Populistisch bis rechtsradikal: Luigi Di Maio (Fünf Sterne), Premier Giuseppe Conte und Matteo Salvini (Lega) im italienischen Parlament.

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Noch ist es unklar, in welchen Abgrund wir fallen werden. Sicher aber ist, dass es ein Abgrund sein wird. Der politische Wandel in Italien muss im Rahmen der weltweiten Entwicklungen gelesen werden und im Rahmen der europäischen Auflösungserscheinungen. Aus dieser Perspektive scheint er der letzte Sargnagel für die liberale Demokratie des Westens zu sein und damit das Ende jener wankenden Weltordnung, die wir seit 1989 gekannt haben.

Wer den Erfolg der Anti-Euro-Parteien in Italien verstehen will, der muss auf den Finanzkollaps von 2008 zurückblicken – und auf das Aufzwingen des Fiskalpaktes auf die Gesellschaften in den europäischen Staaten. In diesen Jahren wurde die Abwicklung der Wohlfahrtstaaten perfektioniert und das soziale Leben über alle erwartbaren Maße verarmt.

Zäsur Austeritätspolitik

Die Europäische Union war lange Zeit auf der Basis von Frieden und Prosperität gegründet. Nach der neoliberalen Wende in Maastricht und der dramatischen Reduktion der Einkommen, die mit dem Wechsel zu einer Einheitswährung kam, markierte die im Fiskalpakt repräsentierte Austeritätspolitik eine Zäsur.

Im Jahr 2011 wurde der Protest gegen diese Austeritätspolitik in Spanien von der Indignados-Bewegung angeführt und bis in den Sommer des griechischen Referendums getragen.

Im Juli 2015 rief Syriza, die Führungspartei der europaweiten postausteritären Bewegung, die griechischen Bürger zu den Urnen. Sie sollten über das Diktat der Troika entscheiden. Eine große Mehrheit der Griechen lehnte das Memorandum ab, dennoch musste Alexis Tsipras sich politisch demütigen lassen. Genau in diesem Moment wurde der Tod der Demokratie in jenem Land offiziell proklamiert, in dem diese Demokratie vor 2500 Jahren erschaffen worden war.

Die europäischen Mitte-links- Regierungen (François Hollande in Frankreich und Matteo Renzi in Italien) verbündeten sich mit den arroganten, durch die von Deutschland geführte Fiskalregierung auferlegten Belastungen, betrogen die Griechen und besiegelten mit dieser Kurzsichtigkeit gleich auch ihr eigenes Schicksal.

Weil es sich den Wünschen des globalen Finanzsystems gebeugt hatte, wurde das neoliberale Mitte-links-Lager zum Ziel für die allgemeine Abscheu allenthalben.

Wiederkunft des Nationalismus

Nach dieser Demütigung setzten sich die verarmten Arbeiter massenhaft vom linken Flügel des politischen Spektrums ab und stimmten in einem Land nach dem anderen für Parteien der Rechten. Die Wiederkunft des Nationalismus war das Ergebnis dieser sozialen Demütigung, und die Union geriet zeitgleich in eine lange Phase der Lähmung. Der Triumph der Euroskeptiker in Italien markiert nun ihr Ende. Sie ist nunmehr nur noch ein Finanzskelett, eine gemeinsame Währung, die wie eine unzerstörbare Falle erscheint.

Das Problem ist: Kann politischer Wille die abstrakte Form, die sich Regierungsführung nennt, brechen? Das Scheitern der Syriza hat tatsächlich die Impotenz politischer Aktion demonstriert.

Politische Entscheidungen können in der Tat nicht das mathematische Schloss der Regierungsführung aufbrechen. Aber was wird nun passieren, da eine Regierungsform gewählt worden ist, die ausdrücklich gegen die wirtschaftlichen Implikationen des Fiskalpaktes ist und die den italienischen Bürgern eine Reduktion der Steuerlast sowie eine Verbesserung der sozialen Standards versprochen hat – auch wenn dies die Verletzung der europäischen Standards impliziert?

Wird der gouvernmentale Autopilot die Absichten der neuen italienischen Regierung unterjochen? Oder wird die Herausforderung durch Luigi Di Maio und Matteo Salvini der Union ihre letzte Macht, die Macht, Finanzregulatorien aufzuzwingen, entwinden?

