Im Jahr 2008 wurden im Zuge von Straßenbauarbeiten in der Nähe des Legionslagers von Lauriacum auf dem Gebiet der heutigen Stadt Enns zwölf Kalkbrennöfen entdeckt. Die Öfen sind im Kontext mit der Stationierung der legio II italica in Lauriacum im letzten Drittel des 2. Jahrhunderts nach Christus zu sehen. Vier Öfen wurden vollständig freigelegt und anschließend durch die Straße überbaut. Die übrigen acht Öfen wurden oberflächig untersucht und danach überschüttet. Im Rahmen der Forschungen im Vorfeld der heurigen oberösterreichischen Landesausstellung – siehe dazu auch die Archäologieblogbeiträge "Die Rückkehr der Legion": Was von den Römern in Oberösterreich übrigblieb, Lebenszeichen aus Lauriacum: Vom Leben und Sterben der Menschen am Donaulimes – konnte 2016/17 ein weiterer Kalkbrennofen (Nummer neun) durch ein Team des oberösterreichischen Landesmuseums und der Universität Salzburg untersucht werden.

Bemerkenswerter Erhaltungszustand

Ofen neun weist einen überaus bemerkenswerten Erhaltungszustand auf, selbst das zwei Meter hohe Feuerloch ist intakt. Das Ofenrund hat einen maximalen Durchmesser von 3,8 Metern, eine erhaltene Gesamthöhe von über vier Metern und ein Fassungsvermögen von mehr als 31 Kubikmetern. Es dürfte sich um einen der am vollständigsten erhaltenen Kalkbrennöfen im Imperium Romanum handeln. Der Ofen verlor wohl in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts seine ursprüngliche Funktion und wurde als überdimensionaler "Mülleimer" weiterverwendet.

In der Verfüllung wurden mehrere Steindenkmäler angetroffen, die mit Hercules in Verbindung stehen. Neben Fragmenten von Statuetten des Gottes fanden sich Weihinschriften, in denen zwei Immunes angeführt sind. Bei Immunes handelte es sich um Legionäre mit Spezialaufgaben, die vom normalen Dienst befreit waren. Ein Aelius Marcellus gibt sich auf einem vollständigen Weihaltar als militärischer Verwalter der Kalkbrenner (immunis calcariensis) zu erkennen. Das im Nahbereich der Kalkbrennöfen anzunehmende Hercules-Heiligtum konnte nicht lokalisiert werden.

Lauriacum/Enns, Kalkbrennofen Nummer neun, 2017.
Foto: R. Koch
7reasons im Auftrag der OÖ. Landesausstellung 2018

Tausende Tierknochen

Neben diesem außergewöhnlichen Ensemble des Hercules-Kults war der Ofen mit Unmengen an (Kalk-)Steinen und Ziegeln sowie einer großen Zahl an Gefäßfragmenten und Kleinfunden aus Metall verfüllt. Außerdem fanden sich tausende Tierknochen, die eindrucksvoll unterschiedliche Lebens- und Wirtschaftsbereiche des römischen Alltags am Donaulimes widerspiegeln. Diese erschließen sich nicht nur durch die große Vielfalt der nachweisbaren Tierarten, sondern auch durch deren Erhaltungs- und Überlieferungsformen. Vor allem Aspekte der Ernährungsweise der Bevölkerung und deren Interaktion mit Tieren sowie Strategien der Müllentsorgung können durch die Tierknochenfunde erstaunlich detailreich rekonstruiert werden.

Das Teilskelett eines Hundes am Boden der Aschengrube markiert den Beginn der Umfunktionierung des Kalkbrennofens zum "Mülleimer". Dieses und weitere unvollständige Skelette belegen, dass Tierkadaver im aufgelassenen Ofen entsorgt worden sind. Aufgrund der genauen Dokumentation der Lage der Skelettreste lässt sich erschließen, dass man diese achtlos in den Hohlraum des Brennofens geworfen hat. Vermutlich handelte es sich um mehr oder weniger stark verweste Kadaver. Es liegen weder vollständige Skelette vor, noch sind Schnittspuren an den Knochen zu finden, die ein Zerteilen der Tierkörper bezeugen würden. An einem Hundeschädel lässt sich eine gut verheilte Fraktur des Stirnbeins feststellen. Vergleichbare Beispiele von anderen Fundorten lassen die Annahme zu, dass auch menschliche Übergriffe zu solchen Verletzungen geführt haben, wodurch ein nicht immer sehr liebevoller Umgang mit Hunden nachgezeichnet werden kann.

