Meucheln mit Herz: Manuel Gagneux alias Zeal & Ardor.

Stian Foss

Es begann mit einer Beobachtung. Die mündete in die Frage, warum ist Black Metal so eine blasse Angelegenheit? Diese ganzen skandinavischen Kirchenabfackler, die spielen doch eigentlich Pale Metal. Laute, schnelle Musik von bleichen Gestalten für solche. Black Metal ist für Black People. Gut, die Geschichte des Fachs wird Manuel Gagneux nicht so schnell umschreiben, aber er arbeitet daran. Eben ist sein zweites Album erschienen. Es heißt Stranger Fruit.

Referenz an Billie Holiday

Der Titel ist eine Referenz an den Song, der für immer mit Billie Holiday verbunden sein wird: Strange Fruit. Der Begriff beschreibt in den Bäumen hängende Leiber gelynchter Schwarzer. Holidays Song ist ein morbider Blues, doch Gagneux hängt einer anderen Idee nach. Was wäre gewesen, wenn die Schwarzen sich in ihrer Verzweiflung nicht an Gott gehalten, sondern sich dem Satan zugewandt hätten?

Das bedeutet für die Musik des 29-Jährigen jenen Zündfunken, mit dem er Black Metal und Gospel auf Kollisionskurs bringt. Daraus ergibt sich eine seltsame Mischung, eine "strange fruit".

Studienjahre in New York

Das ist jetzt die Stelle, an der die Herkunft Gangeux’ ins Spiel kommt. Der ist in der Schweiz aufgewachsen, also weit entfernt von den seltsamen Früchten des amerikanischen Südens. Doch die Beziehung zum Thema entsteht über seine afroamerikanische Mutter ebenso wie über einige in den USA verbrachte Studienjahre.

Im Blues versenken

Außerdem musste ein Nick Cave auch nie Baumwolle pflücken, um sich in den düsteren Themen und den Mythen dieses Landstrichs zu versenken und den Blues unter seinen Bedingungen aus dem Mississippi-Schlamm zu heben.

Bereits vor zwei Jahren ließ Manuel Gagneux auf seinem ersten physisch erschienenen Album diese beiden Welten aufeinanderkrachen: Seit dem Album Devil Is Fine ist Zeal & Ardor vom Ein-Mann-Unternehmen zur Band gewachsen, heuer wird sie erstmals in Österreich live gastieren. Kleine Fußnote: Das Schlagzeug des Albums wurde in Graz aufgenommen.

Brandzeichen am Fanstand

Wie ernst es Gagneux angesichts eines verstärkten Rassismus und Rassenwahns ist, zeigt eine Aktion, die er sich für eine Tournee ausgedacht hat. Anstatt am Merchandise-Stand T-Shirts oder Tonträger anzubieten, offerierte Zeal & Ardor ein glühendes Eisen, mit dem sich Fans ein Brandzeichen der Band holen konnten.

Gravedigger's Chant – ein Song vom neuen Album von Zeal & Ardor: Stranger Fruit.
Zeal & Ardor

Auch damit fanden Extreme zueinander, die man klischeehaft dem Black Metal und dem Rassismus zutraut. Tatsächlich ließen sich acht Personen so ein Brandzeichen setzen. Gagneux war dabei anwesend, fragte die Personen, ob sie sich ihres Tuns sicher wären und desinfizierte die Wunden. Die Aktion gibt es nicht mehr. Er wollte zeigen, wie weit Extremismus im Alltag bereit ist zu gehen – selbst in friedlicher Absicht.

Cop Shoot Cop revisited

Der Niederschlag solcher Extreme verantwortet in der Gagneux‘ Musik wütende Deklamationen zu beträchtlichem Lärm. Zeal & Ardor suchen dabei nicht nur in der Geschwindigkeit ihr Heil. Die Breitseite des Gospels bremst viele Songs, macht sie damit aber heavier, brutaler. Manches erinnert an die New Yorker Meuchler-Band Cop Shoot Cop aus den 1990ern.

Weil das Themengebräu aus Metal und Sklaven, Chain Gangs und Lynchmord seinem Schöpfer noch nicht schwer genug ist, reichert er es um Okkultismus an, strapaziert die magischen Praktiken des Goëtie sowie die Mythen der Yoruba, einem westafrikanischen Volk Nigerias. Damit kann man einige Nachmittage googelnd verbringen, ohne dass einem fad wird.

Built On Ashes – das finale Lied des neuen Albums.
Zeal & Ardor

Noch spannender ist nur die Musik von Zeal & Ardor. Die ist eine aufregende Achterbahnfahrt. Ein High and Low der Gefühle und Stile. Nicht bloß Gebolze, keine lauwarme Jazzmesse. Hier gelingt ein musikalischer Brückenschlag ebenso wie ein kultureller.

Typisch Black Metal – nur anders

Möchte man das in einem einzigen Song serviert bekommen, so ist das möglich. Built On Ashes ist der letzte Song auf Stranger Fruit. Er bemüht das Bild des Phönix aus der Asche, stellt uns allen einen einsamen Tod in Aussicht – und bietet uns aber zum Trost die Möglichkeit, sich wenigstens vor dem Schlusspunkt als soziale Lebewesen zu beweisen.

Typisch Black Metal eben – nur ein wenig anders.

(Karl Fluch, 13.6.2018)