63 Punkte umfasst der Plan des deutschen Innenministers Horst Seehofer in Sachen Migration. Darin enthalten sind nicht nur Zurückweisungen an der Grenze, sondern auch Einschränkung von Geldzahlungen an Flüchtlinge. Künftig sollen fast nur noch Sachleistungen zur Verfügung gestellt werden. Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge soll umbenannt werden.

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Sollte Deutschland Flüchtlinge, die bereits in anderen EU-Staaten registriert sind, an der Grenze zurückweisen, würde Österreich die Menschen weiterschieben, heißt es aus dem Innenministerium in Wien zum STANDARD. "Wenn ein illegal eingereister Migrant im Grenzbereich aufgegriffen wird, kann man ins Nachbarland zurückweisen", sagt Ressortsprecher Christoph Pölzl: "Wird er im Landesinneren aufgegriffen, so kann dieser innerhalb von 14 Tagen ins Nachbarland zurückgeschoben werden." Sobald ein Fremder aber Asyl beantrage, würde die Dublin-Verordnung greifen, sagt Pölzl.

Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) glaubt nicht, dass der Asylstreit der deutschen Regierung negative Auswirkungen auf Österreich habe: "Ich kann ausschließen, dass sich für Österreich etwas verschlechtert", sagt er im Gespräch mit der Austria Presseagentur. Sollte Deutschland nach Österreich zurückschieben, würde jeder "Schritt im Gleichschritt" erfolgen, deutet Kickl ein ähnliches Vorgehen der Regierung an.

Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) hatte mit seiner Forderung für Aufsehen gesorgt, Migranten an der Grenze zu Österreich zurückweisen zu wollen, deren Fingerabdrücke bereits in der EU-Fingerabdruckdatenbank Eurodac registriert sind. Das soll laut Medienberichten schrittweise erfolgen: Zuerst sollen jene Personen abgewiesen werden, die mit einem Einreiseverbot belegt sind – etwa, weil ihr Asylansuchen bereits abgelehnt wurde. Eine umfassende Zurückweisung soll erst dann stattfinden, wenn keine europäische Vereinbarung zur Aufnahme von Migranten zustande kommt. Vorbild dafür ist eine vergleichbare Einigung zwischen Frankreich und Italien, nach der im vergangenen Jahr 87.000 Migranten an der Grenze zurück nach Italien geschickt wurden.

Rückweisungen bereits Alltag

Doch bereits jetzt werden Personen an der Einreise nach Deutschland gehindert: Im Jahr 2016 wurden an der Grenze zu Österreich 15.735 Menschen zurückgewiesen, im Jahr 2017 waren es 7009. Laut dem Wiener Innenministerium hat Österreich heuer bis zum 10. Juni rund 2060 Personen übernommen, nachdem Deutschland die Einreise verweigert hat, und etwa 40 Migranten aufgrund des Rücknahmeabkommens, das seit 1998 mit dem Nachbarland besteht. Hochgerechnet auf das Jahr entspricht das insgesamt 13 Personen pro Tag.

Für die Bundespolizei in Passau stehen Zurückweisungen auf der Tagesordnung. Laut Sprecher Timo Schüller werden 60 Prozent der Migranten, die an der Grenze in Passau gestellt werden, nach Österreich gebracht. Dort werden sie der Polizei in Schärding übergeben, wie David Furtner, Sprecher der Landespolizeidirektion Oberösterreich, dem STANDARD bestätigt: "Dabei stammen die meisten Personen aus dem Raum Ex-Jugoslawiens." Die Gründe für eine Rücküberweisung wären dabei vor allem das Fehlen eines biometrischen Reisepasses oder zu wenig Bargeld. "Die Betroffenen werden daraufhin aufgefordert, Österreich zu verlassen", sagt Furtner: "Dabei gibt es meistens keine Zwischenfälle."

734 in Tirol zurückgewiesen

Anders sieht die Zahlenlage in Tirol aus. Dorthin wurden heuer bis zum 10. Juni 734 Personen aus Deutschland zurückgewiesen. Meistens handelt es sich dabei um Treffer in der EU-Datenbank Eurodac, sagt Harald Baumgartner von der Fremdenpolizei Tirol zum STANDARD. In Österreich wird schließlich geprüft, ob ein Dublin-Verfahren eingeleitet oder die Person wieder in ihr Heimatland zurückgebracht wird. Das geschieht entweder, während sich die Person auf freiem Fuß befindet, oder sie wird bis zu sieben Tage in einem Polizeianhaltezentrum untergebracht. Die Entscheidung obliege dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, sagt Baumgartner. Insgesamt würden im Moment täglich etwa zehn Personen aufgegriffen werden – inklusive bis zu vier Personen aus Rückweisungen aus Deutschland. "Die Zahl ist momentan sehr niedrig", sagt Baumgartner.

