Selbstbewusster Konter Lena Henkes auf den sogenannten männlichen Blick: ihre Arbeit "The other object, (self-portrait yellow)" entstand 2018.

Foto: Maximilian Anelli-Monti

"Themove" von 2018 und aus Bronze.

Foto: Maximilian Anelli-Monti

"New York I love, but you’re bringing me down." Diese Offenbarung steht auf einer winzigen Keramikskulptur von Lena Henke. Ein Spruch, der einiges verrät: Etwa dass die Ausstellung in der Wiener Galerie Emanuel Layr eine Hommage der 36-Jährigen an den Big Apple ist. Allerdings eine Liebeserklärung, die den Druck und den Stress in New York nicht einfach ausblendet.

"Our Porcelain Thoughts", "Glass Trust", "My Iron Feelings" oder "Steel Pattern" lauten Botschaften im Stil der populären New Yorker Straßenschilder: Während die weißen Lettern auf grünem Grund dort sonst bei der Orientierung helfen, weisen sie hier einen Weg durch das Innenleben der seit einigen Jahren in New York lebenden Künstlerin.

Henke notierte die sehr poetischen und fast greifbaren Beschreibungen innerer Zustände während ihrer Psychoanalyse. Ausgewählt hat sie jene Begriffe, in denen sie Gefühle mit verschiedenen Materialien – von Porzellan bis Stahl – genauer bestimmt hat. Dazu passt, dass sich die 1982 in Warburg geborene Henke auch ganz klar als Bildhauerin bezeichnet. Ihr Lehrer Michael Krebber hingegen, bei dem sie an der Frankfurter Städelschule studiert hat, zog immer die allgemeinere Bezeichnung "Künstler" vor.

Kratzen und Beißen

Volumen und Körper standen in Henkes jüngeren Projekten im Vordergrund: In ihrer jüngst zu Ende gegangenen Soloschau in der Zürcher Kunsthalle ließ sie große Teile eines Ringpanzers von einer Maschine über den Boden schleifen. 2017 hatte sie für die Frankfurter Schirn zwei riesige Augen aus Aluminium entworfen. Eine interaktive Skulptur, denn in die Sehorgane rieselte, ausgelöst durch Schritte der Besucher auf einer Galerie, Sand.

Dem Zufall geschuldet ist es freilich nicht, dass sich die Materialien in Henkes oft raumgreifenden Installationen gegenseitig beißen, ja sich buchstäblich (zer)kratzen. Es interessiert sie, Gegensätzliches und Widersprüchliches zu verbinden: Und so finden sich in ihren Arbeiten genauso klassisches Handwerk wie minimalistische Formen, Anleihen an feministische Körperkunst oder symbolistische, an die Surrealisten erinnernde Bilder.

Thematisch beackert die Künstlerin ein ebenso weites Feld: Henke interessiert sich für die Ideen (historischer) Stadtplaner, für Land-Art, Familienaufstellung, Sexualität, Fetischismus, Popkultur – und nicht zuletzt natürlich für die patriarchal geprägte Kunstgeschichte.

Freedom Tower statt Mann

Ausgangspunkt für die Wiener Ausstellung The Move war das bekannte Comic Calling Card des französischen Cartoonisten Tomi Ungerer von 1967: Es zeigt eine nackte Frau und ein kleines Männlein, das aus einer offenen Tür zwischen ihren Beinen her auslacht. In einem lebensgroßen Selbstporträt stellte Henke das Comicsujet nach: The other object, (self-portrait yellow) heißt die Arbeit, wobei sich das "other object" auf das etwas "andere" Objekt zwischen ihren Beinen bezieht: Ihre Scham wird nicht von einem Mann bewohnt, sondern von einer Postkarte, die den New Yorker Freedom Tower zeigt, bedeckt.

Beim Hinschauen will man sich allerdings nicht ertappen lassen. Dabei lädt das mit Referenzen gespickte Bild genau dazu ein: Als hätte sie den Slogan "Fuck you, you fuckin’ fuck" auf ihrem T-Shirt verinnerlicht, fixiert sie den Betrachter. Ausgerüstet mit einem Smartphone spiegelt sie den voyeuristischen Blick auf ihren Körper unmittelbar zurück. Henke bezieht sich damit auf feministische Vorbilder wie Valie Export, Hannah Wilke oder auch Lynda Benglis. Letztere reagierte etwa auf ein martialisches Ausstellungsplakat von Robert Morris, indem sie für ein 1974 im Kunstmagazin Artforum publiziertes Foto mit angeschnalltem Riesenpenis posierte.

Peepen und Glotzen

Auf das Ungerer-Comic greift Henke noch ein zweites Mal zurück: Ihr geschmiedetes Bronze-Pin-up ist zwar dank der an intimer Stelle eingebauten Tür näher dran am Original, der Mann fehlt aber auch dieses Mal. Vielmehr kann man aus der richtigen Per spektive durch die Türöffnung spähend einmal mehr eine Aufnahme des Freedom Towers erblicken.

Die Künstlerin hat das Wahrzeichen der Metropole genau so an der Wand platziert, dass man beim Gang durch die Galerie buchstäblich den "Durchblick" kriegt: auf das Phallische der New Yorker Architektur und den Sexismus des französischen Comics. Ein Kunstgriff, der aber auch Strategien der Selbstermächtigung oder die Tatsache verdeutlicht, dass die Architektur einer Stadt selbstverständlich auch Auswirkungen auf unsere Befindlichkeit hat. (Christa Benzer, 17.6.2018)