Macron bietet Merkel seine Unterstützung in der Asylfrage an, wenn Berlin einen vollwertigen Eurozonenhaushalt schluckt.

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Emmanuel Macron könnte über die deutschen Freunde verzweifeln. Ein Jahr lang wartete er nun schon auf eine Einigung in einer Frage, die für ihn höchste Bedeutung hat: die Schaffung eines eigenen Haushaltes für die Eurozone zur Bekämpfung nationaler Wirtschaftskrisen. Weil die Europartner im Krisenfall nicht einfach die Währung abwerten können, schlägt Macron einen gemeinsamen Geldtopf vor. Der soll Mitgliedstaaten überbrückend beistehen, aber von dem jeweiligen Nutznießerland wieder gefüllt werden, wenn die Krise einmal bewältigt ist.

Berlin will und kann sich dafür nicht begeistern. Schon im Mai 2017, als Macron in Paris in den Élysée-Palast einzog, wurde er mit Hinweis auf die Bundestagswahlen vertröstet, dann wegen der schwierigen Regierungsbildung. Auch danach spielte Angela Merkel auf Zeit, bis Macron die Geduld verlor. Erst jetzt bewegte sich Berlin. Nun scheinen der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire und sein deutscher Amtskollegen Olaf Scholz (SPD) einer Einigung nahe gekommen, am Sonntag waren dem Vernehmen nach nur noch "zwei, drei Punkte" offen.

Macron braucht eine Einigung

Wie substanziell die Einigung ausfallen wird, muss sich weisen: Deutsch-französische Differenzen werden in solchen Anträgen zuhanden des EU-Rates gerne mit ungenauen Formulierungen überspielt. Wie Merkel schon vor Tagen sagte, könnte sich ein solcher "Investivhaushalt" nur im "unteren zweistelligen Milliardenbereich" bewegen.

Für Macron ist es zuerst einmal wichtig, dass er überhaupt eine Einigung vorweisen kann: Die EU-Finanzreform hatte er schon im Wahlkampf versprochen, und seine Wirtschaftsberater flüstern ihm ein, dass zukünftige Krisen in der Eurozone einen Zinsanstieg bewirken und Frankreich (Staatsschuld: 2.200 Milliarden Euro) damit völlig aus der Bahn werfen könnten. Ein Eurozonenbudget ist deshalb ein wichtiger, wenn nicht der zentrale Bestandteil französischer Europapolitik.

Deutsche Regierungskrise setzt Frankreich unter Druck

Kurz vor Erreichen der Ziellinie stellt sich Macron aber ein neues Problem in den Weg – die Regierungskrise zwischen der CDU und der CSU. Sie zwingt nämlich die Franzosen, Druck von Merkel zu nehmen. Frankreichs Präsident sieht natürlich, dass die Kanzlerin innenpolitisch geschwächt ist; und er weiß, dass nicht nur die CSU, sondern auch die FDP kategorisch gegen jeden Finanztransfer sind. Deshalb kann er das Fuder nicht überladen – oder nur auf die Gefahr hin, dass er seine Partnerin in europäischen Angelegenheiten ganz verliert.

Und dieses Szenerio malen Merkels Berater gegenüber "Macronisten" offenbar auch an die Wand: Wenn ihr auf einer Transferunion via Eurozonenbudget besteht, so sagen sie gemäß Pariser Eingeweihten, dann würdet ihr Franzosen unseren Gegenspielern von der CSU – und FDP und AfD – nur ein weiteres Argument in die Hand spielen; die Kanzlerin könnte darob ihres Jobs verlustig gehen.

Paris muss deshalb einmal mehr auf die Bremse treten. Der neue und gemeinsame Haushalt der Eurozone könnte nicht nur umfangmäßig geschmälert, sondern stark verwässert werden. Zumal Berlin ein weiteres Argument anführt: Eine deutsch-französische Einigung muss erst noch die Hürde der EU-Räte nehmen, und nordeuropäische Eurozonenmitglieder wie die Niederlande haben am Wochenende verlauten lassen, dass sie ein Wörtchen mitreden wollen – gegen das Eurozonenbudget.

Politische Gegengeschäfte

Macron hat ein Gegenargument, das in Berlin auf offene Ohren stößt: Er bietet Merkel seine Unterstützung in der Asylfrage an, wenn Berlin einen vollwertigen Eurozonenhaushalt schluckt. Allzu sehr kann Macron diesbezüglich gar nicht auf Merkel zugehen: In Paris wird er von rechts selber kritisiert, er verhärte nur seine Worte und Gesetze gegenüber Migranten, nicht aber seine Taten. Frankreich weist zwar viele Asylgesuche ab, vollzieht aber kaum Ausweisungen. Das ist in etwa das Gegenteil von Deutschland, das mehr Zuwanderern Asyl gewährt, aber die Abgewiesenen auch bedeutend häufiger ausweist als Frankreich.

In Paris wirft die Opposition Macron vor, er sei auf der europäischen Bühne allem Anschein zum Trotz "isoliert" (so das Rechtsblatt "L'Opinion"). Aber auch auf europäischer Ebene ist Macron gar nicht so souverän, wie es seine glanzvollen Europareden und Auftritte glauben machen. Die Nordeuropäer sind aus finanzpolitischen Gründen gegen seine Vorschläge, und für die Osteuropäer ist das Gespann Merkel-Macron generell ein rotes Tuch.

All dies zeigt, wie komplex und vielschichtig das Verhältnis zwischen Paris und Berlin geworden ist. Und wie schwer sich Deutsche und Franzosen tun, heute noch gemeinsame Lösungen zu erarbeiten – und beim nächsten EU-Gipfel auch durchzubringen. (Stefan Brändle aus Paris, 19.6.2018)