Der BND hört vom bayrischen Bad Aibling aus, Stelliten-Kommunikation ab. Die Zielrichtung seiner Antennen versteckt er hinter runden Abdeckung.

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Nach Berichten von STANDARD und Profil, wonach der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) über Jahre rund 2.000 Ziele in Österreich ausgespäht hat, leitet die Staatsanwaltschaft Wien neue Ermittlungen ein. Dies erfuhr der STANDARD aus Justizkreisen. Konkret soll ein weiteres Rechtshilfeersuchen an die deutschen Behörden gestellt werden. Zuvor hatte die Regierung am Samstag nach einer kurzfristig anberaumten Sitzung "volle Aufklärung" von Deutschland gefordert.

"Ein Ausspionieren unter befreundeten Staaten ist nicht nur unüblich und unerwünscht, es ist auch nicht akzeptabel", sagte Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei einem Presseauftritt mit Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Auch die Opposition fordert eine lückenlose Aufklärung. In Deutschland trat bereits der Bundestag auf den Plan. Das Parlamentarische Kontrollgremium der Geheimdienste will die Vorwürfe prüfen.

Wie geht die Causa nun weiter? Der STANDARD beantwortet die wichtigsten Fragen rund um die Aktivitäten des BND in Österreich.

Frage: Der BND spioniert also in Österreich. Ist das überraschend?

Antwort: Nein. Dass sich auch befreundete Nachbarstaaten gegenseitig ausspähen, ist seit Jahrzehnten bekannt. Die Recherchen von STANDARD und Profil enthüllten aber, dass das in einem weitaus größeren Ausmaß als bisher bekannt passiert. So finden sich auf der Liste des BND nicht nur große Konzerne mit globaler Bedeutung oder internationale Organisationen, deren Ausspähung logisch erscheint. Vielmehr nahm der deutsche Nachrichtendienst auch klein- und mittelständische Unternehmen aus einer großen Reihe von Branchen sowie Privatpersonen, etwa Universitätsprofessoren, ins Visier.

Der Spiegel berichtete bereits 2015 von Spähzielen des BND in anderen EU-Mitgliedsländern, er dürfte Zugriff auf dieselbe oder eine ähnliche Liste gehabt haben. Das Nachrichtenmagazin erwähnte jedoch nur wenige Beispiele in Österreich, enthüllte aber die Ausspähung von EU-Institutionen oder dem französischen Konzern Eurocopter.

Frage: Sind diese Spionageaktivitäten schon lange vorbei?

Antwort: Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Bundespräsident Alexander Van der Bellen haben darauf hingewiesen, dass die Liste der enthüllten Spähziele lediglich die Jahre 1999 bis 2006 umfasst. Das ist allerdings nur der Startzeitpunkt der Überwachung. Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Ausspähung 2006 beendet wurde. So heißt es in einem Bericht des deutschen Bundestages, dass der BND selbst erst im Frühjahr 2013 überlegte, wie man mit Spähzielen "mit EU/Nato-Bezug" umgehen soll.

Frage: Umfasst die Liste nur Ziele, die nach 2013 deaktiviert wurden? Ist sie vollständig?

Antwort: Nein. Es handelt sich nicht um jene Liste aussortierter Ziele, die deutschen Parlamentariern vorgelegt wurde. Genausowenig handelt es sich um die "vollständige" Liste aller Spähziele in Österreich. Der BND hatte bis 2013 – gelinde gesagt – ein leicht chaotisches System, was seine Selektoren, also Suchbegriffe wie Telefonnummern oder E-Mail-Adressen, betrifft.

Die BND-Zentrale in Berlin. Behübscht mit landestypischen Palmen.
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Frage: Warum nahm der BND so viele Unternehmen aus Österreich ins Visier?

Antwort: Der BND hatte bis 2016 sehr großen Handlungsspielraum, was die Spionage im Ausland betrifft. Ausländer im Ausland sind für Geheimdienste "Freiwild", hier griffen keine Persönlichkeitsrechte. Das gilt für den BND ebenso wie für US-amerikanische oder russische Dienste. Die Liste an Zielen wurde immer länger, ohne bereinigt zu werden. Für fast jedes Spähziel lässt sich mit etwas Fantasie eine Begründung finden. So kommen etwa in Atomkraftwerken zigtausende Komponenten zum Einsatz. Wenn eine österreichische Firma etwa Wärmepumpen oder Messgeräte herstellt, kann der BND angeben, zu prüfen, ob dieses Unternehmen etwa mit dem Iran oder Nordkorea in Kontakt steht.

Frage: Was passiert jetzt?

Antwort: Kurz und Van der Bellen forderten von der deutschen Regierung eine baldige Aufklärung. Das Kontrollgremium des deutschen Bundestages hat angekündigt, beim BND zu prüfen, ob diese Ziele in Österreich weiterhin ausgespäht werden. Außerdem rollen die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in Österreich wieder an. Auch Unternehmen könnten gegen die Ausspähung vorgehen. Dieses Mal sollen deutsche Stellen ihre Kooperation signalisiert haben – bei den ersten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen war das nicht der Fall, enthüllte Kurz am Samstag.

Frage: Ist der BND für Österreich jetzt ein Bösewicht?

Antwort: Solche Kategorien gibt es unter Geheimdiensten nicht. Aber selbst wenn man von "Freunden" und "Feinden" sprechen will, ist der BND noch lange nicht als feindlicher Dienst einzuordnen. Im Gegenteil: Die Zusammenarbeit mit österreichischen Dienste ist seit Jahrzehnten sehr eng. Das geht etwa aus den Akten zur Verfassungsschutz-Affäre in Österreich hervor, wo BVT-Mitarbeiter erzählen, wie sie Ergebnisse aus der Überwachung von Nordkoreanern in Wien für den BND aufbereitet haben. Das Heeresnachrichtenamt des Bundesheeres gilt gar als "kleiner Bruder" des BND.

Frage: Wie ist die Auslandsspionage des BND heute geregelt?

Antwort: Der deutsche Bundestag verabschiedete 2016 ein neues Gesetz, das die sogenannte Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung reformierte. Nun sollen keine Staats- und Regierungschefs befreundeter Länder mehr ausspioniert werden. Das Abhören von EU-Bürgern muss begründet werden.

Das Abschöpfen von Telekommunikationsdaten bleibt aber erlaubt. So werden am De-Cix in Frankfurt am Main, dem größten Internetknoten der Welt, alle darüber laufenden Datenströme komplett abgesaugt. Zu den Kunden des De-Cix zählt unter anderen die Telekom Austria, Google und Facebook. (Fabian Schmid, Markus Sulzbacher, 17.6.2018)