Der Wiener Rapper Nazar spielt mit Klischees, mischt sie aber auch gern auf. Am Freitag erscheint sein achtes Album. Es heißt "Mosaik".

Foto: Universal Music

Wien – Er ist höflich, aber bestimmt. In der Pädagogik würde man das Frontalunterricht nennen, aber einen mit Charme und Manieren. Hin und wieder beginnt er mit "Jetzt sag ich dir mal etwas" oder "Hör zu!". Denn das ist sein Metier: Nazar ist Rapper. Das ist per se ein Frontalunterricht – und er darin derjenige, der sagt, was läuft und wie es läuft, seiner Meinung nach.

Nazar ist einer der erfolgreichsten Rapper Österreichs. Heute erscheint sein Album Mosaik. Es ist sein achtes in zehn Jahren. Das hätte er sich damals, als er angefangen hat, selbst nicht gedacht. Er hat sich zwei, drei Jahre gegeben, doch dann kam es anders. Zuerst kannte ihn nur die Nachbarschaft, dann die halbe Siedlung, in der er aufgewachsen ist. Das war was. Später sprachen ihn sogar Menschen in den USA auf der Straße an, weil sie seine Videos auf Youtube kannten.

Wenn Nazar so etwas erzählt, leuchten seine Augen. Darauf darf man stolz sein, denn es ist eine Erfolgsstory, und die war nicht unbedingt vorgesehen. Nazar stammt aus dem Iran. Er wurde 1984 in Teheran geboren, nach dem Tod seines Vaters flüchtete seine Mutter mit ihm und seinem Bruder nach Wien, hier ist er aufgewachsen, in Favoriten.

Hip-Hop, das hatte Stil

Mit zehn kam sein persönlicher der Urknall. Er hörte das erste Mal Hip-Hop – etwas aus dem Universum des Wu-Tang Clan, ein Album von Method Man. Zwar verstand er nicht, worum es ging, aber er war fasziniert. Punk oder Rock haben ihn nie interessiert. Das waren bloß verschwitzte Typen in abgefuckten Klamotten, Hip-Hopper aber, fand er, die hatten Stil. Als er schließlich verstand, was die rappten, merkte er, das ist ein bisschen wie bei ihm: "Man hat sich damit identifizieren können, wie die von den Ghettos erzählt haben. Das hat man zwar nicht miterlebt, aber sich daraus ein Bild für die eigene Welt erschaffen. Das war schlüssig."

2006 wurde aus Ardalan Afshar der Rapper Nazar, zwei Jahre später erschien sein Debüt, sein erster Erfolg. Tracks hießen Fremd im eigenen Land oder Schnelles Geld. Neun Wochen war er die Nummer eins der MTV-Charts – das machte ihn auf Anhieb auch in Deutschland bekannt.

Nazar

Die eigenen Fans irritieren

Mittlerweile dreht Nazar Musikvideos, für Stefan Ruzowitzkys Thriller Die Hölle hat er den Titelsong produziert. Nazar ist dabei wohltuend eigensinnig. Er sagt nicht zu allem Ja, das Geld bringt. Für Tschick zu werben und dabei böse in die Kamera zu schauen, interessiert ihn nicht. Aber wenn er die eigene Community irritieren kann, ist er dabei. Etwa indem er sich als Testimonial einer Drogeriekette zur Verfügung stellte. Das entsprach nicht dem Streetfighter, den er in seinem ersten Hit besungen hat. "Dabei geben Typen heute genauso viel Geld für Pflegeprodukte aus wie Frauen. Außerdem ist es okay, zu Hause zu helfen, selber zu kochen, ein moderner Mann zu sein."

Auf Mosaik gibt er den Macho und den sensiblen Mann. Ein Stück wie Gossip strapaziert Bitches und Fotzen, im Track Wdingh gibt er sich reflektierend und verletzlich. Beides ist Nazar. Es geht darum, authentisch zu sein. Da macht ihm die Entwicklung des Hip-Hops gerade ein wenig Sorgen. Angesagte Spielarten wie Cloud-Rap hält er für einen Totalschaden, was in den Charts läuft für belanglos. "Das hat nichts mehr mit dem zu tun, wofür Hip-Hop einmal gestanden ist: für authentische Texte mit Lebensbezug. Es geht nur noch darum, ob man zu dem Song tanzen kann und wie viele Markennamen er enthält."

Nazar

Ungeliebte Tradition

Er hat nichts gegen Partymusik, aber die Balance zwischen seriösen Anliegen des Hip-Hop und Partymusik sieht er ungünstig verschoben. Aber er ist nicht nur zu anderen streng, manches verbietet er sich selbst. Den Lehrmeister zum Beispiel. Er spielt seine Message gern über die Bande des Humors und nennt seinen Song Kanax. "Der ist bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund extrem beliebt, weil er Klischees humorvoll zerpflückt. Viele empfinden Traditionen ja als Falle, aus der sie rauswollen."

Was er sich noch verbietet, ist das Schlechtreden anderer Rapper. Als er für Kollegah und Farid Bang Videos gedreht hat, machte er es nur unter der Bedingung, dass in den Tracks niemand gedisst wurde. Zum Skandal um die beiden sagt er: "Ich fand diese Auschwitz-Zeile nicht lustig. Auch nicht die Zeilen, in denen sie sich über Syrer und Asylanten lustig gemacht haben. Aber diese Zeilen waren kein Thema. Jetzt versetz dich in Jugendliche, die in Youtube-Videos Juden als Weltverschwörer vorgesetzt bekommen. Die lesen in den großen Medien nichts über die Raps über Asylanten oder Syrer, nur über die antisemitischen. Für die ist das wie ein Beweis, dass das aus dem Youtube-Video stimmt. Das verstärkt nur Ressentiments."

Nazar

Unmusikalischer Deutsch-Rap

Deutschen Battle-Rap mag er nicht sehr. Immer wird nur beleidigt, die Musik verkommt zur Nebensache. In den USA sind Hip-Hopper musikalischer. Deshalb werden Nummern von Tupac oder The Notorious B.I.G. aus den 1990ern heute noch in den Clubs gespielt – selbst wenn die Leute gar nicht wüssten, worum es da geht.

Gleichzeitig will er sich nicht für jedes "Bitch" in seinen Tracks rechtfertigen. HipHop ist eine Kunst, derlei Begriffe gehören zum Vokabular. Die enorme Popularität des Fachs freut ihn. Für ihn ist Rap schon lange die erfolgreichste Musikgattung, viele Medien boykottieren sie aber, doch das Internet hat diese Schieflage begradigt. Für Nazar ist Rap die höchste Form der Musik, wenn es um Texte geht: "Dafür werde ich oft belächelt." Doch nach dem Literaturnobelpreis für Bob Dylan und dem Pulitzerpreis für Kendrick Lamar könnte der nächste Nobelpreis ruhig an einen Hip-Hopper verliehen werden. An wen? "Warum nicht an mich?" Sagt es – und grinst. (Karl Fluch, 15.6.2018)