Als am 29. Juni 1996 die erste Regenbogenparade noch in Fahrtrichtung vom Schwarzenbergplatz bis zum Schottentor über die Wiener Ringstraße zog, gab es noch drei Strafrechtparagrafen, die Lesben und Schwule bedrohten. Einer davon war der Paragraf 220, der "Werbung für Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechts" unter Strafe stellte. Im Grunde machten sich die Organisatorinnen und Organisatoren der ersten Parade der "Gutheißung" strafbar, als sie gemäß dem Motto "Sichtbar 96" mehr Sichtbarkeit für lesbische, schwule und transgender Lebensweisen einforderten.

Plakat von der ersten Regenbogenparade in Wien 1996.
Foto: Zentrum QWIEN

Erst im März 1997 wurde das Werbeverbot mit der knappen Mehrheit von einer Stimme aufgehoben, die gleichzeitig zur Abstimmung kommende Aufhebung des Vereinsverbots (Paragraf 221) wurde hingegen mit großer Mehrheit angenommen. Nur die ÖVP war dagegen, selbst die FPÖ hatte der Aufhebung dieses Paragrafen, der längst totes Recht geworden war, zugestimmt. In den Jahrzehnten nach der "Nichtuntersagung" der Vereinsgründung der HOSI (Homosexuelle Initiative Wien) 1979 war es zu einer Gründungswelle an lesbischen, schwulen und schwul-lesbischen Vereinen gekommen. 1971 war der damalige Justizminister Christian Broda von der SPÖ für die Einführung dieser Paragrafen als flankierende Schutzmaßnahme nach der Abschaffung des "Totalverbots" zuständig. 1979 bestätigte er seinem für das Vereinsrecht verantwortlichen Kollegen im Innenministerium, Erwin Lanc, in einer Expertise, dass der Gesetzgeber beim Verbot von "Vereinigungen zur Begünstigung gleichgeschlechtlicher Unzucht" nur solche im Auge hatte, die dies aus gewinnsüchtiger Ansicht tun. So stand der Gründung von Vereinen, die ihren Statuten gemäß nicht gewinnorientiert waren, nichts mehr im Wege.

Kampf gegen Paragraf 209

Der Kampf gegen strafrechtliche Verfolgung war aber auch auf den Paraden der nächsten Jahre ein zentrales Thema. Der Paragraf 209 legte das Mindestalter für Beziehungen zwischen homosexuellen Männern mit 18 Jahren fest, während lesbische und heterosexuelle Kontakte ab 14 erlaubt waren. Da auch Österreich den Gleichstellungsregeln der Europäischen Union folgen musste, forderte der Verfassungsgerichtshof 2002 die Regierung auf, den langbekämpften Paragrafen aufzuheben. Daneben wurden im Zuge der Aids-Krise das Fehlen einer rechtlichen Absicherung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften virulent. Zwei Frauen oder zwei Männer konnten jahrelang in einer Beziehung leben und waren vor dem Gesetz trotzdem Fremde zueinander.  

Anfang 2010 trat das Gesetz zur eingetragenen Partnerschaft in Kraft, was etwa zu einer Angleichung im Steuer-, Erb- oder Mietrecht führte. Ihre Zustimmung ließ sich die ÖVP aber mit einer Reihe zum Teil absurd anmutender, aber in ihrem Demütigungsgestus hochsymbolischer Unterschiede erkaufen. So durfte die Verpartnerung nicht auf Standesämtern stattfinden, auch bildeten gleichgeschlechtliche Paare keine Familie, denn sie hatten auf amtlichen Formularen einen Nach- statt eines Familiennamens. Über 60 Unterschiede waren es, der Großteil wurde nach Klagen inzwischen von Höchstgerichten aufgehoben. Die Gerichte sorgten nach Klagen auch für Gleichstellung in Fragen der Adoption, der künstlichen Befruchtung und schließlich der "Ehe für alle" – wenn eine entsprechende Gesetzesänderung Anfang 2019 in Kraft tritt.

Wozu eine Parade?

Wozu braucht es dann noch eine Demonstration wie die Regenbogenparade? Die Lesben und Schwulen haben doch schon so viel erreicht, könnte man sagen. Erstens gibt es noch rechtliche Ungleichbehandlung, etwa im Antidiskriminierungsschutz, der nur im Arbeitsrecht gilt. Das sogenannte Levelling-Up, die Ausweitung des Schutzes in anderen Diskriminierungsfeldern wie Dienstleistungen, steht mit dieser Regierung weiterhin in weiter Ferne – ÖVP und FPÖ sind strikt dagegen.

