Nachhaltigkeit im Kleinen: Gemeinschaftsgärten in der Stadt

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Ökologie und Ökonomie gehen immer Hand in Hand, sagt die Wirtschaftswissenschafterin Sigrid Stagl.

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Nicht weniger als 3800 Tonnen antarktisches Eis schmelzen pro Sekunde – so lautete das Ergebnis neuester Studien letzte Woche. Alarmierende Zahlen wie diese sind mittlerweile oft zu hören. Die Frage "Wie kann man den Klimawandel aufhalten?" ist längst nicht mehr nur mit dem Plan zur Emissionsreduktion zu beantworten. Hier müssen weit mehr Faktoren zusammenspielen. Sigrid Stagl ist Leiterin des Instituts für ökologische Ökonomie an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien. Sie entwickelt Modelle, die umweltfreundliche wirtschaftliche Praktiken fördern.

STANDARD: Was verbindet Ökologie und Ökonomie?

Sigrid Stagl: Es ist ganz klar, dass Ökonomie nur dann funktionieren kann, wenn die Umwelt funktioniert. Seit 20 Jahren frage ich Studierende, ob sie mir eine ökonomische Aktivität nennen können, die keine Umweltwirkung hat. Die beste Antwort, die ich bekommen habe, war "massieren". Nun hat das zwar keine direkten Emissionen, aber dann muss man sich fragen, wie der Masseur angereist ist oder woraus die Liege gemacht ist. Der Punkt ist: Es gibt immer Umweltauswirkungen, wenn Menschen ökonomisch tätig sind.

STANDARD: Wie kann man Ihr Fach dann von herkömmlicher Ökonomie trennen?

Stagl: Gar nicht. Ich würde es auch gerne nur Ökonomie nennen. Der Job eines Ökonomen ist, die Lebensgrundlage der Menschen zu sichern. Aber wir sind gerade dabei, die Umwelt so zu verändern, dass das unsere Lebensgrundlage ganz klar gefährdet.

STANDARD: Vor zehn Jahren haben Sie weltweit das erste Doktorat in ökologischer Ökonomie bekommen. Fehlte bis dahin das Bewusstsein für diese Fragestellungen?

Stagl: Es war zwar das erste Doktoratsprogramm, aber die Urväter des Faches waren die klassischen Ökonomen. Sie hatten das Verständnis, dass man ohne Land nicht produktiv sein kann. Dann kam eine industrielle Orientierung hin zu Arbeitskraft und Maschinen und ersetzte die Landwirtschaft als Quelle der Produktivität. Nur hat man auf das Land ganz vergessen. Es ist uns erst wieder eingefallen, als die Problemlage im Umweltbereich gravierend war, und wir gemerkt haben, dass die Konzepte der herkömmlichen Ökonomie nicht ausreichen.

STANDARD: Was hindert Staaten und Unternehmen aus ökonomischer Sicht daran, nachhaltig zu agieren?

Stagl: Da kommen mehrere Aspekte zusammen. Auf der einen Seite haben wir Institutionen und Gesetze, die großteils entstanden sind, als die Problemlage noch anders war. Damals waren die, die Probleme verursacht haben, auch die Leidtragenden. Bei Klimawandel und Biodiversitätsverlust ist das anders: Treibhausgase vermischen sich, und alle sind gleichermaßen betroffen. Wir wissen zwar, dass es besser ist, weniger Ressourcen zu verwenden, weil es auch weniger kostet. Nur hat man auch unsere Regelwerke nicht schnell genug angepasst: Es ist nicht klar genug, wessen Verantwortung es ist, CO2 zu reduzieren. Das Dilemma: Wenn man als Individuum etwas tun möchte, hat man einerseits das Gefühl, sich einen Nachteil einzuhandeln, und gleichzeitig, dass es auf das System kaum Auswirkungen hat. Das ist entmutigend. Aber es ist erstaunlich, wie viele Menschen und Unternehmen es gibt, die sich trotzdem bemühen.

STANDARD: Kann denn diese Veränderung nur innerhalb eines kapitalistischen Systems funktionieren?

