191 Menschen leben im Beduinendorf Khan al-Ahmar – in Hütten aus Wellblech, Holz und Plastikplanen. Sie sollen umziehen.

Foto: AFP / Menahem Kahana

Eid Abu Khamis kommt mit seinem weißen Kleinwagen den staubigen Weg entlanggebraust, der Sprecher des Beduinendorfs Khan al-Ahmar war bei einem Treffen mit der israelischen Zivilbehörde. Der 51-Jährige – von der Sonne gegerbte Haut, weißes Hemd, dunkelblaue Hose – steigt aus dem Wagen, zündet sich eine Zigarette an und schimpft: "Die wollen, dass der Umzug hier friedlich abläuft, sie wollen uns sogar die Transportkosten bezahlen!"

Eid Abu Khamis ist aufgebracht. Er will gar nicht umziehen. "Sie setzen uns unter Druck, sagen aber nicht, wann sie uns räumen. Sie wissen, dass ich dann eine ganze Medienschar hierherbringen werde." Noch leben in Khan al-Ahmar 191 Menschen in einfachsten Hütten aus Wellblech, Holz und Plastikplanen, zwischen Schafställen und Müll, gleich an der Schnellstraße 1 gelegen, die von Jerusalem ans Tote Meer führt. Gar nicht so schlecht, finden die Bewohner – zumindest wollen sie nicht weg.

Doch das Beduinendorf mit seinen 35 Familien könnte schon bald von den israelischen Behörden geräumt werden: Seit Jahren gibt es dafür einen Abrissbefehl – denn die Hütten wurden ohne Genehmigung aufgestellt. Die Bewohner von Khan al-Ahmar haben mithilfe eines Anwalts immer wieder dagegen gekämpft. Doch nach zahlreichen Verhandlungen hat der Oberste Gerichtshof Ende Mai entschieden: Der Räumung von Khan al-Ahmar steht – zumindest rechtlich – nichts mehr im Weg.

Umstrittenes Vorgehen

Das Vorgehen der israelischen Behörden ist höchst umstritten: "Die Zwangsräumung stellt ein Kriegsverbrechen dar, Israel darf Menschen in besetztem Gebiet nicht einfach zum Wegziehen zwingen", kritisiert der Sprecher der israelischen Menschenrechtsorganisation B'Tselem, Amit Gilutz. Vor allem die Tatsache, dass Israel gleichzeitig den Bau von 2000 neuen Wohneinheiten in israelischen Siedlungen im besetzten Westjordanland angekündigt hat, sieht die EU kritisch: Sie warnt, die Realisierbarkeit einer Zweistaatenlösung und die Aussichten auf einen anhaltenden Frieden würden unterminiert.

Erst am Mittwoch hat die Uno-Vollversammlung mit großer Mehrheit Israel für die jüngste Gewalt im Gazastreifen verurteilt. Auch der aktuelle Fall in Khan al-Ahmar sorgt für Kritik. Die Bewohner des Dorfes gehören zum Jahalin-Stamm und lebten einst in der Arava-Wüste.

Doch anders als viele andere Beduinen, die sich nach der Staatsgründung mit den Israelis zusammenrauften haben und bereit waren, für die Staatsbürgerschaft auch den Militärdienst zu absolvieren, weigerten sich die Jahalin-Beduinen, erklärt Eid Abu Khamis. Darum zogen sie 1951 in das damals von Jordanien kontrollierte Territorium. Heute liegt Khan al-Ahmar im C-Gebiet des Westjordanlands – also jenem Gebiet, in dem Israel vollständig das Sagen hat und in dem israelische Siedlungen bis heute ausgebaut werden. Auch die Beduinen in Khan al-Ahmar wohnen nur rund zwei Kilometer von der Siedlung Kfar Adumim entfernt. Die Stadtverwaltung dort hatte daran mitgearbeitet, die Räumung vor Gericht voranzutreiben.

Das Brisante: Wenn irgendwann auch dort Wohnhäuser für Israelis gebaut werden, wo derzeit noch die Beduinen von Khan al-Ahmar hausen, würde das Westjordanland von einem durchgängigen Siedlungsblock durchschnitten und in Nord und Süd unterteilt. "Der Bau neuer Siedlungen für Israelis bei gleichzeitiger Zerstörung palästinensischer Häuser in der gleichen Gegend schafft nur weiter eine Einstaatenrealität, fortwährende Besatzung und Konflikt", heißt es in der EU-Stellungnahme.

B'Tselem sieht darin die Bestrebung Israels, so viel Land wie möglich mit so wenigen Palästinensern wie möglich zu kontrollieren, und verweist darauf, dass es den Beduinen bislang unmöglich war, Baugenehmigungen zu erhalten – Israel habe schlicht keine erteilt. Wohl auch deswegen hat die EU einige Einrichtungen mitfinanziert – trotz fehlender Genehmigung. Auch die Schule wurde im Jahr 2009 mit Unterstützung einer italienischen Organisation errichtet: Bis zum Beginn der Sommerferien wurden hier 170 Schüler zwischen sechs und 14 Jahren in neun Klassenzimmer unterrichtet, erzählt die Schulleiterin Khalime Sakhaika.

"Als Schachfiguren missbraucht"

Die NGO Regavim, die in den vergangenen Jahren immer wieder Petitionen eingereicht hat, um den Umzug zu beschleunigen, hält den Vorwurf einer Zwangsräumung für absurd: "Zehn Jahre war Israel im Austausch mit den Anführern der Beduinenstämme", sagt Sprecherin Naomi Kahn. Man habe versucht, eine gemeinsame Lösung zu finden, doch die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) und die EU hätten alles daran gesetzt, damit das Dorf bleibt. "Leider wurden die Bewohner von Khan al-Ahmar von der PA als Schachfiguren missbraucht – im Bestreben, die Kontrolle über das C-Gebiet zu erlangen", so Kahn.

Für die Beduinen steht bereits ein neuer Wohnort in Aussicht, nahe Abu Dis, rund sechs Kilometer von ihrem bisherigen Dorf entfernt. Nach Angaben der Zivilbehörde soll dort auch eine neue Schule errichtet werden. Jede Familie bekomme einen Bauplatz mit Wasser und Strom. Eid Abu Khamis schüttelt den Kopf: "Nicht einmal für Tiere ist dieser Ort angebracht." Die Bauplätze für die Familien lägen direkt neben einer Müllkippe. Zudem bekomme jede Familie nur 250 Quadratmeter, für die Schafe sei kein Platz, sagt er.

"Wir müssten sie verkaufen oder schlachten." Die Beduinen wollen also auf keinen Fall freiwillig gehen – die Zivilbehörde will den Umzug hingegen so still wie möglich gestalten. Sollte Khan al-Ahmar erst einmal zerstört sein, so befürchten NGOs, dass das nur der Anfang war und noch viele weitere Beduinendörfer folgen könnten. (Lissy Kaufmann aus Khan al-Ahmar, 15.6.2018)