Unvollständiges, unter anderem kopfloses Skelett eines Hundes am Boden der Aschengrube.
Foto: OÖ. Landesmuseum
Hundeschädel (nicht zugehörig zum Hund in der Aschengrube), die auffällige Delle über der rechten Augenhöhle bezeichnet die gut verheilte Schädelfraktur.
Foto: R. Gold, Inst. für Paläontologie, Universität Wien

Verbissspuren und Ernährungssitten

Bei den zahlreichen Pferde- beziehungsweise Maultierresten sind ebenfalls mehrfach Teilskelette festzustellen. Während diese Tiere nicht zur Ernährung der Bevölkerung Lauriacums dienten, da sich diesbezüglich an den Knochen keinerlei Spuren finden lassen, stellten sie für die lokale Hundepopulation eine Nahrungsressource dar, wie Verbissspuren belegen. Offenbar handelte es sich ebenfalls um Kadaverreste, die für Hunde zugänglich waren, bevor sie schlussendlich im aufgelassenen Kalkbrennofen deponiert wurden.

Hinweise auf die Ernährungssitten der antiken Bevölkerung liefern die Knochen von Rindern, Schweinen, Schafen, Ziegen und Fischen, die als Nahrungsabfall in den Kalkbrennofen gelangt sind. Diese sind oftmals systematisch zerhackt oder weisen charakteristische Schnittspuren auf, die die Handlungsabfolgen der römischen Fleischhauer abbilden und die Schlachtung der Tiere wie auch die Zerteilung der Tierkörper umfassen. Im Kalkbrennofen von Enns fanden sich mehrere gut erhaltene Rinderschädel mit charakteristischen Hiebspuren am Stirnbein, die vom Betäuben der Tiere stammen.

Ein Rinderschädel aus Enns. In der Mitte der Stirn befindet sich eine Hiebspur, die vermutlich von einem Beil stammt. Andere Frakturen stellen rezente Beschädigungen dar.
Foto: R. Gold, Inst. für Paläontologie, Universität Wien

Kulinarische Besonderheit

Nach der Entnahme des Gehirns und der Eingeweide sowie der Zerteilung der Wirbelsäule, Rippen und Gliedmaßen gelangten die Portionen zu den Verbrauchern. Deren Konsumverhalten zeichnet sich etwa in Form von Brandspuren am Knochen ab, die das Braten oder Grillen wahrscheinlich machen.

Eine kulinarische Besonderheit in provinzialrömischen Kontexten stellen Schulterblätter von Rindern dar, die über typische Spurenkombinationen verfügen. Oft besitzen sie ein auffälliges Loch in der Mitte des Schulterblattes, Schnittspuren und zahlreiche oberflächenparallele Hackspuren an den Flachseiten. Es wird angenommen, dass es sich um die Reste haltbar gemachter Schulterstücke handelt, deren verhärtete Muskelmasse durch den Einsatz von Fleischerbeilen vom Knochen gelöst wurde. Dies würde die eigenartigen Hackspuren erklären, während das zentrale Loch zur Befestigung der "Schinken" in Räucherkammern oder dergleichen gedient haben dürfte.

Rinderschulterblatt mit typischer Spurenkombination.
Foto: R. Gold, Inst. für Paläontologie, Universität Wien

Der Alltag der provinzialrömischen Bevölkerung

Die Funde aus dem Kalkbrennofen Nummer neun stammten somit aus ganz unterschiedlichen Kontexten und zeichnen ein detailreiches Bild des Alltags der provinzialrömischen Bevölkerung nach. Die bisher erzielten Ergebnisse werden im Rahmen der oberösterreichischen Landesausstellung im Museum Lauriacum in Enns präsentiert.

Die Kalkbrennofenbatterie von Lauriacum/Enns stellt die größte bisher bekannte in den Rhein-Donau-Provinzen des Imperium Romanum dar. Aufgrund ihrer überregionalen Bedeutung ist sie ein wichtiger Bestandteil einer der Ennser Kernzonen in der im Jänner 2018 erfolgten Einreichung zum Unesco-Welterbe Donaulimes – Abschnitt West. Ofen neun soll durch einen Schutzbau langfristig gesichert und zugänglich gemacht werden. (Herbert Böhm, Felix Lang, Stefan Traxler, 14.6.2018)