Die "Totenfrau" in Innsbruck: Im Schiffsrumpf beginnen sich die Leichen zu stapeln, für psychologische Tiefe ist da kein Platz.


Foto: Rupert Larl

Dabei hat der Autor sonst den Dreh heraus: Mit seiner psychologisch hanebüchenen Totenbestatterin-Story landete Bernhard Aichner einen Bestseller, eine US-Verfilmung ist anberaumt, Braunschlag-Macher David Schalko scharrt angeblich in den Startlöchern für eine landeseigene TV-Produktion. All das verdankt sich zum einen der zwiespältigen Hauptfigur: einer wilden Brünhilde, die ihre biederen Eltern ums Eck bringt, ihren von ebenso biederen Großkopferten ums Eck gebrachten Gatten rächt und ihren Kindern eine gute Mutter ist: Blum, so lautet ihr paradox floraler Nachname. Zum anderen reizt Aichner mit hechelnder Satz- und Montage-Technik den Thrill des Genres aus: Psychologie bleibt ausgespart, aber der Erzählsog zieht in den Bann.

Wenig von dem ist in der Bühnenfassung zu spüren. Auf der weiß gekachelten Bühne – Blum hat das Bestattungsunternehmen ihrer Eltern übernommen – dreht sich alles um den goldenen Bootsrumpf, in dessen rettendes Innere die ahnungslos schwimmenden Eltern aufgrund der von Brünhilde eingezogenen Badeleiter einst nicht mehr gelangten (Bühne: Thomas Krauß, Katharina Ganner). Stattdessen findet hier Dunja kurzfristig Unterschlupf, die gemeinsam mit zwei anderen das Opfer besagter pervertierter Biedermänner wurde: Folter, Vergewaltigung, Mord. Ihrem Martyrium, das an Perversion kaum Wünsche offenlässt, war Blums Mann als Polizeibeamter hartnäckig auf der Spur. Deshalb musste er sterben. Und weil er sterben musste, müssen sie sterben. Soweit der durchaus nachvollziehbare Zyklus.

All das wird auf der Bühne nacherzählt, ja geradezu ausbuchstabiert (Inszenierung: Thomas Krauß). Nicht dass Aichner und seine Co-Autorin Susanne Felicitas Wolf dabei ungeschickt vorgegangen wären. Allein aus dem wuchtigen 400-Seiten-Wälzer will sich kein spannendes Kammerspiel zimmern lassen. Die Bedrängnis der kleinen Brünhilde, die der Vater dazu zwingt, die Toten zu waschen und ihnen die Münder zuzunähen, die zerstörerische Familienidylle ("Alles wird gut!"), das große Leiden der Dunja wie die existenziellen Gewissensnöte der Blum: All das wirkt so unauthentisch wie die Motorsäge, die Letztere für ihr Mordgeschäft in die Hände nimmt.

Der Ton der Figuren laviert zwischen hoher Dramatik und verhaltener Umgangssprache, auch wenn sich das Ensemble, allen voran Lisa Hörtnagl als Blum, bemüht, das Gesprochene im Hier und Jetzt zu verorten. Drastischer Höhepunkt der Flowerpower Blums bleibt das Stapeln der Leichen im Rumpf des Boots, den sie – zuletzt gemeinsam mit ihrem Gehilfen Reza (herausragend: Christoph Schlag) – nach jeder Moritat zu wummernden Gitarren-Riffs wie eine Spirale immer höher schraubt. Warum sie den Mordreigen überhaupt am Laufen hält, erschließt sich nicht wirklich. Diese Katz' war für Aichners LeserInnen aber ohnedies schon aus dem Sack. Das Premierenpublikum in den Innsbrucker Kammerspielen spendete stehenden Applaus. (Bernhard Sandbichler, 18.6.2018)