Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) und BVT-Chef Peter Gridling beschäftigten sich am Wochenende mit der Ausspähung österreichischer Ziele durch den deutschen Bundesnachrichtendienst.

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Drei Schleusen muss man passieren, dann befindet man sich im Inneren der wichtigsten österreichischen Sicherheitsbehörde: im Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT). Das wurde in den vergangenen Monaten von Skandalen gebeutelt. Nun hat BVT-Chef Peter Gridling aber zugestimmt, über die Aktivitäten eines weiteren "Drei Buchstaben"-Dienstes zu reden: über die Ausspähziele des deutschen Bundesnachrichtendiensts (BND) in Österreich, die DER STANDARD und "Profil" vergangenen Freitag enthüllt haben.

Die Folgen waren eine Krisensitzung der Bundesregierung am Wochenende samt Pressekonferenz von Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Auch BVT-Chef Gridling war bei der Krisensitzung dabei.

STANDARD: War Österreich bewusst, dass der BND hier rund 2.000 Ziele ausgespäht hat?

Gridling: Diese Information hatten wir nie. Sowohl auf politischer als auch auf behördlicher Ebene wurde dazu 2014, als erste Berichte aufkamen, seitens Deutschlands keine Stellung genommen. Wir haben nie gehört: So und so viele Selektoren (Suchbegriffe wie E-Mail-Adressen, Anm.) betreffen Österreich. Diese Ziele sind nun offenbar Medien zugespielt worden.

STANDARD: Warum befinden sich so viele Unternehmen auf der Liste?

Gridling: Wirtschaftsspionage, also Ausspähen von wirtschaftlichen Geheimnissen, ist nach unserer Informationslage kein Zuständigkeitsbereich des BND, aber sehr wohl etwa die Einhaltung von Sanktionen. Man muss sich anschauen, welche Produkte die Unternehmen herstellen.

STANDARD: Ein Ausspähen unter Freunden: Ist das üblich?

Gridling: Mir ist es wichtig, dass eines klar wird: Es handelt sich um nachrichtendienstliche Aktivitäten des BND am Internetknoten in Frankfurt, über den ein Großteil des europäischen Internetverkehrs fließt, und an der Lauschstelle in Bad Aibling. Beide sind in Deutschland, nicht in Österreich.

STANDARD: Können Sie ausschließen, dass auch in Österreich Leitungen angezapft werden?

Gridling: Inhaltsüberwachung in Österreich kann nur aufgrund eines richterlichen Befehls stattfinden. Alles andere ist illegal und würde bei Bekanntwerden sofort Gegenstand von Ermittlungen. Aber bezüglich der aktuellen Medienberichte ist zu sagen: Das findet in Deutschland statt und basiert auf der deutschen Gesetzgebung. Das war auch der Gegenstand des U-Ausschusses im Deutschen Bundestag, dazu gibt es ja auch einen 1.800-Seiten-Bericht.

STANDARD: Dabei ging es doch um die Kooperation zwischen der amerikanischen NSA und dem BND?

Gridling: Die Amerikaner haben Selektoren an den BND übermittelt. Der ist auch erst im Zuge der Zeit draufgekommen, dass unter diesen Selektoren viele europäische Ziele drauf sind. Und unbestritten hat der BND auch eigene Ziele eingestellt.

STANDARD: Kann man als österreichische Behörde etwas dagegen unternehmen?

Gridling: Wir als Verfassungsschutz nicht, weil wir nur für Österreich zuständig sind. Wir haben keinen Auslandsaufklärungsauftrag. Wir interessieren uns für Dinge, die in Österreich konkret passieren. Wir sind ein Teil der österreichischen Polizei, der nicht über nachrichtendienstliche Mittel verfügt, beschaffen also nicht auf geheime Weise Informationen.

STANDARD: Bringt es dann überhaupt etwas, wenn die Staatsanwaltschaft ermittelt?

Gridling: Es ist die Frage, ob es solche Einrichtungen auch in Österreich gibt. Etwa die Gerüchte rund um die Überwachung auf Botschaftsdächern oder gegenüber der Uno. Das waren die Fragen, mit denen man sich beschäftigt hat – es gab ja Anzeigen, etwa vom Abgeordneten Peter Pilz.

STANDARD: Sie bezeichnen das als "Gerüchte", aber was ist jetzt mit den Zelten auf dem Dach der US-Botschaft, in denen sich Abhörgeräte befinden sollen?

Gridling: Manchmal ist es für uns nicht möglich, uns zu vergewissern. Ich kann ja nicht auf das Dach der US-Botschaft steigen. Ich kann auch nicht durch die Zelte dort durchschauen. Ich kann nur von dem, was sichtbar ist, rückschließen, was mit der Einrichtung möglich ist. Das versucht man im Rahmen der Gesetze zu ermitteln. Aber ich kann nicht in ein Gebäude gehen, das als Botschaft Extraterritorialität hat.

