Göttingen – Bei allen gewohnten Hiobsbotschaften zum Status unserer nächsten Verwandten gab es zuletzt auch Positives zu berichten: Internationale Wissenschafter hatten im April eine Studie vorgestellt, die zum Schluss kommt, dass es mehr frei lebende Gorillas und Schimpansen gibt als bisher angenommen. Das kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein eindeutiger Abwärtstrend zu beobachten ist, hauptsächlich befeuert von der Vernichtung der Lebensräume der Primaten.

Wie nun ein länderübergreifendes Team führender Primatenforscher, darunter Experten vom Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen, berichtet, könnten bis zum Jahr 2100 weltweit bis zu 78 Prozent der Lebensräume vieler Affenarten gänzlich verschwunden sein. Besonders die Vernichtung natürlicher Wälder und deren Umwandlung in landwirtschaftliche Nutzflächen, aber auch die Jagd und der Handel mit Buschfleisch bedrohen demnach viele Arten. Die Wissenschafter analysierten dafür in einem im Fachjournal "Peer Journal" erschienenen Übersichtsartikel die Lage zahlreicher Primatenarten in Brasilien, Madagaskar, Indonesien und der Demokratischen Republik Kongo.

439 bekannte Affenarten

Affen leben in tropischen und subtropischen Gebieten der Erde und sind vor allem in Regionen Afrikas, Südamerikas, Madagaskars und Asiens verbreitet. Die Weltnaturschutzunion (IUCN) listet derzeit 439 Arten. 65 Prozent davon oder 286 Arten sind in Brasilien, Indonesien, Madagaskar und der Demokratischen Republik Kongo beheimatet. Von ihnen sind rund 60 Prozent vom Aussterben bedroht. Besonders dramatisch ist die Lage in Indonesien und Madagaskar, wo mehr als drei Viertel der Primatenarten bedroht sind und über 90 Prozent der Populationen zurückgehen.

Die Wissenschafter kombinierten Daten aus den Datenbanken der Vereinten Nationen und der Weltbank und simulierten so die geschätzte Ausbreitung der landwirtschaftlichen Nutzflächen in den vier Ländern bis zum Ende des Jahrhunderts. Unter Annahme eines Worst-Case-Szenarios konnten die Forscher einen Rückgang der Verbreitungsgebiete der Affenarten vorhersagen. Demnach könnten bis zum Ende des Jahrhunderts 78 Prozent der Lebensräume in Brasilien, 72 Prozent in Indonesien, 62 Prozent in Madagaskar und 32 Prozent im Kongo verschwunden sein.

Viele Populationen ohne Schutz

Gleichzeitig untersuchten die Autoren die Größe und Verbreitung von Schutzgebieten für die Tiere. Ihre Schätzungen ergaben, dass in Brasilien und Madagaskar rund 38 Prozent, in Indonesien 17 Prozent und im Kongo 14 Prozent ihrer Lebensräume in Schutzgebieten liegen. Der Großteil der Verbreitungsgebiete ist also ohne Schutzstatus und die Affen damit gefährdet.

In Brasilien, Madagaskar und Indonesien bringen demnach vor allem der Verlust und die zunehmende Zerteilung ihrer Lebensräume die Tiere in Bedrängnis. In der Demokratischen Republik Kongo stellt der Handel mit Buschfleisch die größte Gefahr dar. Zudem werden Primaten illegal als Haustiere verkauft oder in der traditionellen Medizin verwendet.

Bewusstsein schaffen

"Nicht zuletzt die Industrienationen tragen zu dieser Entwicklung bei", erklärte Christian Roos, Koautor der Studie. Die Nachfrage nach Rohstoffen wie Soja, Palmöl, Kautschuk, Hartholz oder fossilen Brennstoffen sei groß. Allein die vier primatenreichen Länder deckten 50 Prozent dieser Exporte nach China, Indien, den USA und Europa.

Die Forscher forderten die Ausweitung der Schutzgebiete, die Aufforstung der Wälder und Pflanzung von Korridoren als wichtige Maßnahmen, um Primatenpopulationen zu erhalten. Darüber hinaus müsse bei der örtlichen Bevölkerung ein Bewusstsein für die prekäre Lage geschaffen werden. Zudem sollten Regierungen der betreffenden Länder härter gegen illegale Jagd, Waldzerstörung und Handel mit Primaten vorgehen. (red, APA, 18.6.2018)