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Innenminister und CSU-Chef Horst Seehofer will nicht länger warten. Er will an der Grenze zu Österreich Flüchtlinge zurückschicken.

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Angela Merkel erklärte nach der CDU-Sondersitzung, sie fühle sich in ihrem Vorhaben "gestärkt".

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Der Donnerstag, der die Eskalation brachte, begann zunächst harmlos. Im deutschen Bundestag debattierten die Abgeordneten im Plenum über Handelspolitik – offiziell. Doch hinter vorgehaltener Hand gab es noch ein anderes Thema: den neuen Konflikt zwischen CDU und CSU in der Flüchtlingspolitik.

Am Abend zuvor hatten sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Innenminister Horst Seehofer (CSU) getroffen, um eine Lösung im Streit zu finden. Seehofer, der auch CSU-Chef ist, will ja demnächst Flüchtlinge schon an der Grenze abschieben – dann nämlich, wenn sie ohne Papiere kommen oder schon in einem anderen EU-Staat registriert worden sind. Merkel aber lehnt das ab, sie strebt eine EU-Lösung an.

Beim abendlichen Treffen mit Seehofer bot Merkel einen Kompromiss an. Man könne zunächst diejenigen Asylwerber an der Grenze abweisen, deren Ansuchen in einem früheren Verfahren in Deutschland bereits negativ beschieden worden sei.

Merkel ersucht um mehr Zeit

Und bis zum EU-Gipfel Ende Juni wolle sie Zeit bekommen, um bi- oder trilaterale Abkommen mit jenen EU-Staaten auszuhandeln, in denen Flüchtlinge zuerst registriert werden, die sich dann aber doch lieber auf den Weg nach Deutschland machen. Doch die CSU machte dicht, aus München kam eine eindeutige Handlungsanleitung für Seehofer. "Es muss jetzt entschieden werden, und zwar rasch", sagte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Auf eine europäische Lösung zu setzen sei sinnlos, er wolle nicht mehr warten.

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"Die Menschen in Deutschland erwarten endlich eine echte Asylwende, eine Wende in der Flüchtlingspolitik", sagte Söder im "Heute-Journal" des ZDF. In der "Bild" erklärte er, es gelte, alte Fehler zu beheben. "Wir müssen endlich den Asyltourismus beenden." Laut "Bild" antwortete Söder ausweichend auf die Frage, ob er für die Zurückweisung an den Grenzen auch einen Koalitionsbruch riskieren würde. Es sei keine Zeit zu verlieren.

Im Handumdrehen schlossen sich alle CSU-Bundestagsabgeordneten dieser Meinung an. Weil sie, ebenso wie die CDU-Abgeordneten, beraten wollten, wurde sogar die laufende Plenarsitzung unterbrochen. Dann zogen sich CDU und CSU auf die Fraktionsebene zurück – und zwar in getrennte Räume, was ein absolut unübliches Vorgehen ist. Schließlich bilden CDU und CSU ja eigentlich eine Fraktionsgemeinschaft.

"Wir stehen vor einer historischen Situation. Dazu gehört, dass Entscheidungen jetzt auch fallen und nicht auf unbestimmte Zeit verschoben werden", sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sehr ernst, bevor er in den CSU-Saal ging.

Bruch der Gemeinschaft

Dort war man sich, wie Teilnehmer aus der Sitzung berichteten, recht einig: Alle CSU-Abgeordneten stellten sich hinter Seehofer. Viele von ihnen forderten zunächst auch für Freitag eine Sonderfraktionssitzung. Und in dieser sollte es auf den Showdown hinauslaufen – mittels Abstimmung "Ja für Seehofers Weg" oder "Ja für Merkels Weg".

Die Augsburger Allgemeine zitierte einen namentlich nicht genannten Abgeordneten, der sogar eine Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft ins Spiel brachte: "Zum Bruch fehlt nicht mehr viel." Auch Seehofer soll das Ende der Zusammenarbeit nicht mehr ausgeschlossen haben.

Ein paar Meter weiter versuchte Merkel, ihre Truppen im CDU-Teil der Fraktion hinter sich zu bringen. Im Präsidium stellten sich alle hinter sie, außer Gesundheitsminister Jens Spahn, der ein Freund von Kanzler Sebastian Kurz ist und auf dessen Linie liegt.

In der Fraktion meldeten sich viele Abgeordnete zu Wort, um Merkels Vorhaben – bis Ende Juni eine europäische Lösung zu finden – zu unterstützen. Merkel erklärte, sie fühle sich in ihrem Vorhaben "gestärkt".

Nach mehrstündigen Beratungen nahm die CSU-Landesgruppe im Bundestag dann auch von ihrem Plan, am Freitag abstimmen zu lassen, wieder Abstand. Am Abend zeigte sich dann Merkel demonstrativ zuversichtlich: Sie rechne nicht mit einem Bruch der Bundesregierung wegen des Asylstreits.

Seehofer droht mit Alleingang

Doch es gibt einen neuen Plan, um Merkel unter Druck zu setzen und doch noch auf Linie zu bringen. Seehofer erwägt, als Innenminister in eigener Verantwortung die Zurückweisung an der Grenze durchzusetzen.

Dafür allerdings will er sich zunächst am Montag in München vom CSU-Vorstand Rückendeckung holen. Dobrindt wies darauf hin, dass Teile des Masterplans "in der direkten Verantwortung des Innenministers" stünden. Und er betonte, dass die Lage "sehr, sehr ernst" sei.

Sollte Seehofer tatsächlich im Alleingang die Bundespolizei anweisen, Flüchtlinge an den Grenzen zurückzuweisen, dann müsste diese umgehend seiner Aufforderung nachkommen. Merkel könnte diese Aktion allerdings mit einer Maßnahme verhindern: Sie müsste Seehofer drei Monate nach Amtsantritt aus der deutschen Bundesregierung werfen. (Birgit Baumann aus Berlin, 14.6.2018)