Start-up ist ein zeitgenössischer Begriff für etwas gar nicht so Neues: junge Unternehmen, die mit innovativen und technologiebasierten Lösungen neue Geschäftsmodelle erschließen und noch nicht zum etablierten Tagesgeschäft übergegangen sind. So definiert zumindest Alexander Koll, was ein Start-up ist.

Der Innsbrucker führt durch das mehr als hundert Jahre alte Werksgelände von Swarovski. Wie ein Ort im Ort wirken die vielen kleinen und großen Gebäude. In manchen davon wurden Kristalle geschliffen, in anderen wurden die Geschicke des Unternehmens gelenkt. Im Süden der Tiroler Marktgemeinde Wattens, wo der Wattenbach aus dem Wattental springt, hat das, was heute zu den größten Luxuskonzernen der Welt gehört, als klassisches Start-up begonnen. Am Anfang standen ein kreativer Gründer und eine neue Technologie: eine Schleiftechnik für Kristallglas.

Heute hat der Konzern für einen großen Teil des alten Fabriksgeländes keine operative Verwendung mehr. Das Gros der Produktion findet längst in einer moderneren Fabrik statt. Dennoch stehen nicht alle aufgelassenen Gebäude leer. Auf das Fabriksgelände ist der Gründergeist zurückgekehrt. 40 junge Unternehmen haben sich in den vergangenen Jahren in der Werkstätte Wattens angesiedelt: "Und aus den Büros ist noch kein einziges wieder ausgezogen", erzählt Koll, der die Werkstätte leitet, nicht ohne Stolz.

So leer ist das Fab-Lab nur bei Fototerminen.
Werkstätte Wattens

Das Unternehmens- und Kreativzentrum für Unternehmen in unterschiedlichen Entwicklungsphasen, wie die Werkstätte sich auf der eigenen Homepage definiert, ist das Prestigeprojekt der regionalen Entwicklungsagentur Destination Wattens, einer öffentlich-privaten Partnerschaft von Swarovski und der Gemeinde Wattens. Ziel ist, junge innovative Unternehmen anzusiedeln und Wattens zu einem attraktiven Standort zu machen.

Im modernen Coworking-Space, wo Swarovski einst Werkzeuge und Apparate gefertigt hat, arbeiten junge und mitteljunge Menschen. Manche entfliehen für eine Weile dem Büroalltag, andere kommen jeden Tag aufs Neue, um an ihrer Geschäftsidee zu tüfteln. Viele Unternehmen, die dort angefangen haben, haben sich mittlerweile in einem der vielen Büros eingenistet. Die Mitarbeiter der Werkstätte greifen den jungen Selbstständigen dabei kräftig unter die Arme. "Wir begleiten unsere Unternehmen von der Gründung bis zum Markteintritt und darüber hinaus", erklärt Koll: "Entweder direkt oder indem wir sie mit anderen Unternehmen, Geldgebern oder der Wissenschaft vernetzen."

Konkret bedeutet das Hilfe bei der Entwicklung von Geschäftsideen, Businessplänen, Finanzierungsplänen und Prototypisierung. Wer sich in der Werkstätte niedergelassen hat, kann das moderne Fab-Lab mitbenutzen. Von 3D-Drucker über Fräsen bis zu Industrierobotern stehen dort Geräte bereit, mit denen Prototypen gebaut und getestet werden können.

40 Unternehmen sind in der Werkstätte Wattens zu Hause – Gelegenheit zum Denken und Ausrasten gibt es auch.

"Infrastruktur und Service allein garantieren noch keinen Erfolg", warnt Matthias Neeff, Geschäftsführer der Destination Wattens. Als die Werkstätte konzipiert wurde, sind Koll und er durch die Welt getourt, um sich im Silicon Valley, Wien, München und an anderen Orten vergleichbare Projekte anzusehen. Man wollte aus deren Erfahrungen lernen. "Uns wurde immer wieder gesagt: Schaut genau auf die Persönlichkeiten, die ihr bei euch ansiedelt", erzählt Neeff: "Damit das Umfeld für alle möglichst fruchtbar ist, braucht es Charaktere, die gerne mit anderen interagieren und von anderen lernen."

