Jugendbild einer Frauenrechtlerin und Deutschnationalen: Käthe Schirmacher, die eine Begabung für Selbstmarketing hatte.

Foto: Universitätsbilbiothek Rostock, NL Schirmacher

Sie war eine Frau, die man entweder bewunderte oder zutiefst verabscheute. Der gemäßigte Raum dazwischen war nicht die Welt der Käthe Schirmacher, und damit zwang sie auch ihre Zeitgenossen zu eindeutigen Positionierungen.

Als radikale Frauenrechtlerin und später dann völkische Politikerin war die 1865 in Danzig geborene Journalistin, Schriftstellerin und Vortragsreisende so etwas wie ein früher "Medienstar". Ihre Artikel erschienen in großen deutschen und französischen Zeitungen, und mit ihren Vorträgen etwa zur Gleichberechtigung der Frau konnte sie Säle füllen.

Dass sie auch selbst keine Zweifel an der eigenen Wichtigkeit hegte, belegen nicht zuletzt die rund 14.000 Briefe, die sie der Universitätsbibliothek Rostock nach ihrem Tod vermachte. "Sie hielt ihren Nachlass für historisch wertvoll", weiß Zeithistorikerin Johanna Gehmacher, die gemeinsam mit Elisa Heinrich und Corinna Oesch im Rahmen ihres vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Schirmacher-Projekts kürzlich eine Publikation über diese schillernde Persönlichkeit vorlegte.

Gut vermarktet

Wer war diese Frau mit dem unerschütterlichen intellektuellen Selbstbewusstsein, die zu einer Zeit Karriere machte, als selbst ihre noch nicht allzu zahlreichen gebildeten Geschlechtsgenossinnen ihre Bestimmung vor allem als Mutter und Ehefrau fanden? Als junge Frau ging Käthe Schirmacher zunächst wie viele andere Mädchen aus bürgerlichem Haus nach Paris, um ihr Französisch zu perfektionieren. Dass sie damit nicht ihre Heiratschancen zu verbessern gedachte, mussten die Eltern schon bald akzeptieren.

Käthe wollte nämlich etwas ganz anderes, etwas geradezu Unerhörtes – und sie setzte es auch mit größter Zielstrebigkeit durch. Sie studierte in Paris Germanistik und später in Zürich Romanistik, wo sie als eine der ersten Frauen sogar promovierte. Mit 26 brachte sie ihr erstes Buch, "Die Libertad", heraus, in dem sie die Lebenswege dreier gebildeter Frauen beschreibt.

"Zu dieser Zeit konnten Frauen in Europa kaum irgendwo studieren, dennoch hat Schirmacher in dieser Novelle den Typus der Studentin als Selbstverständlichkeit dargestellt", erklärt Johanna Gehmacher.

Begabung zum Selbstmarketing

Aber sie machte auch deutlich, wie es diesen Frauen in einer männerdominierten Welt ergeht: Die Künstlerin verhungert, die Lehrerin findet keine ihrer Ausbildung angemessene Stelle, nur die ins damals fortschrittliche Amerika ausgewanderte Juristin kann von ihrer Arbeit gut leben.

Obwohl Käthe Schirmacher ihr erstes Buch anonym publizierte, zeigte sich schon damals ihre Begabung zum Selbstmarketing: Sie verschickte zahllose Freiexemplare – auch an einflussreiche Persönlichkeiten.

15 Jahre hat sie danach in Paris gelebt und als Autorin und Korrespondentin unter anderem für die "Neue Freie Presse" geschrieben. Über Politik, aber immer wieder auch über die Forderungen der Frauenbewegung. Als international agierende Bildungspionierin hat sie sich in unterschiedlichen Ländern für Frauenrechte engagiert und war auch maßgeblich an der Gründung mehrerer Frauenverbände beteiligt.

