An der Oberfläche feuriges Musiktheater: Die Effekte in "Freischütz" können über eine Staatsopernsaison der nur soliden Art nicht hinwegtäuschen.

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Bevor es demnächst in die Sommerpause geht, kam es noch knüppeldick für die Staatsoper: Als gelte es, den Verantwortlichen für ihre Ferien noch einige Grübelaufgaben mitzugeben, lancierte der Rechnungshof seinen Bericht. Mögliche Ungereimtheiten etwa bei Kartenvertrieb und Orchesterdienst waren Thema. Die Staatsoper, tatsächlich europäischer Auslastungskaiser, gelobt in Teilen jetzt Besserung. Sie kann allerdings durchaus Argumente anführen, die den Bericht da und dort zurecht relativieren.

Hätte der ehrenwerte Prüfhof die künstlerische Strahlkraft des Hauses kritisch bewertet, würde die Gegenargumentation dem Haus am Ring allerdings erheblich schwerer fallen. Gerade die noch frische Freischütz-Premiere zeigte ein fast tragisches Händchen bezüglich der Regie. Diesem prinzipiell lobenswerten Versuch, subjektive Werkdeutung zu ermöglichen, landete teils unfreiwillig komisch auf billig anmutendem Stadttheaterniveau.

Musealer Tempel des Vorsichtstheaters

Schade. Ein echter Wurf, der international Aufmerksamkeit generieren würde, täte wieder einmal wohl. Ein Haus von Weltformat – wie die Staatsoper es nach wie vor ist – müsste bisweilen als Zeitgenosse punkten, der die alten Opernschinken packend auch für die juvenile Gegenwart erschließt. Kindertheater in der Walfischgasse vermag dies nicht alleine zu leisten. Längst jedoch ummantelt das zahlenstolze Auslastungshaus (abseits des guten Repertoirealltags) das Image, gerne ein musealer Tempel des Vorsichtstheaters zu sein.

Nach gutem Saisonstart mit Prokofjews Spieler (Regie: Karoline Gruber) ging es bergab. Lulu war eine um den dritten (aus Paris importierten) Akt ergänzte Wiederaufnahme. Ariodante blieb Spielwiese des selten inspirierten David McVicar. Und Samson et Dalila hatte, ja, nur ein paar helle Momente. Es wundert nicht, dass die Staatsoper auch bei internationalen Opernpreisen regelmäßig übergangen wird.

Die Formulierung "international relevant" wird auch mit der Wiener Volksoper kaum noch in Verbindung gebracht. Muss ja nicht sein. Nachdem Klaus Bachler einst für kurze Zeit das Haus zur besseren Staatsoper hochgetrimmt hatte, schlitterte das Haus am Gürtel (unter den Nachfolgern) in die Krise. Erst Burgmime Robert Meyer konnte es stabilisieren – auch unter fleißigem Einsatz seiner Darstellungskünste. Die Rettung ist nun allerdings auch schon eine Weile her. Und sie ging offenbar über in das Verwalten eines soliden Niveaus im Sinne einer gewissen Selbstgenügsamkeit. Es kommt das Haus ohne Musikchef aus.

Mehr Moderne möglich

Nicht dass ein "Chefdirigent" – den es an der Volksoper nicht gibt – ein Garant für gleißende Sangeskünste wäre. Dass die Abwesenheit eines solchen ein hohes Niveau bewirken würde, lässt sich leider aber auch nicht behaupten. Die Hoffnung auf exzeptionellen Gesang (zumindest im Operettenbereich) ist jedenfalls regelmäßig mit Enttäuschung konfrontiert. Zudem offenbart sich eine Repertoiretendenz zur leichten Muse. Hoffentlich sind üppige Musicalmengen nicht Symptom eines längst wieder lodernden Kampfes mit Auslastungsprobleme. Man wird sehen.

Immerhin hat sich der Ausflug ins Kasino am Schwarzenbergplatz ausgezahlt, wo Modernes potenziell möglich ist. Wobei: Der Eindruck, die Volksoper habe das Feld "anspruchsvolles Musiktheater" dem Theater an der Wien überlassen, wird dadurch nicht pulverisiert. Wäre auch schwer möglich. Im Haus am Naschmarkt werden zumindest die Möglichkeiten des Stagionetheaters ausgeschöpft, es wird gewagt. Gelingt auch nicht immer alles, sind Projekte wie Wagners Ring – aus einer ungewöhnlichen Perspektive erzählt – vitale Belege einer Neubefragung des Grundrepertoires.

Solche Ausflüge ins Ungewohnte lassen auch wehmütige Erinnerungen an frühere Wiener Festwochen aufkommen, als Regisseure wie Romeo Castellucci den Wiener Häusern zeigten, was Oper vermag. Dies brachte zu Saisonschluss einen gewissen Trost, der nun fehlt. Die Festwochen bewegen sich weg von ihren früheren Stärken.

Nach der Saison ist immerhin vor der Saison. Die Hoffnung bleibt, muss bleiben. Bis zur – zumindest personell spannenden – Zukunft ist es ja noch weit hin. Bogdan Roščić beginnt an der Staatsoper 2020. Und ob Stefan Herheim das Niveau im Theater an der Wien noch steigern kann, wird er erst ab 2022 zeigen. Es kann also nicht schaden, wenn das Warten bis dahin mit einem Opernfeuerwerk an Widerlegungen der These versüßt wird, wonach zwei Wiener Häuser an Stagnation leiden. (Ljubiša Tošić, 19.6.2018)