In der einen Hand ein Bier, in der anderen eine Zigarette. Manche Besucher sitzen auf dem Boden, andere haben es sich auf dem Fleckchen Wiese gemütlich gemacht. Wer will, schaut sich drinnen in den Hallen eine Performance oder eine Videoarbeit an. Wer nicht will, bleibt einfach sitzen.

Die laue Atmosphäre, die sich Besuchern der Gösserhallen an den vergangenen Wochenenden bot, dürfte nach Tomas Zierhofer-Kins Geschmack gewesen sein. Hier, gleich hinter dem Hauptbahnhof, sind die Wiener Festwochen zu sich gekommen. So gelassen wirkte der Intendant an keinem der vielen anderen Festivalorte. Wahrscheinlich, weil Zierhofer-Kins Festwochen auch nur hier richtig funktionierten.

Der langjährige Leiter des Kremser Donaufestivals war im vergangenen Jahr mit dem Anspruch angetreten, aus den Festwochen einen ingeniösen Kunstumschlagplatz zu machen. Einen, an dem die Kunstformen nur so durcheinanderwirbeln. Die Festwochen, meinte er, seien verkrustet. Und seine Besucher in die Jahre gekommen.

Einen Bauchfleck später...

Ein Jahr und einen Bauchfleck später sind die großspurigen Worte des Intendanten leiseren gewichen. Und auch das zurechtgestutzte und mit einigen Positionen aus dem deutschen Stadttheater angereicherte Programm wurde nicht mehr als der Weisheit letzter Schluss verkauft. Sondern als das, was es war: eine recht mutwillig zusammengewürfelte Gemengelage aus Performances und Installationen, Tanz und Theaterabenden. Deplatziert wirkte nur das Wort Fest, das man auf diese Festwochen als Werbespruch gepappt hatte.

Statt des Besten und Feinsten dominierte Lauwarmes und Unausgegorenes. Immersion, also das körperliche Eintauchen in Kunstwelten, wurde als Neuigkeit verkauft. Videoarbeiten wurden zu abendfüllenden Formaten aufgebauscht. Und selbst die vollmundig angekündigten Trendsetter aus dem deutschen Stadttheater konnten nur fallweise überzeugen. Wirkliche Highlights? Beinahe jeder, den man in den vergangenen Tagen danach fragte, musste länger nachdenken, bis ihm welche einfielen.

Aber vielleicht geht es Zierhofer-Kin nicht darum. Die Festwochen, die traditionell den Höhepunkt des Wiener Kulturjahres darstellen, überzeugen unter seiner Intendanz, wenn sie wie in den Gösserhallen oder in der Liesinger Sargfabrik zum Festival der Performance- und Clubkulturen mutieren. Das kann ein paar Wochenenden lang gut gehen. Für die Zeit dazwischen wäre der Intendant aber gut beraten, auch ein paar Gustostückerln zu bieten. Im Folgenden eine Analyse nach Sparten. (Stephan Hilpold, 16.6.2018)

Foto: Luisa Gutierrez

PERFORMANCE

Gutgetan hat den diesjährigen Festwochen offenbar die Ablöse von Nadine Jessen und Johannes Maile im Kuratierungsteam. Jedenfalls wurde dem Publikum 2018 statt Verschulung (wie 2017 bei der "Akademie des Verlernens") wieder Vielschichtigkeit geboten. Unter anderem mit Gisèle Viennes herausragender Choreografie The Crowd, die als künstlerische Verbindung zur Clubkultur beim "Hyperreality"-Festival gesehen werden konnte.

Oder der auf allen Ebenen – Text, Dramaturgie, Inszenierung – exzellenten Performance La Plaza von El Conde de Torrefiel, die reichlich Ironie über den traurigen Zustand des europäischen Kulturliberalismus fließen ließ. Dass ein aktivistisches Facelifting von Kunst auch schiefgehen kann, machte Jean Michel Bruyère in seiner pathetischen Performance L'habitude vor.

Zum Ausgleich war mit Boris Charmatz ein Choreograf zu Gast, der seiner Zeit seit jeher voraustanzt: Seine 10.000 gestes sind eine Mustererkennung der Gegenwartsgesellschaft. Aus dieser Perspektive betrachtet haben die Festwochen die Kunst und damit die Stimmung unserer Zeit wieder stärker im Blick. Darauf ließe sich die nächste Festwochen-Ausgabe 2019 gut bauen. (Helmut Ploebst, 16.6.2018)

Foto: Thomas Aurin

THEATER

Im Vorjahr genoss das Schauspiel bei den Wiener Festwochen in etwa das Prestige von Sauerbier: Am liebsten hätte man es weggegossen. Der Jahrgang 2018 erwies sich gegenüber der vorjährigen Theaterdiät als einigermaßen konsolidiert. Man bot sogar gute Bekannte wie den Schweizer Christoph Marthaler (Tiefer Schweb) auf.