Die Syriza akzeptierte die politische Demütigung durch die Union, weil die linke Mehrheit in Griechenland das Räsonnement der Mächtigen akzeptiert hat. Das Ergebnis dessen ist, dass sich Griechenland – nunmehr ohne seine Flughäfen, Häfen und Infrastrukturen zu besitzen – heute in einer Lage massiver Arbeitslosigkeit und psychischer Depression befindet und die gebildeten, jungen Leute in Scharen das Land verlassen. Die italienische Regierung aber ist kein Ausdruck rationaler Entscheidungen, vielmehr ist sie ein Ausdruck von Rache.

Rache ist nicht vernünftig

Denn Rache ist der einzige Begriff, der erklären kann, was heute auf der ganzen Welt passiert. Von der liberalen Demokratie und von zum Neoliberalismus konvertierten Linken verraten, wird die Mehrheit der Wähler vom Wunsch nach Rache angetrieben. Und Rache hört nicht auf vernünftige Begründungen.

All die liberal-demokratischen Experten, die glauben (oder zu glauben vorgeben), dass wir ein Gewitter zu überdauern haben, an dessen Ende sich wieder vernünftige Demokratie einstellen wird, führen sich selbst in die Irre. Die Demokratie ist tot. Und sie wird weder in Italien noch in den USA wiederbelebt werden.

Wenn jene Menschen, die Donald Trump und Matteo Salvini gewählt haben, allenfalls begreifen werden, dass ihre Einkommen weiterhin fallen und dass Prekariat und Arbeitslosigkeit nicht verschwinden werden, werden sie sich nicht zurück in ihre demokratische Vergangenheit wenden. Sie werden nicht umkehren und wieder ihre armseligen Linkspolitiker wählen. Die Sozialnationalisten werden vielmehr nach Sündenböcken suchen.

Im Deutschland des vergangenen Jahrhunderts waren die Juden und die Sinti und Roma die Sündenböcke. Heutzutage sind diese Sündenböcke viel zahlreicher zu finden und viel einfacher zu identifizieren: Die Opfer von fünf Jahrhunderten des Kolonialismus drängen an die Türen Europas, ja sie werden sogar schon in Konzentrationslagern rund um das Mittelmeer festgehalten. Der Comboni-Missionar Alex Zanotelli hat unlängst erklärt, eine Ausrottung von unvorstellbaren Ausmaßen ereigne sich derzeit auf der Südseite des Mittelmeeres.

Auch wenn Politiker keine abstrakten Fallen sprengen können, denke ich dennoch nicht, dass der finale Zusammenstoß im Finanziellen geschehen wird. Er wird vielmehr die Neudefinition der kulturellen Grenzen der Welt betreffen. Nach dem Zweiten Weltkrieg verliefen die Grenzen zwischen der freien Welt des Westens und dem totalitären östlichen Imperium der Sowjets. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden Grenzen angesichts der fortschreitenden Globalisierung für irrelevant erklärt. Heute ist der politische Traum der Globalisierung gestrichen durch die kulturellen und ökonomischen Effekte der globalen Entterritorialisierung – die Grenzen, sie werden wieder neu gezogen. Aber deren Verlauf unterscheidet sich von den Grenzen der Vergangenheit.

Neue Definition

Der Wahlsieg Donald Trumps, die strategische Hartnäckigkeit Wladimir Putins und der destabilisierende Effekt des italienischen Wandels bündeln sich zu einer neuen Definition von Weltunordnung. Es gibt kein Westen gegen Osten mehr, keine liberalen Demokratien gegen totalitäre Regierungen. Das ist Vergangenheit. Die liberale Demokratie gibt es nicht mehr, und sie wird auch nicht mehr zurückkommen. Totalitarismus ist nicht mehr länger das Geschäft von Regierungen, er ist vielmehr das Geschäft globaler Informationsunternehmen. Und der Feind ist nicht länger der Feind. Er ist ein kultureller Feind, ein religiöser, ein ethnischer Feind. Die Grenzen werden die weißen Christen des Nordens den südlichen Opfern des Postkolonialismus und der weißen Überlegenheitsideologie gegenüberstellen.

Das ist das perfekte Szenario für die Apokalypse, die der Kapitalismus vorbereitet hat.(Franco Berardi, 15.6.2018)