dinger auch kreativ zu nutzen, um beispielsweise Produktionsprozesse zu steuern. Dort, wo die europäischen Volkswirtschaften noch immer Weltmeister sind, etwa im Maschinenbau, in der Biochemie oder Autoindustrie, verlieren wir an Zugkraft. Künftig wird Software überall dort eine viel größere Rolle spielen als bisher.

STANDARD: Beim Auto heißt das ...

Hoyer: ... dass die Daten künftig das Herz sind und rundherum halt noch eine Schicht aus Metall oder Kunststoff gebaut wird. Wenn nicht massiv in Bildung sowie Forschung und Entwicklung investiert wird, verlieren wir den Anschluss. Dann wird zur Neuausrichtung der Pole der Weltpolitik, wo Europa ohnehin nur mehr die zweite Geige spielt, auch eine Neuordnung der Ökonomie erfolgen, bei der die Europäer wohl an den Rand geschoben würden.

STANDARD: Diesen Ball greift also die EIB auf?

Hoyer: Ich habe den Mitgliedsstaaten angeboten, dass wir uns massiv um die Modernisierung der Volkswirtschaften und Industrien kümmern. Wir machen ohnehin schon 20 Prozent unserer Finanzierungen im Bereich Innovation und mindestens 25 Prozent im Bereich Klima. Das sind genau die Bereiche, wo wir in den kommenden zehn Jahren stark aufholen müssen.

STANDARD: Hat die EIB früher, salopp gesagt, in transnationale Netze investiert, damit Europa zusammenwächst, wird jetzt Geld verstärkt in Bereiche gelenkt, die Produktivitätszuwächse bringen?

Hoyer: Ja, wobei ich zu Beginn der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft auch darauf hinweisen möchte, dass es wichtig ist, den Zusammenhang zwischen Innovation und Kohäsion zu sehen.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Hoyer: Wenn wir von Innovation reden, haben wir meistens Insellösungen im Kopf. Man findet aber auch im tiefsten Griechenland innovative Unternehmer, die interessante Produkte entwickeln. Es wäre toll, wenn diese Produkte in einem Netzwerk europäischer Unternehmen auf den Markt gebracht und so auch zum Zusammenhalt zwischen den Nationen beitragen würden. Deshalb freue ich mich, dass Österreich die Entwicklung des westlichen Balkans so im Fokus hat. Machen wir das nicht, bekommen wir zusätzlich ein strategisches Problem. Es genügt zu sehen, welche Initiativen Chinesen, Russen und Türken am Balkan entfalten. Das ist eine echte Bedrohung unserer Interessen.

STANDARD: Welche Rolle sehen Sie für die EIB bei der Weiterentwicklung der Eurozone?

Hoyer: Eine zentralere als heute. Was braucht die Eurozone, um widerstandsfähig zu sein? Erstens eine Institution mit genügend Feuerkraft, um Staaten zu helfen, die in Schwierigkeiten sind.

STANDARD: Den vielzitierten Europäischen Währungsfonds?

Hoyer: Den haben wir in Gestalt des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ja schon. Man muss ihn nur so benennen und gegebenenfalls ausbauen. Der ESM macht eine vorzügliche Arbeit.

STANDARD: Was noch?

Hoyer: Eine Einlagensicherung. Die wird aber vermutlich als Letztes kommen.

STANDARD: Und drittens?

Hoyer: Eine Investmentfazilität, um strukturelle Schwächen auszugleichen. Dafür böte sich die EIB an. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron möchte so etwas in einem Eurozonenhaushalt unterbringen. Doch so rasch wird das nicht kommen, es gibt Widerstände. Der Charme bei der EIB-Variante liegt für die Mitgliedsstaaten darin, dass sie bei den Entscheidungen mit am Tisch sitzen. (Günther Strobl, 12.6.2018)