Kein Familienidyll: Winnie-the-Pooh, Christopher Robin und A. A. Milne im Hundert-Morgen-Wald.


Foto: abs Films

Wien – Filme, die sich auf wahre Begebenheiten berufen, erweisen der Wirklichkeit gerne mit dem Abspann ihre Reverenz. Meistens sind das Fotografien der realen Personen, die man noch kurz zuvor als Figuren wahrgenommen hat. In diesem Fall ist das letzte Bild eine Aufnahme aus der New Yorker Public Library. Allerdings sind darauf ein Bär, ein Esel, ein Schweinchen und ein Tiger zu sehen. Sie sind aus Stoff und locken 750.000 Besucher im Jahr an. Denn sie waren die Kuscheltiere von Christopher Robin.

Der Trailer zum Film.
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Der Sohn des britischen Autors Alan Milne erlangte Berühmtheit, weil sein Vater ihn 1926 als Figur in seinem Kinderbuchklassiker Winnie-the-Pooh verwendete. Milne griff dafür nämlich nicht nur auf das Leben, sondern auf sein eigenes Kind zurück. "We're writing a book and we're having fun", meint er in Simon Curtis' vielschichtigem Familiendrama Goodbye Christopher Robin zum Nachwuchs, der eigentlich ein Mädchen hätte werden sollen. Milne (Domhnall Gleeson) ist traumatisiert vom Ersten Weltkrieg, führt mit seiner Frau Daphne (Margot Robbie) eine komplizierte Ehe, während Christopher (Will Tilston) mit Nanny und Plüschfreunden aufwächst.

Literatur und echtes Leben

Der auf Biopics spezialisierte Brite Curtis (My Week with Marilyn) verwebt für seine in leisen Tönen erzählte und beklemmende Familiengeschichte verschiedene Motive: verlorene Kindheit, Instrumentalisierung von Unschuld, elterliche Verantwortung und falschen Ehrgeiz. Doch Goodbye Christopher Robin lässt sich, der Chronologie der Ereignisse folgend, erst gar nicht auf die Frage nach etwaiger Schuld ein, sondern sucht nach Erklärungen: Wie kann der eine das Leben des anderen zu Literatur verarbeiten, während dieser im wirklichen Leben erst Fuß fassen muss?

Christopher Robin Milne eröffnete einen kleinen Buchladen und verarbeitete seine Kindheit sein Leben lang. Sein Alter Ego verarbeitete Disney zu einem infantilen Franchise. (Michael Pekler, 15.6.2018)