Auf Botschaftsdächern und gegenüber der Uno in Wien befinden sich merkwürdige Zelte und Hütten, die dem Ausspähen dienen sollen.
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STANDARD: Warum setzt der BND so stark auf elektronische Spionage?

Gridling: In Deutschland überwacht man Transitleitungen, etwa in Frankfurt, einem der größten Internetknoten. Dementsprechend viele Kabelverbindungen werden über Deutschland geleitet. Ich sage bewusst Transitleitungen. Nur weil die Transitleitung Wien–Luxemburg heißt, bedeutet das nicht, dass das Gespräch da aufhört und beginnt. Es kann auch in Japan beginnen und in den USA aufhören.

STANDARD: Oder in Vorarlberg beginnen und in Wien enden?

Gridling: Wie immer das technisch geroutet wird. Früher war das einfach: Man hat eine Leitung, und auf der ist man draufgesessen. Früher gab es keine paketvermittelten Gespräche – und heute suchen sich Maschinen aus, welche Strecke gerade schnell ist.

STANDARD: Was raten Sie einem von der Ausspähung betroffenen Firmenchef?

Gridling: Wenn du dich schützen willst, überlege, wie du verschlüsselt mit deinen Geschäftspartnern kommunizierst.

STANDARD: Und wenn er bereits abgehört worden ist?

Gridling: Dann soll er sich nach Deutschland wenden und bei deutschen Rechtsschutzeinrichtungen anfragen. Inwieweit der BND dann verpflichtet ist, das umfangreich zu beauskunften, das kann ich ad hoc nicht sagen.

STANDARD: Aber es ist schon so, dass es eine Zusammenarbeit zwischen dem BVT und dem BND gibt?

Gridling: Ja, selbstverständlich. In der Terrorismusbekämpfung ist es das Um und Auf. Früher etwa im Bereich Schlepperei. Dort, wo es unsere Zuständigkeiten betrifft, ist der BND natürlich auch ein Kooperationspartner.

STANDARD: Kann man ausschließen, dass Daten, die in Österreich illegal erlangt wurden, nach Österreich gehen?

Gridling: Der BND wird nicht zu uns kommen und sagen: "Wir haben da in Österreich illegal Daten erhoben und geben euch das jetzt." Wenn ich heute einen Bericht bekomme, dann kriege ich eine Substanz, aber nicht die Information, aus welchen Quellen dieser Bericht zusammengestellt ist.

STANDARD: Das heißt, man kann auch der deutschen Regierung glauben, dass sie nicht gewusst hat, dass Selektoren gegen EU-Partner im Einsatz sind, weil sie auch nur derartige Berichte erhält?

Gridling: Man muss sich auf das verlassen, was im Rahmen des deutschen U-Ausschusses festgestellt wurde: dass auch der BND erst im Laufe der Zeit mitbekommen hat, welche Selektoren etwa von den US-Amerikanern eingestellt wurde. Das war auch der Grund dafür, dass man das BND-Gesetz 2016 novelliert hat, um den Schutz der europäischen Institutionen und Bürger zu stärken.

STANDARD: Werden nun mehr Informationen ausgetauscht, etwa seit den Terroranschlägen von Paris 2015?

Gridling: Der Austausch ist schon ein umfangreicher, aber unterschiedlich zu den einzelnen Themen. Nicht jedes Thema ist für jeden Dienst gleich interessant. Bei der Terrorismusbekämpfung gibt es einen intensiven Austausch.

STANDARD: Kommt man schon ins Visier, wenn man in bestimmte Länder reist oder Verwandte im Ausland hat?

Gridling: Es ist immer die Frage, was wird in verschiedene Dinge hineininterpretiert. Wenn man ausländische Stipendiaten hat, die ganz ausgefallene Wissensrichtungen in Österreich studieren, dann kann es durchaus sein, dass diese Studenten aus dem Ausland eine Zielrichtung sind. Aber auch die Frage, ob ein absichtlicher oder ein unabsichtlicher Wissenstransfer stattfindet, wird untersucht. In Österreich gibt es in den Botschaften eine hohe Anzahl von nachrichtendienstlichen Mitarbeitern. Aber nicht jede solche Aktivität verstößt gegen heimische Gesetze.

STANDARD: Wird es in 15 oder 30 Jahren einen EU-weiten Geheimdienst geben, der Nicht-EU-Bürger ausspioniert?

Gridling: Das kann ich mir nicht vorstellen. Das ist nach wie vor eine Sache, die die Souveränität der Mitgliedstaaten betrifft. (Renate Graber, Fabian Schmid, 18.6.2018)