STANDARD: Sebastian Kurz hat die "Achse der Willigen" ins Spiel gebracht. Gelingt es ihm, neue Allianzen zu schmieden?

Strolz: Das ist doch nur ein Spaltungsversuch. Kurz hebt sein nationales Erfolgsrezept auf europäische Ebene. Er hat eine gute Nase für die Themen der Zeit, und er macht das mit großer handwerklicher Kunst. Er will noch etwas werden in Europa, das ist offensichtlich. Das wird diesem Kontinent nicht guttun.

STANDARD: Bei seiner Rede im Parlament stand wieder einmal das Thema Sicherheit und der Kampf gegen die Migration im Vordergrund. Sind das tatsächlich die wichtigsten Themen?

Strolz: Kurz hat nur eine Vision von Macht und Karriere, aber keine inhaltliche Vision, auch nicht für Europa. Es geht um Optimierung, vor allem Karriereoptimierung. Die Idee von einem Europa, das schützt, kommt eigentlich von Emmanuel Macron, der hat das vor einem Jahr schon so formuliert. Das ist der große Unterschied zwischen Macron und Kurz: Macron setzt auf Gemeinsamkeit in Europa. Kurz setzt auf Stimmenoptimierung, auf nationalen Populismus, auf eine Spaltung durch das Flüchtlingsthema.

STANDARD: Die Rede von der Achse Rom, Berlin, Wien hat auch für Irritation gesorgt, weil das an die Nazidiktion erinnere. Wie ist ihm das passiert?

Strolz: Ich weiß nicht, ob ihm das passiert oder ob das Kalkül ist. Jedenfalls ist es so passiert, und ab jetzt ist es Kalkül. Auch das hilft ihm. Kurz ist der Säulenheilige der politischen Unkorrektheit. Das inszeniert er grandios. Aber da dürfen wir uns keinen Sand in die Augen streuen lassen. Kurz schmiedet eine Achse zwischen Salvini, Orbán und Seehofer. Wenn diese Leute die Geschicke Europas vorantreiben, geht das auf Kosten des Wohlstands und der Lebensqualität. Mit dieser fantasielosen Kleinstaaterei und der Verzwergung Europas haben wir keine Chance im Spiel der Großmächte.

STANDARD: Angela Merkel steht unter Druck. Auch dank Kurz?

Strolz: Merkel ist nach wie vor eine wichtige Spielerin, sie ist nicht bereit, die europäische Gemeinsamkeit zu unterlaufen, aber sie steht mit dem Rücken zur Wand. Auch dank des Spiels von Kurz. Das hat er grandios gespielt. Aber es ist seelenlos. Das ist mein Problem mit Sebastian Kurz: Er betreibt seelenlose Politik. (Michael Völker, 15.6.2018)

Matthias Strolz gründete 2012 die Neos, deren Chef er noch ist, im Mai kündigte er seinen Rückzug an.
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