Kim Kum-mi, links, als Hekuba, Königin von Troja, und Yi So-yeon als Kassandra, ihre Tochter.

Foto: National Theater of Korea

Pansori ist eine 300 Jahre alte koreanische Form des Geschichtenerzählens, bei der ein zentraler Darsteller im Dialog mit einem Musikinstrument von tief empfundenen Erlebnissen berichtet. Regisseur Ong Keng Sen, ein durch Arbeiten am Wiener Schauspielhaus oder Landestheater Linz hierzulande bekannter Künstler und Kurator aus Singapur, hat für Trojan Women den Pansori-Gesang mit der traditionellen koreanischen Oper (Changgeuk) kurzgeschlossen.

Sein Musiktheater, das nach Stationen in London und Amsterdam ab Samstag bei den Wiener Festwochen im Theater an der Wien gastiert, basiert auf dem mythologischen Stoff des Trojanischen Krieges, genauer: auf Jean-Paul Sartres Die Troerinnen des Euripides. Dabei erschließt die Pansori-Technik des wehklagenden Tons den Darstellerinnen eine intensive menschliche Ausdrucksweise (in Mimik und Gestik), die auf deutschsprachigen Bühnen als "Einfühlungstheater" verschrieen ist, hier aber durch die strenge Form der Erzählerposition, die mit dem Rollencharakter nicht zur Gänze ident ist, eine fast postdramatische Attitüde des reflektierten Spiels abgibt.

Beachtliche Lautstärke

Man wohnt bei Trojan Women also einer knapp zweistündigen halb gesprochenen, halb gesungenen Trauererzählung in beachtlicher Lautstärke bei, die sich ähnlich um Katharsis bemüht wie auch ein Popkonzert, das das Publikum auf seinen Schwingungen mitträgt, hier allerdings hochkonzentriert und in einer Dramaturgie aus einem Guss.

Es geht in Trojan Women um die Frauen von Troja, die nach dem verlorenen Krieg (Holzpferd!) den griechischen Siegern als Sklaven in die Hände fallen. Kassandra wird an Agamemnon verlost, Hekabe an Odysseus, Andromache an Achills Sohn Neoptolemos. Sie haben ihre Männer und Väter im Kampf verloren, ihre Kinder wurden geschlachtet, ihre Heimat liegt in Schutt und Asche, nun sehen sie sich ihrer persönlichen Freiheit beraubt.

Dem Klageton der Herrscherfrauen fügt die koreanische Stückfassung von Bae Sam Sik als repräsentationskritische Geste auch die Stimmen von trojanischen Sklavinnen bei, sodass eine andere Gesellschaftsschicht als die der Herrschenden zu Wort kommt. Diese Sklavinnen sprechen aus, was in ihren Augen Sache ist: Für sie ändert der Niedergang des Königshauses nämlich nichts, "auf die eine Hölle folgt die nächste", singen sie. Ein ungewöhnlicher Perspektivenwechsel.

K-Pop-Anklänge

Ist die in Korea bekannte Künstlerin Ahn Sook-sun für die Komposition der Pansori-Gesänge verantwortlich, getragen von koreanischen Musikinstrumenten, etwa der sechssaitigen Wölbbrettzither (Geomungo) oder koreanischen Flöten (Taegum), so stammen die Chorlieder vom jungen K-Pop-Musiker Jung Jae-il. Vermutlich unterstützen die rein illustrativ-kitschigen Videoprojektionen von Meeresfluten, Weltraumlichtern oder Feuersbrünsten die Anmutung, dass die Musik im anschwellenden Bereich und insbesondere, wenn sie zusätzlich zum koreanischen Orchester vom Band eingespielt wird (so war es in Amsterdam), in Richtung elektroverstärkter Klassik im Stile André Rieus geht.

Diese Spannweite macht die Wirkmächtigkeit des Abends aus: vom minimalistischen Sologesang bis hin zur chorischen Intensität mit Videobombast. Die Choreografie ist entsprechend reduziert: Chorfrauen, die vor dem Königspalast (der ein wenig an die Einfahrt einer Fähre erinnert) blutige Wolle wickeln. (Margarete Affenzeller aus Amsterdam, 14.6.2018)