Stagl: Wir brauchen nicht um den heißen Brei herumzureden: Es geht ganz handfest um ökonomische Interessen. Wenn wir alle fossilen Energievorkommen verbrennen, dann sind wir in einem höchst unerquicklichen Klimaszenario. Und das muss man verhindern. Gleichzeitig sind das sehr wertvolle Ressourcen, die Leuten und Unternehmen gehören, die nicht einfach freundlicherweise zustimmen werden, 80 Prozent davon nicht zu nutzen. Deswegen braucht es Regulierungen.

STANDARD: Wie könnten diese Regulierungen aussehen?

Stagl: Eine Studie, die ich sehr schätze, zeigt, dass wir unser Kohlenstoffbudget alle zehn Jahre halbieren müssten, und dann von dem niedrigen Niveau wieder und wieder, um bis 2050 an unser Ziel zu kommen. Die ersten 50 Prozent mögen vielleicht dramatisch wirken, aber es gibt da sehr viele tiefhängende Früchte. Vor kurzem hat mir zum Beispiel ein Solarinstallateur erzählt, dass Sonnenkollektoren heute nur ein Zehntel von dem kosten, was sie vor sieben Jahren gekostet haben. Die absurde Situation ist, dass sie heute weniger gekauft werden, weil es damals mehr Subventionen gab, um die wir uns noch gestritten haben. Jetzt, wo die Paneele so billig sind, dass wir die Subventionen nicht mehr brauchen, gibt es plötzlich weniger Nachfrage.

STANDARD: Sie haben vor kurzem eine sogenannte Multikriterienanalyse entwickelt, die helfen soll, schwierige Entscheidungen in puncto Nachhaltigkeit zu treffen. Wie funktioniert das?

Stagl: Die Multikriterienanalyse ist ein mathematischer Algorithmus, der ursprünglich in den 70er-Jahren für Produktionsplanung eingesetzt wurde. Ausgangspunkt ist eine Matrix mit Optionen und Kriterien, bei der die einzelnen Optionen paarweise nach verschiedenen Kriterien verglichen werden. Wir haben das übernommen und nützen es beim Vergleich von Optionen, zum Beispiel bei erneuerbaren Energietechnologien. Es geht darum, mehrere Kriterien zu berücksichtigen, die teilweise miteinander in Konflikt stehen, und am Schluss eine Reihung zu haben, die systematischere und transparentere Entscheidungen unterstützen kann.

STANDARD: Entscheidungen, bei denen herkömmliche Kosten-Nutzen-Rechnungen offenbar zu kurz kommen?

Stagl: Genau. Häufig geht es da um ethische Probleme, etwa den Wert von Spezies. Oft wurde da ein monetärer Wert darübergestülpt, aber dann kommen Fragen auf wie der Wertunterschied zwischen Arten, die uns Nahrungsmittel liefern, und denen, die für uns keinen unmittelbaren Wert haben. In der Multikriterienanalyse kann man die Dimensionen in den Einheiten belassen, in denen sie anfallen, sprich CO2-Emissionen in Tonnen oder Landverbrauch in Hektar. Wir können so Regierungen bei Energieszenarien beraten.

STANDARD: Wie würde ein ideales Unternehmen in einer nachhaltigen Wirtschaft aussehen?

Stagl: Ich glaube, es geht nicht um einen Entwurf, sondern darum, verschiedene Wege wertzuschätzen. Natürlich kann man auf erfolgreiche Beispiele schauen, wie wir sie mit Unternehmen wie Eis-Greissler oder Sonnentor auch in Österreich haben. Das sind Firmen, die umweltfreundlich produzieren, regionale Ressourcen nützen und eine Logik der Regeneration haben. Sie entnehmen Ressourcen in einem Ausmaß und einer Geschwindigkeit, bei der sich das System wieder regenerieren kann. Die Frage ist also, welche ökonomischen Institutionen und Regelwerke es braucht, um so ein regeneratives Wirtschaften zu ermöglichen. Wir haben gesehen, dass nur zu reduzieren nicht immer mehrheitsfähig ist. Die Menschheitsgeschichte hat uns aber auch gezeigt, dass uns immer etwas Neues eingefallen ist, sobald es was zu tun gab. Darum mache ich mir keine Sorgen. Aber es braucht Regeln, die Unternehmen und Haushalte dazu anregen, sich etwas Neues einfallen zu lassen – und die schädliche Praktiken überflüssig machen. (Katharina Kropshofer, 24.6.2018)