Um attraktiv zu bleiben, müsse man den Unternehmen aber auch Netzwerke über die Werkstätte hinaus bieten, warnt Neeff. Die Werkstätte arbeitet deshalb eng mit dem Institute for Entrepreneurship Cambridge – Tirol (I. E. C. T) zusammen, mit dem der österreichische Investor Hermann Hauser ein Ökosystem für Start-ups in Tirol schaffen will. Auch die Standortagentur des Landes Tirol, von der Start-ups eine Mietpreisförderung bekommen, ist enger Partner der Werkstätte. Mit dem Verein Startup.Tirol hat man ein Netzwerk aus Wissenschaft, Geldgebern und Unternehmen geschaffen. Die Werkstätte veranstaltet immer wieder Events, um Investoren und junge Unternehmen zusammenzubringen. Auch mit den regionalen Universitäten und Fachhochschulen steht man in engem Kontakt.

Globaler Riese kommt bald

"Es ist uns gelungen, ein Innovationszentrum von Fraunhofer Austria bei uns anzusiedeln", erzählt Neeff: " Wir hoffen sehr, dass daraus in den kommenden Jahren ein vollwertiges Fraunhofer-Institut wird." Außerdem sei es gelungen, einen globalen Riesen aus dem Bereich künstliche Intelligenz ins Swarovski-Werk zu locken. Um wen es sich handelt, wollen Koll und Neeff noch nicht verraten. Nur dass sich die Gründer und Tüftler in Wattens sehr darauf freuen würden.

Der vorerst jüngste Zuwachs in der Werkstätte hat gerade erst sein Büro bezogen. Eine große plastikumhüllte Maschine steht im sonst fast leeren Raum, in dem Urisalt seinen Prototypen entwickeln wird. Dieser soll den Elektrolythaushalt von Patienten per Urinprobe bestimmen – von zu Hause aus und nicht invasiv. Derzeit wird dies mit einem Bluttest gemacht. In Produktion wird das Messgerät von Urisalt aber erst in rund zwei Jahren gehen.

Die Unternehmen nutzen hier die Industriegeräte, um Prototypen herzustellen.


Foto: Werkstätte Wattens

Andere Firmen sind da schon weiter – und produzieren bereits in der Werkstätte. Im ältesten Gebäude des Swarovski-Werks schrauben Paul & Ernst Gastrofahrräder zusammen. Unbound röstet und mischt nebenan Kaffee. Aber auch Plattformen wie Gronda, eine Karriereseite für Gastronomen, Kreativagenturen und andere Dienstleister sorgen für Branchenvielfalt im alten Swarovski-Werk. Und weitere Unternehmen werden einziehen. Einige haben sich bereits angemeldet, müssen sich aber gedulden. Sobald die Warteliste lang genug ist, will Koll die Werkstätte weiter vergrößern. "Theoretisch können wir von derzeit rund 4000 auf insgesamt 10.000 Quadratmeter wachsen."

Geplant ist auch eine Gastronomie auf dem Gelände der Werkstätte. Angeregt wurde dies nicht von den Unternehmen in der Werkstätte, die sich eine Gemeinschaftsküche teilen. Vielmehr soll auch für diejenigen ein Angebot geschaffen werden, die zwar im Swarovski-Werk, aber nicht in der Werkstätte arbeiten – also für die Swarovski-Mitarbeiter.

Leitbetrieb als Ermöglicher

Der Leitbetrieb ist überall. An der Regionalentwicklungsagentur, die mit Neeff ein ehemaliger Swarovski-Mitarbeiter führt, ist er mit 60 Prozent beteiligt – die Gemeinde Wattens mit 40. Die Werkstätte Wattens ist in Swarovski-Immobilien eingemietet. Markus Langes-Swarovski sitzt mit seiner Beteiligungsfirma Segnalita in der Werkstätte, die mit Koll genauso einen Leiter mit Swarovski-Vergangenheit hat.

"Swarovski und die Marktgemeinde Wattens sind die Ermöglicher unserer Regionalentwicklungsinitiativen und damit auch der Werkstätte", sagt Neeff. Ohne großen Leitbetrieb wären die finanziellen Ressourcen für die Standortentwicklung deutlich kleiner. "Uns ist bewusst, dass unsere Arbeit ohne Swarovski so nicht möglich wäre", bestätigt Neeff: "Aber man muss die Möglichkeiten, die man hat, eben auch nutzen. In unserem Fall sind es ein Leitbetrieb und eine innovative Gemeindeführung, anderswo können das andere Ressourcen und Potenziale sein." (16.6.2018)