Außerdem hat sich die LGBTI*-Community in den letzten Jahren erweitert. Im Untertitel nannte sich die Regenbogenparade von 1996 "Erster LesBiSchwuler und Transgender Festzug" und lud damit von Anfang an auch Trans-Personen zur Teilnahme ein. Heute gehören auch Intersexuelle und Menschen, die sich nicht zu einer binären, in Mann und Frau getrennte Geschlechteridentität bekennen, zu den Verbündeten. Als queer bezeichnen sich heute Personen, die Geschlecht nicht für angeboren halten, sondern als soziale Konstruktion verstehen – "Ich bin das, als was ich mich definiere". Deren Forderung nach Anerkennung zu unterstützen, gehört heute zu den Themen der Regenbogenparade wie der Kampf gegen die noch allgegenwärtigen Diskriminierungen und die Gewalt, die LGBTI*-Personen noch immer erfahren.

Die Selbstmordrate bei LGBTI*-Jugendlichen ist zum Beispiel höher als im Durchschnitt, noch immer wagen es viele nicht, sich im Berufsleben zu outen, weil sie Ausschluss und Nachteile fürchten. "Schwul" ist ein beliebtes Schimpfwort in unseren Schulen, Beschimpfungen und Verächtlichmachung gehören zu den Erfahrungen, die viele in der Community erfahren haben. Die Parade ist auch ein Zeichen der Solidarität mit Lesben, Schwulen, Trans*- und Inter-Personen in anderen Ländern der Welt. In 13 afrikanischen und asiatischen Ländern werden sie mit der Todesstrafe bedroht, in 72 Staaten gibt es antihomosexuelle Gesetze. Selbst in Europa gibt es Staaten, die auf einen anti-homosexuellen Kurs setzen. Und auch in Österreich wird von religiösen und politischen Gruppen der Hass auf LGBTI* nach wie vor geschürt. Sie werden als krank, pervers und abartig diffamiert.

Die Pride will ein Zeichen für Sichtbarkeit und Akzeptanz der Community setzen.
Foto: APA/AFP/ALEX HALADA

Unpolitische Party

Aber ist eine Parade, die auch innerhalb der Community oft als unpolitisch und zusehends kommerzialisiert wahrgenommen wird, der richtige Weg, gegen Diskriminierung und Ausgrenzung zu kämpfen? Fördert die exzessive Selbstdarstellung mit reichlich nackter Haut, als die die Parade in den Mainstream-Medien oft dargestellt wird, nicht Vorurteile und Geringschätzung? Erinnern wir uns dazu an den Anlass für die im Pride Month Juni weltweit stattfindenden Demonstrationen queeren Selbstbewusstseins. Vor 49 Jahren wollte sich eine Gruppe von Lesben, Schwulen und vor allem Trans-Personen die täglichen Repressalien der Polizei nicht mehr gefallen lassen, und leisteten in der New Yorker Bar "Stonewall Inn" in der Christopher Street handgreiflichen Widerstand, der zu den drei Tagen dauernden Stonewall Riots auswuchsen, die die Geburtsstunde der modernen Lesben-, Schwulen- und Transbewegungen darstellen. Sie wollten sich nicht mehr länger verstecken müssen und unterdrücken lassen. Sie wollten sichtbar sein, wahr- und angenommen werden.

Bunt und nackt fallen die Teilnehmer auf. Aber ist das nicht kontraproduktiv?
Foto: APA/HERBERT P. OCZERET

"Sichtbar 96" war das Motto der ersten Parade und die Sichtbarkeit ist heute noch ihr wichtigsten Anliegen. Wo wären wir, hätten wir immer nur schön stillgehalten? Wir müssen bunt und lautstark, mitunter auch respektlos und provokativ für unsere Anliegen kämpfen, auch wenn es nicht allen passt. Denn – und das hat die Kampfparole im Kampf gegen HIV und Aids deutlich gezeigt – "Schweigen = Tod". Die erste Parade wurde auch als "Festzug" angekündigt, weil der Christopher-Street-Day, der in Erinnerung an den Aufstand in New York jährlich weltweit begangen wird, unser Feiertag ist. Es ist der Tag an dem wir die Vielfalt und Buntheit unserer Lebensentwürfe, unsere Individualität und unser Recht darauf feiern. Einmal im Jahr gehört die Wiener Ringstraße uns! Auch das ist Politik. Gegen die Fahrtrichtung. Happy Pride! (Andreas Brunner, 14.6.2018)