Große Fangflotten, die die Existenz der Haifische im Nordatlantik bedrohen, sollen auch bald mit dem MSC-Siegel lizenziert werden. Wilfried Huismann spricht in Wien und Graz über die umstrittene Zertifizierung.

Foto: Leo Hagen

Wien – Schauen Sie auf die Thunfischdose in Ihrem Regal. Mit höchster Wahrscheinlichkeit steht darauf ein blaues Siegel mit einem springenden Fisch. Dieses wird vom Marine Stewardship Council (MSC) vergeben und soll für einen umwelt- und tierfreundlichen Fischfang stehen: "Zertifizierte nachhaltige Fischerei" ist über dem blauen Fisch zu lesen.

Wenn es nach dem deutschen Journalisten und Filmemacher Wilfried Huismann geht, sieht die Realität oftmals anders aus. In seiner Doku "Köder im Kühlregal – Die dunkle Seite des Fischsiegels MSC", die er am Dienstag in Wien vorstellte, zeigt er mehrere Fälle, die auf einen systematischen Bruch mit jeglichen Tier- und Umweltschutzkriterien hinweisen. Die Produkte kommen dann mit MSC-Aufdruck ins Regal, obwohl dieser die Gefährdung von Ökosystem und Fischbeständen unterbinden sollte. Auch Greenpeace Österreich stuft das MSC-Siegel in seinem Gütezeichen-Guide als "absolut nicht vertrauenswürdig" ein.

MSC-Siegel beim Einkauf ein Faktor

Die Spurensuche beginnt in einem deutschen Supermarkt. Sofort stellt sich heraus: Die Konsumenten vertrauen dem kleinen blauen Siegel, es müsse irgendein Tierschutzverein dahinterstecken. Das MSC wurde 1997 tatsächlich vom WWF gemeinsam mit dem Großkonzern Unilever gegründet und gilt als gemeinnützige Organisation, die sich über Spenden, hauptsächlich jedoch über "Lizenzgebühren", die für jeden Siegelaufdruck einfließen, finanziert. Huismann kommt auf einen jährlichen Umsatz von 17 Millionen Euro nur durch die Lizenzen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Die Thunfisch-Fischerei ist ein zentrales Thema in der Doku. In Mexiko würden Thunfische sogar mit Hubschraubern und Schnellbooten gejagt.
Foto: Thierry Lannoy / OCEANA / dapd

Kann also eine Organisation, die de facto ein Geschäft mit Firmen betreibt und deren Vorstand zum Teil mit Firmenvertretern besetzt wird, unabhängig ihre Mission erfüllen? Für den Filmemacher lautet die Antwort ganz klar: nein. Er zeigt mehrere Fischfangaktionen, die umweltschädlich bis ganz klar illegal sind. Etwa die Grundschleppfischerei in der Ostsee, die den Meeresgrund in eine "Schlammwüste" verwandelt, die mexikanische Thunfischfischerei, bei der jährlich tausende Delphine ums Leben kommen sollen, oder der umstrittene Haifang im Nordatlantik. Die verantwortlichen Firmen stehen alle unter dem Schutz des MSC-Siegels.

Unterstützt das Siegel Großkonzerne?

Das MSC-Siegel unterstütze große Fischereiunternehmen dabei, ihren umstrittenen Fisch "wieder salonfähig zu machen", heißt es in der Doku. Laut MSC-Geschäftsführer Rupert Howes, ebenfalls von Huismann interviewt, ist es besser, so viele Betriebe wie möglich ins Programm zu involvieren, als nur die zehn besten. Das MSC will bis 2030 sein Siegel auf ein Drittel der gesamten Fischprodukte drucken.

Diese Politik sei nicht nur für die Umwelt und für die Fische schädlich, sondern auch für den Markt. Eine MSC-Lizenz koste so viel, dass die kleinen Betriebe schnell pleitegehen, erklärte Huismann am Dienstag. Ohne Lizenz ist es aber auch schwierig, denn die Menschen kaufen ungern Produkte ohne Siegel. Aus einer Idee, die ursprünglich gut war – MSC-lizenzierte Produkte waren zu Beginn teurer – sei ein Schutzsystem für Großkonzerne geworden: "Die Interessen von Zivilgesellschaft, Konsumenten und des Meeresschutzes sind beim MSC nicht mehr vertreten", so Huismann.

MSC stößt auf Widerstand

Eine Lösung für das Problem bietet die Dokumentation nicht. Huismann ging es darum, "die schöne Fassade aufzureißen". Nun solle jemand etwas dagegen unternehmen. Selbst beim WWF gebe es interne Untersuchungen gegen den MSC. Das Problem sei, dass auch der WWF durch Beratungen am Lizenzierungsprozess verdiene. In Deutschland sei es so weit gekommen, dass der WWF "gute" MSC-Produkte für umweltbewusste Handelsfirmen mit einem zusätzlichen Siegel zertifiziert. Ohne WWF gebe es für den MSC jedoch kein Weiterkommen.

Fisch esse Huisemann weiterhin. An der Nordsee – er wohnt in Bremen – gebe es noch gute Betriebe, die die Natur respektieren. Auch in der Doku zeigt er Fischer, die sich bewusst gegen das Siegel entscheiden und dagegen kämpfen, zum Beispiel die Vereinigung der galicischen Kleinfischer oder die Angelfischer der Azoren. Die EU-Fischereipolitik sei "gut", insbesondere bei den Kontrollen – MSC-Lobbyisten seien jedoch auch in den EU-Institutionen "massiv vertreten". (Francesco Collini, 19.6.2018)