"Es braucht ein neues Miteinander." Medienminister Gernot Blümel, links im Bild mit Springer-Chef Mathias Döpfner, auf der Medienenquete.

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Es waren zwei dichte Tage voller Impulse – vorwiegend aus der privatwirtschaftlich-kommerziellen Medienperspektive, vom Axel-Springer-Verlag bis zu Turner Broadcasting International. Auf der Medienenquete der Bundesregierung wurden die strukturpolitischen Anliegen der heimischen Medienszene erläutert. So weit, so gut.

Der Fokus auf Public Value wurde vor allem auch von kommerziellen Medienhäusern, die unter reger Beteiligung deutscher Medienkonzerne in Österreich Radio- und Fernsehprogramme anbieten, als Leistung eines dualen Rundfunks bezeichnet. Dies würde den Zugriff auf GIS-Gelder oder deren Umwidmung rechtfertigen. Erst dadurch würden faire Wettbewerbsbedingungen gegenüber dem als allmächtig konstruierten öffentlich-rechtlichen ORF entstehen.

Was fällt dabei auf?

Erstens: Das Ende der marktradikalen Zeit. Dem Dogma, der freie Markt entscheidet über die Berechtigung von Medienangeboten, die als unrentabel geltenden Programminhalte und -formate sind daher überflüssig, wurde zwar rhetorisch nicht abgeschworen. Inhaltlich wurde es aber ganz deutlich in fast allen Statements reformuliert. Auch privat-kommerzielle Medienhäuser wie Puls 4, Servus TV oder ATV sehen ihr Informationsprogramm als Public Value – anders allerdings als der ORF, dessen Programmauftrag genauestens geregelt und gesetzlich bestimmt ist.

Zweitens: Der Status quo der Förderlandschaft wurde ausgeklammert. Die bisherigen staatlich subventionierten Programminhalte, die in der RTR, genauer innerhalb des kommerziellen Rundfunkfonds geregelt und ausgewiesen sind (die genauen Summen sind auf der RTR-Homepage einsehbar), wurden nicht erwähnt. Der Eindruck, lediglich der ORF werde für das Qualitätsprogramm subventioniert, konnte sich dadurch bei Unkundigen bald festsetzen.

Faktum ist, dass die gesamten Fördermittel des privaten Bereichs im Verhältnis 1:5 zwischen dem nichtkommerziellen und dem kommerziellen Privatrundfunk verteilt sind. 14 freie nichtkommerzielle Radios und drei Community-TVs teilen sich insgesamt drei Millionen Euro österreichweit, während den privat-kommerziellen Anbietern ein Volumen von insgesamt 15 Millionen Euro zur Verfügung steht. Zusätzlich zu ihrem Geschäftsmodell, das Werbeeinnahmen als Finanzierungsmodell vorsieht, versteht sich. Das RTR-Budget ist dabei zu 100 Prozent aus GIS-Geldern gespeist.

Die alte neoliberale Logik – die Kosten bleiben verstaatlicht, die Gewinne werden privatisiert – soll damit fortgeführt werden. Der türkise Marketing- und Framingmix macht den Staat dabei zum Moderator von Kapitalinteressen der privatwirtschaftlichen Unternehmen und ruft gleichzeitig zum Sparen im Sozial- und Kulturbereich auf. Eine Logik, die die öffentlich zahlende Hand austricksen soll. Das gemeinschaftliche Gut – öffentlich-rechtliche Struktur als Erkenntnis aus den Jahren der Nazi-Diktatur und deren Kontrolle über das Radio als Volksempfänger –, im Modell der BBC damals nachempfunden, wird als Auslaufmodell oder als Cashcow der Content-Erzeugung für den gesamten Sektor missinterpretiert.

Die aktuellen Mitfinanzierungen der Konkurrenz nicht einmal mehr zu erwähnen zeigt, wie sehr der ORF bereits an die politische Wand gedrängt wird. Komplexe Binnenfinanzierungslogiken – beispielsweise: Damit Ö1 werbefrei bleiben kann, muss Ö3 das nötige Geld im Radiobereich durch Werbung verdienen – konnten dabei auch vollständig ausgeklammert werden.