Für Experten sind Grenzkontrollen, wie sie im Moment zwischen Deutschland und Österreich stattfinden, eine wichtige Voraussetzung für solche Zurückweisungen. Doch dauerhafte Kontrollen verstoßen gegen bestehendes EU-Recht. Die EU-Kommission hat immer wieder gemahnt, dass sie nur zeitlich begrenzt möglich sind.

Außerdem gilt für Asylsuchende an der Grenze die sogenannte Dublin-III-Verordnung. Das bedeutet, dass ein Schutzsuchender in dem Land Asyl beantragen muss, durch das er die Europäische Union zuerst betreten hat. Eine Rückschiebung in dieses Land kann aber nur nach einer Prüfung des Einzelfalls erfolgen. Hat ein Asylsuchender nämlich bereits Familie in Deutschland, darf er nicht mehr abgewiesen werden. Das Gleiche gilt für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.

Nicht mit EU-Recht vereinbar

Ein Land kann laut Dublin-Regelung auch selbst das Asylverfahren übernehmen. So hat Deutschland etwa im Vorjahr keine Schutzsuchenden mehr nach Ungarn zurückgeschickt, weil es Bedenken um die Sicherheit der Menschen gab.

Eine Rückweisung an der Grenze ist für Friedl Weiss, emeritierter Professor am Institut für Europarecht der Universität Wien, nur möglich, wenn ein Migrant keinen Asylantrag an Deutschland stellt. Stelle er ein Gesuch, müsse geprüft werden, in welchem EU-Land die Person zum ersten Mal registriert wurde, sagt Weiss im Gespräch mit dem STANDARD. Für solch eine Prüfung müsste er ins Land gelassen werden.

"Eine Ausnahme sind temporäre Grenzkontrollen", sagt Weiss. Aber selbst dann müsste das Dublin-Verfahren in Transitzonen an der Grenze durchgeführt werden. "Ungarn macht das aber nur an der EU-Außengrenze zu Serbien", sagt Weiss. Rückweisungen, wie sie von Seehofer geplant sind, seien laut Weiss nicht mit EU-Recht zu vereinbaren. Den Vorschlag nennt er eine "Geste der Ungeduld".

Die EU-Kommission müsste solch eine Regelung absegnen, würde sie doch europäische Rechtsvorschriften außer Kraft setzen, ist sich Thomas Groß, Professor für Europarecht an der Universität Osnabrück im Gespräch mit der Deutschen Welle sicher. Einem Sprecher der Brüsseler Behörde zufolge spricht sich die Kommission für bilaterale Abkommen aus. Die Kommission arbeite mit allen europäischen Partnern daran, den Boden für eine Lösung zu bereiten, die alle Beteiligten zusammenbringen soll, meldet die Nachrichtenagentur Reuters. Dabei stehe es allen Mitgliedsstaaten frei, sich dem Vorgehen anzuschließen.

Weniger Asylanträge in Deutschland

In Deutschland sind zwischen Jänner und April 2018 die Asyl-Erstanträge zurückgegangen, so das Bundesamt für Migration und Asyl vergangene Woche. 56.127 Anträge wurden in diesem Zeitraum gestellt. Im Vorjahr waren es zur selben Zeit 69.605 Erstanträge. Laut Medienberichten wurden im gleichen Zeitraum mehr als 21.500 Übernahmeersuchen an andere EU-Staaten gestellt, in 14.650 Fällen stimmten die Staaten zu, etwas mehr als 3000 Personen wurden in diese Länder zurückgesandt. Insgesamt wurden im Vorjahr 12.370 Menschen abgewiesen. Das lag vor allem am Fehlen eines gültigen Reisedokuments.

Insgesamt wurden im Vorjahr in der EU um 19 Prozent mehr Asylanträge abgewiesen als im Jahr 2016. Das belegen Zahlen des EASO, des European Asylum Support Office, wonach 534.330 negative Bescheide ausgestellt wurden. 2016 waren es 449.910. Vor allem in Spanien und in Österreich stieg die Zahl um 156 bzw. 118 Prozent. (Bianca Blei, 18.6.2018)