Leon S. Michel will Licht in die ivorischen Dörfer bringen.

Foto: Katrin Gänsler

Es ist ein wichtiges Ritual für Leon S. Michel. Jeden Morgen fährt der Elektriker mit dem Zeigefinger über sein handgeschriebenes Register und prüft, ob seine Mitarbeiter pünktlich zur Arbeit kommen. Dienstbeginn für die acht Angestellten und 30 Praktikanten, die der ivorische Staat zur praktischen Weiterbildung schickt, ist 6.30 Uhr. Nur wer pünktlich ist und bei seinen Kunden einen guten Eindruck hinterlässt, wird Folgeaufträge bekommen, sagt Michel, der meist selbst mitanpackt und wie seine Mitarbeiter auch Klimaanlagen, elektrische Tore und Videoüberwachungen installiert und Renovierungsarbeiten vornimmt.

Dritte Wahl

Ihm ist gelungen, wovon viele junge Menschen in der Elfenbeinküste träumen. Er hat sich aus dem Dorf zu einem Unternehmer mit Personal hochgearbeitet, der heute mitten in Yopougon, einem dicht bevölkerten Stadtteil in der Wirtschaftsmetropole Abidjan, sein Büro betreibt. Dabei war Elektriker gar nicht sein erster Berufswunsch. "Als ich in der Volksschule war, wollte ich unbedingt Richter oder ein leitender Beamter werden", erinnert er sich. Beide Ziele musste er schnell begraben. "Mir hat bald das Geld gefehlt." Es reichte nicht einmal, um die Matura zu machen.

In der Elfenbeinküste gibt es zwar staatliche Schulen. Doch auch dafür müssen Lernmaterial und Schulkleidung gekauft werden. Michel entschied sich stattdessen für eine Technikerschule und sammelte nebenher praktische Erfahrung. "Wenn ich schon nicht Richter oder Beamter werden kann, dann zumindest ein großartiger Elektriker, der Licht in die Dörfer bringt", motivierte er sich.

Globaler Trend

Michels Idee ist in der Elfenbeinküste nicht weit verbreitet. Verlässliche Zahlen zu Ausbildungs- und Berufswünschen gibt es nicht. Doch im Gespräch mit Schülern heißt das Minimalziel fast immer Matura. Das ist in anderen Ländern Westafrikas kaum anders. "In vielen Familien sind die Jugendlichen die erste Generation, die Zugang zu höherer, universitärer Bildung hat", sagt Julian-Jerome Berndt, der bei der Afrikanischen Entwicklungsbank für die Initiative "Jobs für Jugendliche in Afrika" arbeitet.

Hochschulabschlüsse würden heute als notwendig angesehen werden, um Arbeit zu finden, Miete zu zahlen und einen gewissen Lebensstandard zu haben – ein weltweiter Trend, der nun verspätet in vielen afrikanischen Ländern einsetzt. Das geht zu Lasten von Handwerksberufen, die laut Berndt als nicht lukrativ gelten. In Abidjan werben zwar an jeder Straßenecke Installateure, Mechaniker und Schreiner mit ihrem Betrieb.

Kunden klagen aber oft über unzureichende Ergebnisse. "Es geht nicht nur um die Arbeit als solche, sondern um Qualität und Service", so Berndt. Nachhaltige Ausbildung sei ein langfristiger Prozess, der "im großen Stil noch nicht existiert." Das duale Ausbildungsprinzip sei weitgehend unbekannt.

Tagelöhner oder Europa

Dabei drängen jährlich zig Millionen junge Erwachsene auf den afrikanischen Arbeitsmarkt. Laut Weltbank liegt die Arbeitslosenrate bei den 15- bis 24-Jährigen zwischen zwölf und 14 Prozent. Betroffen sind Hochschulabsolventen wie auch Menschen ohne jegliche Ausbildung. Junge Menschen ohne Schulabschluss schlagen sich oft als Tagelöhner durch. Das bringt zwar Geld zum Überleben, aber keine Perspektiven.

Auch Hochschulabsolventen berichten oft frustriert, dass sie keine dauerhaften Anstellungen finden, die ihren Qualifikationen entsprechen. Rund ein Drittel der 15- bis 24-Jährigen sind von diesem sogenannten Underemployment, betroffen. Die mangelnden Job aussichten und die Perspektivlosigkeit sind zudem Treiber der Migration in Richtung Nordafrika und Europa. Wer darüber nachdenkt, hat meist mehrere gescheiterte Arbeitsversuche hinter sich.

In Yopougon begutachtet Michel gerade Klimaanlagen, die demnächst bei Kunden eingebaut werden sollen. Dabei achtet er genau darauf, was seine Praktikanten machen. Manchmal fehle jungen Menschen der Mut und die Bereitschaft, Risiken einzugehen, kritisiert der Unternehmer. Er selbst hatte keine Wahl und fing in einem Bretterverschlag an. Eher zufällig erhielt er finanzielle Unterstützung von einer entfernten Bekannten und konnte so das Büro bauen. Als anfangs Aufträge fehlten, verkaufte er Erdnüsse, um über die Runden zu kommen. Heute weiß er, dass sich der Aufwand gelohnt hat. Die Regierung will er dennoch nicht aus der Verantwortung nehmen. "Sie muss viel mehr tun, um Jugendliche zu mobilisieren." (Katrin Gänsler aus Abidjan, 13.6.2018)