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Mutter im Ausnahmezustand: Toni Collette hat in "Hereditary" jedes Recht, die Fassung zu verlieren.

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Jeder, der sich im Horrorfach ein wenig auskennt, weiß, dass die unangenehmsten Entdeckungen eher in der Nähe als in der Ferne lauern. In Roman Polanskis modernem Klassiker Rosemary's Baby zum Beispiel, zu dem Hereditary - Das Vermächtnis einige Ähnlichkeiten aufweist, liegt ein wesentlicher Teil des Grauens darin, dass die schwangere Mia Farrow sogar im engsten Umfeld auf niemanden zählen kann. Die scheinbar netten Nachbarn, sogar der eigene Ehemann – alle stehen unter Verdacht, zusammenzuhalten.

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Hereditary, der Debütfilm des US-Regisseurs Ari Aster, der seit seiner Premiere beim SXSW-Festival die Nackenhaare seiner Zuschauer mobilisiert, geht darüber noch hinaus. Alles bleibt in der Familie. Wie um dieses Eingeschlossensein zu unterstreichen, bewegt sich die Kamera anfangs in eine Art Puppenhaus hinein, in dem die Figuren plötzlich zum Leben erwachen. Es ist ein Holzhaus irgendwo im Norden der Staaten. Gerade ist die Großmutter verstorben, worüber die Hinterbliebenen nicht eindeutig trauern. Ist da auch Erleichterung? Jedes Familienmitglied wirkt eine Spur zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Wie dysfunktional diese Sippe wirklich ist, darüber kann man sich an dieser Stelle noch gar keine Vorstellung machen.

Die Puppenhäuser baut Annie, die Mutter, eine Künstlerin – verstörenderweise spiegeln sie auch den Terror der Realität wider. Verkörpert wird sie von Toni Collette, die für diesen Part alle ihr zur Verfügung stehenden expressiven Mittel in die Schlacht wirft – und das sind nicht wenige. Die Überspanntheit ihrer Figur rückt den Film ein Stück weit in Richtung Psychodrama. Man fühlt sich an die Familienturbulenzen in Filmen von John Cassavetes erinnert, wobei Ari Aster auch gegenläufige Genrezutaten einstreut. Die eigenartige apathische Tochter Charlie (Milly Shaprio), die der Großmutter am nächsten stand, wirkt wie eine Vorzeigekandidatin für das "evil child". Doch Hereditary führt gekonnt in die Irre, nimmt Abzweigungen, die tatsächlich niemand vorherzusehen vermag.

Übernatürlich – oder nicht

Allerdings liegt die Originalität des Films nicht vorrangig im erzählerischen Bereich. Der ist aus zu vielen Versatzstücken zusammengesetzt. Ob sich die Albträume und psychischen Defekte der Familie von Traumata ableiten oder doch Übernatürliches im Spiel ist, wie eine Spur zu schwarzer Magie vermuten lässt, bleibt in der Schwebe. Damit in Abstimmung setzt Hereditary auch szenisch auf Uneindeutigkeiten. Bis in die Sichtbarkeit vermeintlicher Geister hinein, wenn unklar ist, ob sich etwas im Raum befindet oder nicht. Der Schauer wird damit nicht kleiner.

Anders als im seriellen Horrorkino, wo die Effekte nach vorne drängen, versteht sich Aster darauf, seltsame Atmosphären zu schaffen. Er hat dafür großartige Kollaborateure. Der Score des Basssaxofonisten Colin Stetson, der dieses Jahr auch beim Donaufestival begeistert hat, ist voller unleidlicher, schiefer Töne, die dem Film die Heimeligkeit stehlen. Die Kamera von Pawel Pogorzelski bezieht eher aus der Weite, aus einer gewissen Gleichgültigkeit des Blicks ihre Kraft.

Egal, ob man den Film politisch verstehen will oder nicht, das Böse hat im US-Horror wieder neue Kraft. Wie schon in anderen neueren Produktionen wie It Follows oder zuletzt A Quiet Place werden die Räume enger. Der Rückzug des Lebens misslingt. (Dominik Kamalzadeh, 15.6.2018)