"Es waren vor allem die eher radikalen Frauennetzwerke, denen sie angehörte", berichtet die Historikerin. Wer wie Schirmacher um 1900 "Lohn für Hausarbeit" forderte, befand sich vom Mainstream eben noch Lichtjahre entfernt. Einige Jahrzehnte später jedoch, in den 1970er-Jahren, wurde sie dafür von Feministinnen gefeiert.

"Sowohl zu ihrer Zeit als auch ein paar Generationen später war sie für viele Frauen ein Role-Model", verweist Johanna Gehmacher auf die nachhaltige Wirkmacht von Käthe Schirmacher. Auch der Umstand, dass sie niemals heiratete und zeitlebens ganz offen "intime Beziehungen zu Frauen" pflegte, trug zu einer gewissen Schirmacher-Renaissance beziehungsweise der Vereinnahmung ihrer Person in den 1970ern bei.

Die andere Seite

Während sie ihrer Zeit in puncto Frauenrechte weit voraus war, schwamm sie mit ihrem zweiten großen Lebensthema allerdings mitten im bildungsbürgerlichen Mainstream: Käthe Schirmacher war nämlich nicht nur in der Frauenfrage radikal, sondern ab der Jahrhundertwende zunehmend auch in ihrer völkischen Haltung.

Ihre Erfahrungen und Ambitionen als Abgeordnete zur Nationalversammlung der Deutschnationalen Volkspartei schrieb sie in der Autobiografie "Flammen" nieder. "Für die deutschnationale Bewegung in der Weimarer Republik war das ein wichtiges Buch", weiß Gehmacher.

Eine radikale Feministin, die gleichzeitig völkische, rassistische und antisemitische Ansichten vertritt und verbreitet? Für Schirmacher selbst war das offenbar kein Problem, wohl aber für die sehr unterschiedlichen Gruppierungen, in denen sie jeweils eine wichtige Rolle spielte. "In der Frauenbewegung, in der es vor allem nach 1918 auch viele Pazifistinnen gab, kam ihr völkisches Engagement natürlich schlecht an", sagt Johanna Gehmacher.

In der Deutschnationalen Volkspartei wiederum habe man sich wegen ihrer frauenrechtlerischen Ambitionen von ihr distanziert. "Trotz all dieser Schwierigkeiten ist es ihr erstaunlich lange gelungen, gleichzeitig die unterschiedlichsten Räume zu bespielen", berichtet die Historikerin. Zwar habe sie sehr bewusst die für das jeweilige Publikum geeigneten Themen ausgewählt, aber ihre Haltungen habe sie niemals angepasst. "Nicht käuflich zu sein war ihr immer wichtig."

Umfangreiches Material

Und was hat die drei Forscherinnen so sehr an Käthe Schirmacher interessiert, dass sie sich jahrelang mit ihr beschäftigten? "Für mich verkörpert sie eine durch und durch moderne Figur, in der sich die großen gesellschaftlichen Strömungen und Veränderungen spiegeln, die Europa um 1900 und in den folgenden Jahrzehnten geprägt haben", erklärt Johanna Gehmacher. "Dass sie sich in einer hochdynamischen Zeit auch selbst dynamisch verhält, ist ein Aspekt dieser Modernität. Auch ihr Bemühen, sich auf dem Markt der Meinungen zu behaupten."

Seit ihrem Tod 1930 wurde viel über Käthe Schirmacher geschrieben, wobei man allerdings meist nur einzelne Aspekte ihres Wirkens herausgegriffen hat. "Das Neue an unserer Herangehensweise ist, dass wir von unseren jeweiligen Forschungsinteressen ausgehend erstmals eine breit aufgefächerte biografische Perspektive entwickelt haben", sagt die Historikerin.

Ein großer Forschungsanreiz war wohl auch das umfangreiche Material, das Käthe Schirmacher in kluger Voraussicht ihrer Nachwelt hinterlassen hat. Und das zu durchforsten war nicht nur historisch spannend, sondern auch recht lustvoll, denn "die Schirmacher war eine spitzzüngige und pointierte Schreiberin, die es verstand, die Dinge auf den Punkt zu bringen". (Doris Griesser, 22.6.2018)