Kinder, die gerade erst schwimmen gelernt haben, sind im Wasser nicht sicher. Wenn sie überrascht werden, können sie alles Gelernte vergessen.

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Strampeln, um Hilfe rufen, um sich schlagen – so sieht es aus, wenn in Hollywoodfilmen jemand zu ertrinken droht. Die Realität ist eine andere, insbesondere bei Kindern. "Sie ertrinken lautlos, das ist das Tückische", sagt Holger Till, Vorstand der Grazer Universitätsklinik für Kinder- und Jugendchirurgie. Bei Erwachsenen fehle leider oft das Bewusstsein dafür, wie schnell es gehe, wenn ein Kind ertrinkt, so der Mediziner.

Zeit ist im Ernstfall ein ganz wichtiger Faktor. Sobald der Kopf unter Wasser ist, droht eine Hypoxie, also die Minderversorgung des Körpers mit Sauerstoff. "Und dann hat man zwei bis drei Minuten maximal, bevor Schäden entstehen. Das ist eine ganz kurze Zeit, bis man das Kind vermisst oder es gesehen hat und sich wieder zu ihm umdreht", sagt Till.

Einer der Gründe für das hohe Risiko für Kleinkinder, zu ertrinken ist der sogenannte Totstellreflex, der bei Kindern bis zum Alter von drei Jahren auftritt: Sie können aus ungeklärter Ursache den Kopf nicht aus dem Wasser heben, selbst wenn die Wassertiefe zehn Zentimeter oder weniger beträgt. "Die Kleinkinder bekommen Angst vor dem Wasser und wehren sich nicht, selbst bei kleiner Tiefe, wo man sich als Erwachsener denkt: 'Steh halt schnell auf'", sagt Till. Gefahrenquellen sind deshalb nicht nur Pools, Biotope oder Teiche, sondern auch Planschbecken und Regentonnen.

Rückläufige Zahlen

Obwohl Babys über einen sogenannten Atemschutzreflex verfügen, mit dem sie unter Wasser automatisch die Luft anhalten, kommt auch bei ihnen der Moment, in dem sie wieder nach Luft schnappen müssen. Und dann, so Till, registrieren die Kleinkinder nicht, dass sie noch tauchen, und atmen Wasser ein. Zudem verlieren Babys den Atemschutzreflex zwischen dem dritten und dem sechsten Lebensmonat.

Ertrinken ist die häufigste tödliche Unfallursache bei Kindern bis fünf Jahren, die zweithäufigste bei älteren Kindern. Till hat gemeinsam mit Peter Spitzer vom Forschungszentrum für Kinderunfälle des Vereins Große schützen Kleine 200 Ertrinkungsunfälle aus dem Zeitraum 2007 bis 2017 analysiert. Das Ergebnis: Jeder fünfte Ertrinkungsunfall endete tödlich. Ebenso viele Kinder müssen infolge des Ertrinkungsunfalls mit einer schweren geistigen Behinderung leben.

Insgesamt geht die Zahl der tödlichen Kinderunfälle durch Ertrinken jedoch zurück. Waren es im Zeitraum 1996 bis 2000 noch 18 Prozent, lag die Zahl im Zeitraum 2011 bis 2015 nurmehr bei zehn Prozent. "Sie hat sich also beinahe halbiert", sagt Spitzer.

Private Pools als Gefahr

Fast die Hälfte aller Ertrinkungsvorfälle passiert in öffentlichen Schwimmbädern oder Seen, rund ein Viertel im eigenen Pool. Danach folgen Flüsse und Teiche/Biotope.

Betrachtet man jedoch die tödlichen Ertrinkungsunfälle, so finden sich private Pools und Flüsse an erster Stelle. Auf sie entfallen je 30 Prozent der tödlichen Unfälle. 14 Prozent passieren in öffentlichen Schwimmbädern, neun Prozent in Seen.

In öffentlichen Schwimmbädern ist die Überlebensrate nach einem Ertrinkungsunfall relativ hoch, weil das zu ertrinken drohende Kind oftmals rasch bemerkt beziehungsweise aufgefunden wird. Außerdem gibt es hier eine schnelle, gute Rettungskette. In privaten Pools hingegen wird das Kind oft zu spät bemerkt. Auch sind die Erste-Hilfe-Kenntnisse der Aufsichtsperson meist mangelhaft.

Buben sind statistisch gesehen etwas häufiger betroffen (zwei Drittel der Unfälle) als Mädchen. "Vielleicht weil sie aktiver sind oder weil man ihnen eher zutraut, dass sie etwas schon können. Mädchen sind vorsichtiger und schlauer", sagt Till. Auch bei vielen anderen Kinderunfallarten sind Buben einem höheren Risiko ausgesetzt.

Schwimmkenntnisse überschätzt

Eine Unterscheidung des Unfallherganges in "bewusstes Schwimmen und untergehen" (41 Prozent), "Hineinstürzen in ein Gewässer" (34 Prozent) und "unbemerkt ins Wasser gelangen" (25 Prozent) zeigt, dass bei den Jüngsten die Aufsicht der Erwachsenen und bei den Mittleren das Überschätzen der Schwimmkenntnisse signifikant zum Unfall beitragen.

Apropos: Ab vier Jahren sollten Kinder Schwimmkurse besuchen. "Scheine", wie etwa der Freischwimmerausweis, werden aber sowohl von Kindern als auch von Eltern überschätzt, wissen die Experten. "Kinder, die gerade erst schwimmen gelernt haben, sind im Wasser nicht sicher. Vor allem, wenn sie es in einem Schwimmbad gelernt haben und nun in einem See oder im Meer schwimmen. Werden sie von einer ungewohnten Situation überrascht, können sie alles Gelernte vergessen und schnell und lautlos untergehen", sagt Till. Neben Meer und See passiert das auch immer wieder in Wellenbecken und Strömungskanälen.

Spezielle Schwimmtechniken, etwa die aus den USA kommende Infant Swimming Resource, bei der Kinder ab sechs Monaten lernen, sich auf den Rücken zu drehen, befürwortet Till: "Alles, was hilft, die Kinder vorzubereiten, ist eine gute Idee."

Sicherheitstipps für Eltern und Aufsichtspersonen

  • Kinder sollten, bis sie zehn Jahre alt sind und sehr gut schwimmen können, am und im Wasser nie aus den Augen gelassen werden. "Das klingt strikt, aber hier gibt es absolut keinen Spielraum für Kompromisse", sagen Experten.
  • Aufsichtspersonen sollten einen Kindernotfallkurs absolvieren, um im Ernstfall schnell und richtig reagieren zu können.
  • Pools, Biotope und Teiche sollten mit einem 1,5 Meter hohen Zaun und einer selbstschließenden Tür gesichert werden.
  • Eltern sollten sich gut überlegen: Muss ein privater Pool wirklich jetzt schon sein oder können sie damit warten, bis die Kinder älter sind und gut schwimmen können.
  • Für private Pools gibt es elektronische Sicherheitssysteme, die Alarm schlagen, wenn ein Kind unbeobachtet ins Wasser geht oder zu ertrinken droht.
  • Kleinkindern sollte beigebracht werden, nur mit Erwachsenen ans und ins Wasser zu gehen, und größeren Kindern, immer nur zu zweit zu schwimmen.
  • Auf Schwimmhilfen ist kein Verlass: Sie bieten keinen zuverlässigen Schutz.
  • Wenn kleine Kinder verschwunden sind, sollte immer zuerst dort gesucht werden, wo Wasser ist oder sein könnte. (red, 15.6.2018)