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"Eine Partie Dame": Ein Wiener Film, der Cassavetes' Coolness mit der Hitze von Bertoluccis "Der letzte Tango in Paris" vereint. Das Foto zeigt Elfriede Jelinek 1980, im Entstehungsjahr des Drehbuchs.

Brigitte Friedrich / SZ-Photo / picturedesk.com

Serge Gainsbourg, in dessen Wohnung Elfriede Jelinek und der Filmproduzent Helmut Wietz am 14. April 1981 standen, empfing nur ungern Gäste in seinem dunklen Reich. Denn fast alles im Apartment des Chansonniers an der Rue de Verneuil war schwarz – die Wände, die Möbel, der prominent platzierte Flügel.

Der Hamburger Produzent und die damals in Wien ansässige Autorin waren nach Paris gereist, um dem französischen Enfant terrible, das 1928 in Paris in eine Familie jüdisch-ukrainischer Emigranten hineingeboren wurde, die Hauptrolle im Film Eine Partie Dame anzubieten, für den Jelinek das Drehbuch geschrieben hatte.

Gainsbourg, ein antibürgerlicher Bohemien und Frauenheld mit ungesundem Lebenswandel, der als Kind während der deutschen Besatzung den Judenstern tragen musste und den Krieg mit seinen Eltern auf dem Land überlebte, hatte die Übersetzung des Drehbuchs gelesen – und stimmte zu.

Der Franzose, der in den 1970er-Jahren mit dem Album Rock Around the Bunker und dem Stöhnsong Je t'aime ... moi non plus (mit Jane Birkin) für Skandale sorgte, war allerdings damals im Film noch ein unbeschriebenes Blatt. So wie Tilda Swinton, die für die weibliche Hauptrolle vorgesehen war.

Groß gedacht

Die Besetzung mit Gainsbourg war ein Risiko. Elfriede Jelinek und Regisseur Rainer Boldt wollten aber den groß gedachten Kinofilm, der mit Elementen des Agententhrillers spielt und in einem zweiten Strang eine Amour fou skizziert, unbedingt mit internationalen Schauspielern realisieren. Entsprechend üppig war das Budget. 1,5 Millionen Mark galt es aufzutreiben, eine damals beträchtliche Summe. Das Projekt scheiterte schließlich an der Finanzierung und verschwand in der Schublade.

Dass die Nobelpreisträgerin des Jahres 2004 fast vierzig Jahre nach seiner Entstehung den Text des Drehbuchs Eine Partie Dame nun im feinen Verbrecher-Verlag der Öffentlichkeit zugänglich macht, gleicht einer kleinen Sensation, die dem Jelinek-Kosmos ein weiteres Mosaiksteinchen hinzufügt.

Der Plot ist schnell erzählt. Wir befinden uns im Wien der ausgehenden 1970er-Jahre, also in einer grauen, etwas seltsamen Stadt, am "Blinddarmende von Westeuropa", die unmittelbar an der Grenze zu "anderen Gesellschaftssystemen" liegt. Der Kalte Krieg hat mit dem Nato-Doppelbeschluss wieder einmal einen seiner Höhepunkte erreicht. Die Stadt ist, so das filmische Klischee, voll mit Agenten und Emigranten.

Die atomare Gefahr tut allerdings der Wiener Laisser-faire-Atmosphäre keinerlei Abbruch. Konterkariert wird sie im Drehbuch von der Hauptfigur Andzrej Weintraub, einem polnischen Juden und Kommunisten, dessen Eltern in Auschwitz umgebracht wurden. Er, der Fremdling, ergänzt das Ganze mit einer von Melancholie grundierten Lässigkeit.

Sein Geld scheint Andzrej mit einer kleinen Bar im ersten Bezirk zu machen, die bei alten Spanien-Kämpfern und Verlorenen aller Art als beliebter Treffpunkt fungiert. In diesem etwas halbseidenen Etablissement lernen sich auch die aus gutem Haus stammende Studentin Lisa und der doppelt so alte Andzrej kennen und lieben. Diese fatale Liebe einer jungen Frau, die das Leben in das Erwachsensein hineinkatapultiert, zu einem weit älteren Mann, der sie mit emotionalen Fake-News füttert, ist jedoch nur der Treibstoff für den politischen Strang der Geschichte.

Überzeugung

Zwar kommen Männer auch in diesem Text der Autorin, der 1975 mit Die Liebhaberinnen der Durchbruch gelang, nicht gut weg. Weit wichtiger aber sind die geopolitischen Räume, die der Text öffnet, denn Andzrej ist ein Agent, der westliche Hochtechnologie in den Osten schmuggelt. Er tut es nicht aus Geldgier, sondern aus Überzeugung. Das ist ein Statement, das schon damals beträchtlichen Sprengstoff barg und auch heute, in Zeiten der von Politik und Wirtschaft ausgerufenen Alternativlosigkeit, von internationalem Terror und einer durch populistische Schlagworte getarnten gesellschaftlichen Indifferenz, noch radikal erscheint.

Bis in die Nebenfiguren hinein ist der Text psychologisch fein gearbeitet und der Spannungsbogen ab der ersten Szene zum Zerreißen gespannt. Obwohl es sich nicht um große Literatur, sondern eben ein Drehbuch, also um Dialoge und Regieanweisung handelt, ist beachtlich, wie greifbar die Atmosphäre wird. Es schwebte ihr, schreibt Elfriede Jelinek im Vorwort, ein von Wiener Dialekt grundiertes Ambiente samt der Coolness eines Cassavetes-Films und der Hitze von Bertoluccis Der letzte Tango in Paris vor. Das hätte man gern gesehen. Einstweilen muss man auf das Drehbuch zurückgreifen, das Herausgeber Wolfgang Jacobsen mit einem vorzüglichen Nachwort versehen hat. (Stefan Gmünder, 18.6.2018)