Foto: Adidas/Adidas Archiv

Die Tormänner sind grantig. "Der Ball könnte besser sein", sagt Deutschlands zweiter Goalie Marc-André ter Stegen, nachdem er ihn in einem Testspiel in seinen Händen gehalten hat. "Er flattert sehr stark und fliegt zur Seite." Spaniens Nationalkeeper David de Gea findet, "er hätte wirklich besser konzipiert werden können". Sein Ersatzmann Pepe Reina sagt, es sei "unmöglich, den Ball einzuschätzen". Die Plastikschicht außen herum erschwere ein Festhalten. Der WM-Ball "Telstar 18", ein Flattermann? Mit mies entworfenem Profil?

2018
Foto: Adidas

Das Gezeter hat Tradition, besonders die Torleute können kaum an sich halten. Als 2010 zur WM in Südafrika "Jubulani" auf den Rasen rollte, wütete Italiens Nummer eins, Gianluigi Buffon, es sei "eine Schande, ein so wichtiges Turnier mit solch einem Ball zu spielen". Nun, das Runde muss ins Eckige!

2010
Foto: Adidas / Adidas Archive

1962 allerdings monierte selbst die Fifa, es gehe so nicht weiter. "Mr. Crack" war alles andere als ein Crack. Der Ball aus gelblichem Rindsleder verlor während der Spiele an Farbe und Gewicht. Der Weltverband wechselte den "Top Star" aus der vergangenen WM in Schweden ein, der damit ein Comeback erlebte.

1962
Foto: FIFA World Football Museum

Schweinsblase

Das Spielgerät hat auf dem Weg vom Ei zur Kugel eine abgerundete Weltmeisterschaftslaufbahn hingelegt. Zwölf handvernähte Lederstreifen ergaben 1930 in Uruguay eine eher ovale Form mit welliger Haut.

1930
Foto: FIFA World Football Museum

Jeder Ball zwar ein Unikat und trotzdem nach landestypischer Machart der Hersteller. Weil zwar der Gastgeber den WM-Ball "Tiento" stellte und mit dem vertraut war, Finalgegner Argentinien aber lieber mit der eigenen Pille die Pässe schlug, begann die Partie mit "Tiento", zur zweiten Halbzeit brachte der Schiedsrichter aber den argentinischen Ball mit.

Während in Südamerika der Ball mit zusammengeknoteter Schweinsblase ohne Ventil mit seiner derben Verschlussnaht aus Lederband dafür sorgte, dass so manchem Spieler beim Köpfeln ein Horn wuchs, fand vier Jahre später in Italien der "Federale 102" eine angenehm wattige Antwort. Er war aus brauner Baumwolle. Jeder Kopfball wurde federleicht abgefedert fast zur Streicheleinheit.

Geblieben war ein anderes Dilemma: Die Spielgeräte, egal ob aus Baumwolle oder Leder, sogen sich bei Regen mit jeder Minute voller und voller, verformten sich und näherten sich dem Gewicht einer Hantelkugel.

1970
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Entschied bislang stets der jeweilige Gastgeber darüber, welcher Fußball auf dem Rasen lag, fand die Fifa 1970 eine neue Regel. Adidas wurde beauftragt, eine runde Sache zu machen, und schuf gleich einen Klassiker: einen Ball aus zwölf Fünf- und 20 Sechsecken in schlichtem Schwarz und Weiß.

16 Jahre später wurde, wieder in Mexiko, das echte Rindsleder durch echte Synthetik ersetzt. Die Plastikpille nahm kaum noch Wasser auf und ist in Minute eins genauso drauf wie in der Verlängerung. In den nächsten Turnieren bleiben die Änderungen nicht nur an der Oberfläche.

1986
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1994 bauten die Entwickler eine Sandwichschicht. Unter das weiße Polyethylen legten sie einen Schaum, der für weniger Schädelsausen beim Kopfball sorgte. Nun tüftelten die Daniel Düsentriebs der Ballinnovation auf der Suche nach virtuosen Flugeigenschaften immer neue Kombinationen aus.

1994
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1998 in Frankreich spritzen sie klitzekleine mit Gas gefüllte Mikrobälle im Innern auf, um die Aufprallenergie gleichmäßiger zu verteilen. Vier Jahre später soll in Japan und Südkorea ein dreilagiges Polymergewebe für eine präzisere Flugbahn sorgen.

1998
Foto: Adidas / Adidas Archive

In Deutschland erschien 2006 der 444 Gramm schwere Ball mit 22 Zentimeter Durchmesser in neuem Auftritt.

Statt der eckigen Waben bestand er aus 14 Panels, acht in Form eines dreigliedrigen Rotors, sechs als Propeller, die miteinander verklebt wurden. Zuletzt sorgte das "Grip 'n' Groove"-Profil, kleine integrierte Rillen, für bessere Griffigkeit.

2006
Foto: Adidas/Adidas Archiv

Genannt werden die Bälle beim Namen, und sie inszenieren sich gerne mit folkloristischer Botschaft. Wie der "Tango Durlast" 1978 in Argentinien, der "Etrusco Unico" 1990 in Italien oder der "Tricolore" 1998 in Frankreich.

1978
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Dem allgemeinen Retrotrend folgend heißt der russische Ball wie sein legendärer Vorgänger aus den 1970er-Jahren wieder "Telstar".

1990
Foto: Adidas

Den Vorwurf eines flatterhaften Lebens, der seitens einiger WM-fiebriger Torwarte gemacht wurde, kann die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt in St. Gallen entkräften. Seit 22 Jahren testen hier Wissenschafter im Auftrag der Fifa systematisch die Bälle. Und das mit einem verdammt harten Training: 250-mal Wassertanktauchen, ohne Flüssigkeit aufzunehmen, 2.000-mal mit Tempo 50 gegen eine Stahlwand donnern, an 4.000 Punkten vermessen, inklusive Windkanal und Lufthaltetestreihe.

Martin Camenzind, einer dieser Experten, kennt das Ergebnis für den "Telstar 18": erfolgreich bestanden. Und erklärt, eine Studie mit einem computergesteuerten Fuß zeige, "dass Bälle, bei denen ein flatterndes Flugverhalten bemängelt wurde, sich im Experiment keineswegs so verhielten".

2014
Foto: Adidas / Adidas Archive

Die brillante Laborwissenschaft endet allerdings auf dem grünen Rasen. Denn aerodynamisch gesehen ist die rundeste Kugel eine Katastrophe für eine exakte Flugbahn. Unberechenbare Wirbel sorgen dafür, dass er mit geringer Geschwindigkeit plötzlich absacken kann.

Die WM-Bälle weichen von einer Idealkugel meist nur um lächerliche 0,1 Prozent ab. Der Drall des Balles mit einer solchen Windschnittigkeit tendiert gegen Null, und er dreht sich kaum in der Luft. Hier sind die wahren Könner und Stars gefragt, damit das Gerät nicht ab vom Schuss landet.

Der nahezu perfekte Ball ist also eine Herausforderung für die weltmeisterlichen Kicker. Bananenflanken und Bogenlampenfreistöße können einfach nur begnadete Ballermänner.(Oliver Zelt, Caroline Wesner, 15.6.2018)