Schnellen Schrittes betritt Francis Rafal die Bühne. Hier soll er heute von seinen spektakulärsten Fehlern erzählen. Davon hat Rafal so einige im Repertoire. Der 26-Jährige, in T-Shirt, Sakko und weißen Sneakern, hat bereits ein Unternehmen in den Sand gesetzt, hohe Schulden gemacht und sechs Mitarbeiter kündigen müssen. Alles die Folgen einer Reihe von Fehlentscheidungen, die Rafal leichthin erzählt.

Sein Publikum an diesem Abend sind 300 Menschen um die 30 – Studierende, Jungunternehmer oder solche, die es noch werden wollen. Sie sitzen auf Plastiksesseln, aufgeklappten Liegestühlen oder in roten Sitzsäcken, einige auch auf dem Boden. Sie tragen Skinny-Jeans, gemusterte Hemden, zu große Pullover, manche auch Hoodies oder ein Businesskostüm. Getrunken wird Limonade und Bier aus Glasflaschen.

Die Party, auf der sie sich befinden, heißt Fuck-up-Night, und sie findet in einem Gebäude mit Glasfronten in der Wiener Taborstraße statt. Das Motto: Unternehmer berichten humorvoll von ihren Misserfolgen. Sie schildern, wie es sich anfühlt, ganz tief unten zu sein. So wie Rafal, der ins Burnout schlitterte, "als ich 100 Stunden pro Woche gearbeitet habe, um mein Unternehmen zu retten". Bis er sich schließlich gar nicht mehr aufraffen konnte. Diese Zeit merkt man dem jungen Mann heute nicht mehr an: Seine Stimme klingt unbekümmert, seine Rede ist voller Selbstironie.

Ursprung in Mexiko

Rafals Zuhörerinnen und Zuhörer nicken mal zustimmend, mal lachen sie über seine Witze. Fast niemand spielt nebenbei mit dem Smartphone, wie man es von ähnlichen Veranstaltungen gewohnt ist. Die Fuck-up-Nights scheinen beliebt zu sein – beliebter als so mancher Vortrag über Gründungsstrategien. "Man lernt viel mehr aus Misserfolgen als aus Erfolgen", sagt Dejan Stojanovic, der das kostenlose Event organisiert. Hauptberuflich berät er Firmen zum Thema Fehlerkultur.

Die weltweit ersten "Nächte des Scheiterns" fanden vor sechs Jahren in Mexiko statt. Es waren Treffen unter Freunden, die sich über ihre Fehler austauschten. Sie waren so gut besucht, dass daraus eine Institution wurde. Mittlerweile gibt es derartige Events in über 250 Städten weltweit, auch in fast allen Landeshauptstädten Österreichs.

Fragestunde bei Wexelerate im zweiten Bezirk in Wien: Francis Rafal erzählt bei der letzten Fuck-up-Night von seinen Unternehmensgründungen.
Foto: MARCELLA RUIZ CRUZ

Die Abende laufen nach einem festen Schema ab: Speaker erzählen auf Englisch ihre Geschichte. Mitbringen dürfen sie eine Powerpoint-Präsentation, die ihren Werdegang illustriert. Text ist nicht erlaubt, nur Bilder. Referent Rafal hat ebenfalls Folien vorbereitet. Die erste zeigt ihn mit einer Filmkamera: Seit seinem 16. Lebensjahr produziert der Wiener Videos. Das nötige Wissen brachte er sich selbst bei.

Mit 19 Jahren meldete Rafal erstmals ein Gewerbe an. Mit Anfang 20 tat er sich mit Kollegen zusammen, um Werbefilme für Firmen zu produzieren. Mit den ersten Spenden (60.000 Euro von Freunden und Familie) richtete er Filmstudio und Büro für sein Start-up ein und stellte Mitarbeiter an. Die ersten Aufträge kamen. Relativ bald war aber klar: Die Finanzen reichen nicht, Rafal hatte das Geld falsch eingesetzt. Erst musste er drei Mitarbeiter kündigen, bald darauf alle. "Ich war naiv", gibt er heute zu. Applaus.

Applaus für Misserfolge

Nach Rafal greift Tanja Sternbauer zum Mikrophon, eine junge Frau im weißen Blazer, die sehr schnell spricht. Sternbauer arbeitet für das Start-up Live, das Gründer in der Frühphase unterstützt. Sie berichtet, wie kürzlich einer ihrer Schützlinge in den sozialen Medien als sexistisch kritisiert wurde. Es brach ein Shitstorm aus, der sich bald auch gegen sie und ihr Team richtete. Die Kommentare wurden immer ausfallender und beleidigender. Sie habe tagelang an nichts anderes denken können, erzählt Sternbauer. Die Aggression habe sie hart getroffen, klagt sie, und man nimmt es ihr ab. Ihr Versuch, mit Argumenten zu kalmieren, scheiterte. Heute wisse sie: "Das war ein Fehler, ich darf solche Anfeindungen nicht persönlich nehmen." Dafür gibt es wieder Applaus vom Publikum.

Als Experten gelten auf "Fuck up"-Bühnen nicht jene, denen alles sofort gelingt, sondern jene, die erst erkennen mussten, wie es besser geht. Die hinfallen und daraus neue Kraft schöpfen. So wie Rafal, der in Psychotherapie ging und weitermachte. Mittlerweile, erzählt er, habe er sein Geschäftsmodell geändert und sogar zwei weitere Unternehmen gegründet, von denen er ganz gut leben und seine Schulen abbezahlen könne.

Bild nicht mehr verfügbar.

Kleine Blessuren sind nicht schlimm – solange man aufsteht und es wieder probiert.
Foto: Getty Images

Fuck-up-Nights sind zwar ein erster Schritt zu einem offeneren Umgang mit Fehlern. Ein Gegentrend zum Hochleistungsprinzip in der Start-up-Community sind sie nicht. Denn Schicksale des totalen Versagens, die es ebenfalls zuhauf gibt, haben dort offenbar keinen Platz. Vielleicht auch, weil sie keine so tollen Geschichten hergeben. Viele Krisen haben kein Happy-End, sind kein Shitstorm, der wehtut, aber wieder vorbeigeht. Und nicht jedes Scheitern führt am Ende zum Erfolg, zu einem neuen, lukrativeren Unternehmen.

"Wir sind Businessleute", sagt Organisator Stojanovic. Es gehe eben um den Lernprozess. Jeder Fehler muss offenbar verwertbar gemacht werden. Rafal etwa sagt: "Ich weiß jetzt, was ich nicht kann, wo ich Rat brauche." Auch privat habe er profitiert, sagt der junge Mann, der nun täglich Sport betreibt, fünfmal die Woche abends tanzen geht und sich ehrenamtlich engagiert. "Mein Leben ist viel ausgeglichener."

Als Rafal seinen Vortrag beendet hat, schießen Hände in die Höhe – es gibt Nachfragen, das Business läuft. Die Zuhörer machen Rafals Scheitern für sich persönlich "verwertbar". (Lisa Breit, 16.6.2018)