Zurück bleibt das Unbehagen, das die gesamte Medienenquete hindurch mantraartig beschworen wurde, dem ORF nicht finanziell schaden zu wollen oder nötige Ressourcen zu streichen. In der letzten Politikerrunde und in der Zusammenfassung des Medienministers Gernot Blümel ging dennoch alles am Ende wieder einfach auf: kein Konsens, rhetorische Schonung und nebulöse Ankündigungen einer medienpolitischen Neustrukturierung der Förderlandschaft.

Drittens: Ein gesamter Sektor wurde aus der Medienenquete völlig verbannt. Die nichtkommerziellen Medienprojekte, die auf Empowerment und kritische Medienbildung setzen und von ehrenamtlicher Produktion getragen sind. Mit ihrem Tun tragen sie entscheidend zu dem von Medienforscher Bernhard Pörksen ("Die große Gereiztheit: Wege aus der kollektiven Erregung") vorgeschlagenen Weg in die redaktionelle Gesellschaft bei: Community-Medien, freie Radio- und Fernsehsender, viele davon seit 20 Jahren täglich on air. Im aktuellen österreichweiten Public-Value-Bericht des dritten Rundfunksektors wird erstmals sichtbar, dass mehr als 3.000 Sendungsmacherinnen und Sendungsmacher im Ehrenamt 400 Stunden Programm täglich produzieren und dabei in einem offenen Lern- und Lehrbetrieb inklusive Radio- und Fernsehbildung an Interessierte vermitteln. 2017 fanden österreichweit rund 500 Schulungen mit 5.700 Teilnehmenden statt.

Werbefreiheit ermöglicht auch innere Redaktionsfreiheit. Das ist kein Geschäftsmodell, sondern eine demokratiepolitische Notwendigkeit, die eine derart stark konzentrierte Medienlandschaft wie die österreichische bitter nötig hat. Und weil so viel von Effizienzsteigerung die Rede war: Wie mit wenig Kapital und Ressourcen viele spannende Inhalte – und gelebte Vielfalt – entstehen, kann hier bestens studiert werden. Apropos Vielfalt. Auch das fiel auf: Es ist ein immer noch sehr exklusiver Kreis, der über die Zukunft des medialen Angebots im Land diskutiert. Sämtliche Minderheiten, egal ob autochthon oder erst in jüngerer Zeit eingewandert, waren so gut wie überhaupt nicht vertreten.

Viertens: Werbung nervt. Menschen versuchen seit jeher Werbung auszuweichen, sie wegzudrücken, wegzuhören, leiser zu stellen, im öffentlichen Raum zu vermeiden. Werbestrategien sind daher immer gefinkelter, unauffälliger und werden zunehmend informell eingebaut. Eine kritische Medienwissenschaft weiß das, eine öffentlich-rechtliche Medienstruktur verbietet sich das. Die kommerziellen Medienunternehmen reden aber ausschließlich davon. Dazu war Zeit und Raum in der Enquete. Vor allem die Europaperspektive – ein europäischer Kapitalismus soll vor dem amerikanischen Monopolgeschäft im Social-Media-Bereich geschützt werden – kam prominent vor. Wenn wir uns zuerst um Wirtschaftspolitik kümmern, bevor wir Demokratiepolitik als Medienpolitik definieren, wird es dunkel in der Demokratie. Vor 170 Jahren stiegen Bürgerinnen, Bürger, Arbeiterinnen und Arbeiter auf die Barrikaden, um für Meinungs-, Versammlungs- und Redefreiheit zu kämpfen. Die Idee, dass Medien vor allem Werbegeschäft bedeuten, hätte die Utopie einer republikanischen Gesellschaft nicht hervorgebracht.

Die Zeitenwende ist da: Überlegungen zur medialen Vielfalt und Qualität sind kein Marktfeger, kein Geschäftsmodell, sondern ein Projekt der Aufklärung, das die Basis für unsere heutige Demokratie ist oder zumindest sein sollte. Diese Debatte wurde ausgeklammert. Schade eigentlich. (Ulli Weish, 22.6.2018)