Alle Angeklagten wurden in Ungarn zu Haftstrafen verurteilt, wenn auch nicht zu so hohen wie gefordert.

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Unter großem medialem Interesse hat das Gericht in Kecskemét die Urteile gegen die Verantwortlichen für die sogenannte Todesfahrt von Parndorf gefällt. Die vier Männer – drei Bulgaren und ein Afghane – müssen nach dem Richterspruch vom Donnerstag für 25 Jahre ins Zuchthaus, wie in Ungarn der verschärfte Strafvollzug genannt wird. Richter János Jádi sah es als erwiesen an, dass I. S., der Fahrer des Todes-Lkws, W. T., der Fahrer des Begleitfahrzeugs, der bulgarische Organisator G. M. und dessen unmittelbarer afghanischer Chef L. S. ein Tötungsdelikt an den 71 ihnen anvertrauten Flüchtlingen begangen haben.

Den Kühllaster mit den Leichen der im Laderaum qualvoll erstickten Opfer hatte I. S. in einer Pannenbucht an der A4 bei Parndorf abgestellt. Die österreichische Polizei war einen Tag später, am 27. August 2015, auf ihn gestoßen. Die Menschen im Laderaum waren bereits auf ungarischem Boden gestorben. Der Schlepperring operierte von Ungarn aus.

Der Fund der toten Flüchtlinge im Klein-Lkw fand während der großen Fluchtbewegung im Jahr 2015 durch Europa statt.
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14 Angeklagte

In dem komplexen Verfahren, das vor knapp einem Jahr am Gericht in Kecskemét begann, waren insgesamt 14 Schlepper angeklagt, unter ihnen drei in Abwesenheit. Verhandelt wurde nicht nur die Todesfahrt, sondern auch 25 weitere Schlepperfahrten nach Österreich und Deutschland. Diese Angeklagten erhielten Freiheitsstrafen zwischen drei und zwölf Jahren wegen Menschenschmuggels im Rahmen einer kriminellen Vereinigung.

Bei der strafrechtlichen Beurteilung der tödlichen Fahrt von Parndorf folgte das Gericht nicht dem Antrag des Staatsanwaltes. Dieser hatte die Tat als Mord bezeichnet und für die vier Hauptangeklagten lebenslange Freiheitsstrafen gefordert. Die Verteidiger hatten wiederum darauf plädiert, dass sich ihre Mandanten der Gefährdung im Straßenverkehr mit Todesfolge schuldig gemacht hätten und deshalb relativ milde zu bestrafen seien.

"Keine klare Absicht"

Wie Richter Jádi in seiner mehr als zweistündigen Urteilsbegründung erklärte, konnte davon jedoch keine Rede sein. Anders als von der Anklage unterstellt verfolgten die vier zwar "keine klare Absicht", die Flüchtlinge zu töten. Dennoch ließen sie sich eine "absichtliche Unterlassungstat" zuschulden kommen. Sie hätten wissen müssen, dass die Menschen im Lkw in Todesgefahr waren, zumal diese sich durch Schreie und Trommeln an die Innenwände bemerkbar gemacht hätten und der Fahrer I. S. am Telefon mit G. M. darüber gesprochen habe. "Eine Mischung aus Gier, Angst vor Entdeckung und Affekthandlungen hat sie daran gehindert, etwas zu tun", sagte der Richter.

Als straferschwerend wertete das Gericht die große Zahl an Todesopfern, darunter vier Kinder, und den Umstand, dass die Taten im Rahmen einer kriminellen Vereinigung begangen wurden. Das von der rechtspopulistischen Regierung unter Viktor Orbán mehrfach verschärfte ungarische Strafrecht schränkt die Richter bei der Bemessung des Strafmaßes erheblich ein. Diese müssen grundsätzlich vom Mittel des vorgesehenen Strafmaßes ausgehen, bei Taten im Rahmen einer kriminellen Vereinigung verdoppelt sich das Höchstmaß.

Noch nicht rechtskräftig

Richter Jádi empfand es deshalb als angebracht, am Ende der Begründung darzulegen, warum er für die Täter von Parndorf nicht lebenslang verhängte. "Das Gericht musste die Verhältnismäßigkeit wahren. Hätte es lebenslang geheißen, welches Strafmaß soll dann für Terroristen verhängt werden, die mit Absicht Menschenleben auslöschen?", sagte er.

Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Der Staatsanwalt sowie die Verurteilten legten Berufung ein. Die meisten von ihnen trugen die für sie zum Teil harten Sprüche mit Fassung. In ihren letzten Worten vergangene Wochen hatten sie zumeist ihr Mitleid mit den Opfern und ihren Angehörigen bekundet und Reue gezeigt. Lediglich der Fünftangeklagte, der in Bulgarien lebende Libanese S. K. H., der die Fahrzeuge für die Schlepperbande beschafft hatte, darunter den Kühllaster für die Parndorfer Fahrt, rastete aus, als er gefragt wurde, ob er das Urteil annehme. "Ich verstehe nicht, warum ich bestraft werde" , rief er gestikulierend im Gerichtssaal. "Ich habe nichts getan. Dabei war ich es, der am 27. August 2015 alles dem bulgarischen Geheimdienst berichtet hat."

Tatsächlich führten die Meldungen des Libanesen, wie der Staatsanwalt im Verfahren sagte, zur raschen Festnahme der Hauptangeklagten in Ungarn. Nicht Gegenstand des Prozesses in Kecskemét war hingegen die Frage, inwiefern die ungarischen Behörden die Tragödie von Parndorf durch einen früheren Zugriff auf die Bande hätten verhindern können. (Gregor Mayer aus Kecskemét, 14.6.2018)