Sebastian Kurz versteht es, äußere Umstände für sich zu nützen.

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Dass Sebastian Kurz einen starken Zug zum Tor hat, hat er schon oft bewiesen – etwa als er vor einem Jahr die am Boden liegende ÖVP übernahm und sie innerhalb von nur fünf Monaten zur Nummer eins bei der Nationalratswahl machte. Chance verwertet. Und auch jetzt beweist der Bundeskanzler und vormalige Außenminister, dass er das Match nicht nur lesen, sondern manche Spielzüge sogar antizipieren kann.

So war das auch in den vergangenen Tagen in Sachen Migrationspolitik. Zuerst die Ansage bei der Klausur der Europäischen Volkspartei in München, wo Kurz wie ein Goleador gefeiert wurde und sich alle darauf einschwören ließen, im kommenden Europawahlkampf weniger gegen die Linke vorzugehen, sondern der noch weiter rechts stehenden Rechten das Wasser abzugraben. Rezept Kurz – so hatte er es schon in Österreich demonstriert, wo aus dem Umfragekaiser FPÖ ein ziemlich willfähriger Juniorpartner wurde, den man nur hie und da an die kurze Leine nehmen muss.

Dann ein Intermezzo des Bundeskanzlers in Israel, wo er immerhin viel für das Ansehen Österreichs tat, indem er den Kampf gegen Antisemitismus zur "Staatsräson" erhob – auch wenn das mit besagter FPÖ als Regierungspartner nicht völlig glaubwürdig erscheinen mag.

Wieder zurück in Europa, flog Kurz direkt nach Berlin, wo er freundliche Worte mit seiner Amtskollegin Angela Merkel wechselte. Doch dann, am Tag danach, brüskierte er sie mit der Ankündigung einer "Achse der Willigen zwischen Rom–Berlin–Wien" (so Kurz auch auf Twitter), um die "illegale Migration" in den Griff zu bekommen. Abgesehen davon, dass die Wahl des Begriffs "Achse" in einem solchen Zusammenhang bestenfalls historisch unbekümmert oder unglücklich ist, hat Kurz es einmal mehr verstanden, äußere Umstände für sich zu nützen – und eine weitere Chance zu verwerten. Er hat erneut die Themenführerschaft errungen.

Denn in Italien nützt Kurz der Umstand, dass Giuseppe Conte nur auf dem Papier Regierungschef ist. Tatsächlich haben die Chefs der beiden populistischen Regierungsparteien das Sagen – und zwar uneingeschränkt. In Rom weiß Kurz daher Innenminister Matteo Salvini von der rechten Lega mit dessen schon jetzt hart zur Schau gestellten Migrationspolitik zu hundert Prozent auf seiner Seite. Ein sicherer Verbündeter.

Und auch in Deutschland nützt Kurz den Umstand für sich, dass Horst Seehofer Innenminister ist. Einer, dessen Ideen zur Einwanderung kompatibel mit der eigenen Politik sind; und einer, der sich ständig an seiner Chefin reibt – bis hin zur Drohung, die Union zu sprengen. Merkel hat hier doppelte und dreifache Mühe, mit ihrer liberaleren Haltung in Sachen Migration die Oberhand zu bewahren.

Für Kurz erzeugt das eine positive Spieldynamik. Nachdem das Narrativ der Schließung der Balkanroute mittlerweile europaweit gut eingesickert sein dürfte, macht er sich daran, die Meriten auch für die Bemühungen zum Aufbau eines umfassenden EU-Grenzschutzes in Anspruch zu nehmen. Inklusive Anhaltelager oder -zentren – wie immer sie auch genannt werden mögen – außerhalb der EU, etwa in Albanien. Die Unterstützung des momentan wachsenden konservativen und rechten Teils Europas ist ihm sicher. Ob er dieses Match dann auch gewinnen wird, wird man spätestens im Mai 2019 sehen: Dann sind Europawahlen. (Gianluca Wallisch, 14.6.2018)