Den theaternärrischen Wienern wurde der gewinnbringende Erstkontakt mit Heilsbringerinnen wie Susanne Kennedy und Ersan Mondtag verschafft. Beide sind eigenwillige Theatermacher mit unterschiedlich großem Potenzial. Mondtag steuerte eine Orestie (aus Hamburg) bei, in der die Einsetzung demokratischer Verfahren – wohl zu ihrem besseren Verständnis – auf die Dressur von Laborratten heruntergebrochen wurde.

Mit Einzelkritiken ist 2018 wenig gewonnen und genauso wenig verloren. Der Popanz Sprechtheater wird von Zierhofer-Kin und dessen Team als notwendiges Übel betrachtet und auch so behandelt. Das Jahr scheint nicht mehr fern, wo man das Schauspiel endgültig aus dem Festival hinauskomplimentiert. Es werden immersive Zeiten werden. Viele Besucher werden den Festwochen dann wohl den Rücken gekehrt haben. (Ronald Pohl, 16.6.2018)

Foto: Janto Djassi

MUSIK

Die Suche nach Musik und Musiktheater ist schnell erledigt. Ein arabisch besungenes Rolandslied oder die schwache Winterreise waren Versuche, Profil zu zeigen. Auch intensiver Gesang (Tanya Tagaq) und Koreanisches (Trojan Women) konnten jedoch die gewichtigen Musiktheaterschwerpunkte früherer Jahre nicht vergessen machen. Vielleicht Absicht. Der Charakter der Festwochen soll sich ja ändern. Der Musikverein, wo ohne der bisherigen Festwochenbeteiligung ein Musikfest stattfand, konnte übrigens 63.895 Karten verkaufen, die früher die Statistik der Festwochen erfreut hätten. (Ljubisa Tosic, 16.6.2018)

Foto: David Wohlschlag

CLUBKULTUR

Manche Dinge brauchen Zeit. Sie müssen wachsen, eine bestimmte Klientel erst erreichen. Für kaum einen Bereich gilt das mehr als für die Party- und Clubkultur. In dieser sahen Zierhofer-Kin und Kuratorin Marlene Engel schon in ihrer Zeit beim Kremser Donaufestival den relevantesten sozialpolitischen Diskursort unserer Gegenwart. Im Club würden Utopien gelebt, etwa eine Welt ohne sexuelle Diskriminierung. Ob das wirklich so ist, sei dahingestellt.

Fakt ist, Ex-Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) holte Zierhofer, weil er mit den Festwochen das technoaffine Jungpublikum erreichen wollte. Also wurde die klassische Musikschiene fallengelassen und durch Hyperreality ersetzt: ein Minifestival für elektronische Musik.

Dass diesjährig gebuchte Acts wie die R'n'B-Sängerin Kelela die Erwartungen kaum erfüllten, ist dem angelockten Publikum nicht so wichtig. Entscheidend ist, dass die Party stimmt. Dazu bedarf es spannender Orte. Im Vorjahr tat man sich mit dem etwas zu weit in der Pampa liegenden Schloss Neugebäude noch schwer. Die Gösserhalle am Hauptbahnhof (gratis mit Deep Fridays bespielt) sowie die Liesinger Sargfabrik F23 wurden heuer aber gut angenommen. (Stefan Weiss, 16.6.2018)

Foto: Ines Bacher

INSTALLATION

Die Kunst als ein Gegenüber zu denken, das man betrachtet und entziffert, ist eine traditionell westliche Praxis. Diese wird mit immersiven Formaten derzeit ein wenig aufgemischt. Immersive Kunst, also Kunst, in die man wie in einen 3D-Film eintaucht, liegt im Trend. Diesen Trend, der das unmittelbare "Erfahren" gegenüber kognitiver Rezeption aufwertet, haben die Wiener Festwochen eingehend und eher nachholend abgebildet.

Der Wert lag dabei nicht in Einzelarbeiten – wiewohl die famose Einnebelung in Kurt Hentschlägers multimedialer Sinnesverwirrshow FEED.X aufgrund ihres maximalen Anspruchs einer Welt ohne Außen eine besondere Erwähnung verdient. Sondern in der versammelten Vielfalt immersiver Zugänge, wie sie sich andernorts in Museen oder Theaterhäusern längst ihren Platz erobert hat.

War das Spiel mit gesteuerter Angstmache in Dries Verhoevens Terrorgeisterbahn Phobiarama noch ein Stück weit zu durchschaubar "gemacht", so warf Ryoji Ikedas Visual-Arts-Arbeit micro|macro jeden einzelnen Besucher im Angesicht des Datenuniversums auf sich selbst zurück. Ob es sich lohnt, dafür ausgerechnet die Halle E einen Monat zu blockieren, bleibt die Frage. (Margarete Affenzeller, 16.6.2018)