"Here After Here After Here" von Jitish Kallat in Stockerau.

Foto: Raimo Rumpler

Kleines Schloss: Kreisverkehr in Kremsmünster.

Foto: Wojciech Czaja

Tontöpfe: Dibba, Fujairah, VAE.

Foto: Wojciech Czaja

Blumenburg: Laa an der Thaya.

Foto: Wojciech Czaja

Nach Warschau sind es 688 Kilometer. Nach Jerusalem 3926 Kilometer. Und nach Lima ganze 11.257 Kilometer. Die Ziele sind in weiter Ferne, doch immerhin geben ein paar Piktogramme wie etwa Tankstelle, Raststätte und Autobahnkreuz hilfreiche Auskunft über die Infrastruktur auf dem Weg nach hüben, drüben, Übersee. Die Skulptur Here After Here After Here des indischen Gegenwartskünstlers Jitish Kallat an der Autobahnabfahrt Stockerau ist nicht nur eine optisch wie auch inhaltlich gelungene Gestaltung des Unortes Kreisverkehr, sondern auch eine Einladung, über unser Mobilitätsverhalten sowie über die sich global verändernde Landschaft nachzudenken, die nach und nach mit Beton- und Asphaltschneisen vollgepflastert wird.

Manche der in Verkehrsschrift und Reflexionsfarbe aufgedruckten Städtenamen hat man schon oft gelesen und öfter noch gehört: London, Paris, New York, Istanbul, Sydney, Hongkong, Rio de Janeiro. Andere wiederum machen so neugierig, dass man das Lenkrad länger als notwendig links eingeschlagen lässt und den Rechtsblinker erst nach zwei, drei Ehrenrunden betätigen will: Salvador da Bahia an der brasilianischen Ostküste, Pucallpa im peruanischen Amazonasgebiet und Az-Zawiya in Libyen, keine 50 Kilometer von Tripolis entfernt. Einmal um die Welt im Kreisverkehr.

Kunst im 10-Minuten-Takt

Nicht weit von hier, Autobahnabfahrt Korneuburg-West, zwölf Minuten mit dem Auto, hat die costa-ricanische Künstlerin Priscilla Monge die Skulptur The House in den Kreisel gesetzt. Es ist ein verzerrtes, angsteinflößendes Schattenbild österreichischer Häuslichkeit. Das Ding verstört. Und in Hagenbrunn, weitere acht Minuten auf der S1 Richtung Osten, hat der ägyptische Künstler Tarek Zaki unter dem Titel O ein monumentales Ensemble von vermeintlich historischen Ausgrabungsstücken in die Wiese gelegt. Manche davon wirken wie Teile antiker Säulen, andere wiederum schauen aus wie im Maßstab aufgeblasenes Tupperware-Geschirr aus dem Küchenschrank.

Es ist 14 Uhr, ein heißer Nachmittag, die Sonne knallt vom Himmel. Am Rande von O steht ein oranger VW-Bus, Straßenmeisterei Korneuburg, die Türen sperrangelweit geöffnet. Zwischen den beigen und betongrauen Artefakten wandern drei Männer mit diversen Sensengerätschaften in der Hand über den kreisrunden Unort inmitten der Straße und machen sich an das kniehohe Gras heran.

"Schau, schau, ein Kunsttourist!" Patrick Flandorfer, 33 Jahre alt, kurze Hose, Sicherheitsweste, Tattoo auf der Brust, legt mit seinen beiden Kumpeln eine spontan einberufene Pause ein. "Weißt, manche Kreisverkehre spiegeln das Thema der Region oder der Gemeinde wider. Dann siehst halt Weintrauben, Äpfel, Birnen, Blumen und irgendwelche Skulpturen in der Mitte herumstehen. Den meisten Leuten g'fallt das, weil sie damit unmittelbar was anfangen können. Andere Kreisverkehre wiederum regen zum Nachdenken an. Das g'fallt Leuten dann eher weniger, weil der Weg zum Hirn ein bissl länger ist."

"Blechhaufen" und "Schutthalde"

Der "Blechhaufen", wie Jitish Kallats Installation in der Region genannt wird, sei bei der Bevölkerung beliebt, sehr beliebt sogar. Das "Häusl" dagegen, internes Synonym für The House, habe schon deutlich weniger Freunde. Mit der "Schutthalde" aber, wie die meisten zu O sagen, hätten fast alle ein Problem. "Ich meine, schau dich mal um! Immerhin kannst du den Leuten den Weg ansagen", meint Patrick. "Bei der Schutthalde die erste Ausfahrt rechts, sagst halt, und alle wissen, was damit gemeint ist. Wer weiß, vielleicht ist das ja der eigentliche Grund ..."

Woher der Reiz ebendieser Kreisverkehrsgestaltung kommt, weiß Katharina Blaas-Pratscher, Leiterin der Abteilung Kunst im öffentlichen Raum (Kör) der Niederösterreichischen Landesregierung. Und Niederösterreich, muss man wissen, dieses an Speckgürtelstraßen äußerst reich bestückte Land, ist mit mehr als 300 Kreisverkehren eine der dichtesten Kreiselregionen Europas. Da dreht sich, wenn man nicht auf die Gunst der Kunst zurückgreifen kann, sondern auf Blumenrabattenpflege und Pappmascheemodelle zu Stadtmarketingzwecken angewiesen ist, verständlicherweise vieles im Kreis.

"Der Kreisverkehr ist ein großer, leerer Ort, der allein deshalb schon tabu ist, weil man ihn nicht betreten kann und nicht betreten darf", sagt Blaas-Pratscher. "Das macht natürlich neugierig. Die einen fühlen sich gefordert, eine passende Denkanregung zu geben, die anderen nutzen die tote Fläche für kommerzielle Werbezwecke oder als touristisches Aushängeschild einer Gemeinde oder einer Region. Ich finde das in gewisser Weise legitim. Aber mit Ästhetik hat das alles nichts zu tun."

Mostbirnen, Äpfel, Brocken

Mostbirnen im Mostviertel. Jonathan-Äpfel an der Steirischen Apfelstraße. Violette Brocken im Amethystenland. Ein Miniaturmünster in Kremsmünster. Und überdimensionale Teekessel, Kaffeekannen und Tontöpfe aller Art in den Vereinigten Arabischen Emiraten. "Das Spektrum ist deprimierend und sagt viel darüber aus, wie wir mit unserer gebauten Umwelt umgehen", sagt die niederösterreichische Künstlerin Iris Andraschek, die in Hainburg vor ein paar Jahren selbst einen Kreisverkehr gestaltet hat. "Manche dieser Gestaltungsversuche mit Gläsern, Weinstöcken und diversen Wappen in allen erdenklichen Formen sind der totale Wahnsinn."

Und so ist der Kreisverkehr, wie es scheint, nicht nur Ausdruck unseres kollektiven Geschmacks, sondern auch unserer kollektiven politischen Gesinnung. Manche verstehen sich als Drehscheibe heimischer, nationaler Werte. Andere hingegen brechen aus ihren Mustern aus, sprengen die Grenzen des runden Nichts und verbinden sich mit der weiten Welt. "Sag mal, wie heißt noch einmal der Typ mit dem blauen Blechhaufen?", fragt Patrick zum Abschied. (Wojciech Czaja, 16.6.2018)