Um 7 Uhr morgens herrscht bereits geschäftiges Treiben rund um den berühmten Tsukiji-Fischmarkt mitten in Tokio. Unzählige Lieferwagen stehen an dem Gelände, um Ware abzuholen und sie auszuliefern. Die Fischhändler haben die wichtigste Arbeit bereits vor Stunden erledigt. Die Auktion, die täglich um 4 Uhr startet, fand heute wieder unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Generell scheint man hier wenig erfreut zu sein über den Besuch nicht kaufkräftiger Klientel, schaut man in die grimmigen Gesichter der Händler. Seit einiger Zeit ist der Markt nur noch Käufern mit Zugangsberechtigung vorbehalten. Joji Hattori hat trotzdem eine Genehmigung erhalten und wird diese heute noch einige Male streng dreinschauenden Sicherheitskräften vorweisen.

Der bekannte Dirigent und Spross einer der einflussreichsten Familien Japans betreibt seit mehr als drei Jahren den Edeljapaner Shiki in der Wiener Innenstadt, der erst kürzlich mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde. Hattori steht in seinem Restaurant zwar nicht selbst am Herd, die Leidenschaft für gutes Essen und ausgezeichnete Produkte begleitet ihn aber seit seiner Kindheit.

Irina Thalhammer fotografierte einen Kombu-Fond im vegetarischen Sternerestaurant Daigo in Tokio.
Foto: Irina Thalhammer

Diesmal ist er nicht nur in seine Geburtsstadt gekommen, um alte Bekannte zu besuchen. Der Unternehmer ist auf der Suche nach neuen Inspirationen und Produkten. Dazu zählen auch die unzähligen unterschiedlichen Algen, die in Japan nicht nur eine lange Tradition haben, sondern auch Grundnahrungsmittel sind. Hierzulande weiß man wenig über das essbare Seegras und bekommt es in Asialäden oft nur in durchschnittlicher Qualität.

Dabei ist gerade die Kombu-Alge verantwortlich für jenen Geschmack, den wir Umami nennen. Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckte Ikeda Kikunae an der Universität von Tokio den fünften Geschmack und fand heraus, dass Umami durch Glutamat entsteht. Dieses Glutamat findet man in natürlicher Konzentration unter anderem in Kombu-Algen, weshalb sie wichtiger Bestandteil unzähliger Speisen sind.

Kombu ist die wichtigste Algenart in Japan und wird meistens getrocknet in Streifen verkauft.
Foto: Irina Thalhammer

Mindestens genauso wichtig in der japanischen Küche ist aber Fisch, weshalb Joji Hattori als Erstes den Tsukiji-Markt, den größten Fischmarkt der Welt, besuchen möchte. "Wir dürfen die Fischhändler bei ihrer Arbeit nicht behindern. Und bitte lassen Sie Ihr Handy lieber in der Tasche. Wenn wir uns nicht an die Regeln halten, sind wir ganz schnell wieder draußen", sagt Hattori beim Frühstück in einem kleinen Laden direkt neben dem Markt.

Die frische Aalsuppe – natürlich mit Kombu-Fond – ausgeschlürft, geht es auf das weitläufige, über 230.000 Quadratmeter große Gelände. Man muss vorsichtig sein, will man nicht von einem der tausenden kleinen Lieferwagen überfahren werden, die hier durch die schmalen Gänge brausen.

Hattori bleibt an einem Stand stehen, an dem ein Mitarbeiter gerade eine Bestellung am Telefon entgegennimmt. Drei seiner Kollegen tragen inzwischen einen riesigen Thunfisch herein und legen ihn auf ein Holzbrett. Hattoris Augen funkeln: Feinsäuberlich werden die Augen des Fischkopfs, in der Größe einer Handsemmel, herausgetrennt und der restliche Fisch in Filets zerteilt. "Das ist beste Thunfischqualität. Frischer geht es nicht", sagt Hattori.

Am Tsukiji-Fischmarkt in Tokio besorgen die Sushi-Meister ihre Rohstoffe dafür.
Foto: Irina Thalhammer

Kontrolle ist besser

Um sich von der Qualität der Fische zu überzeugen, kommen einige Spitzenköche selbst auf den Markt. Auch Junpei Ono war heute bereits hier, um frischen Fisch für den Abend zu kaufen. In seinem Sushi-Restaurant in Shibuya gibt es gerade einmal 14 Sitzplätze, die meistens bis auf den letzten Platz ausgebucht sind.

Im Sushiy Ono serviert er ein traditionelles Omakase-Menü. Das bedeutet, der Sushi-Meister entscheidet, was und wie viel er serviert. Für Joji Hattori hat er etwas ganz Besonderes besorgt: Stolz präsentiert der Koch eine Schüssel mit Tako Tamago, einem riesigen, braun glänzenden Oktopus-Ei, das er in einer Mischung aus Soja und Zuckersirup gekocht hat. "Das gibt es nur zu besonderen Anlässen", sagt Ono, bevor er es in kleine Stückchen zerteilt und serviert. So etwas hat selbst der genussaffine Hattori noch nicht gegessen.

Gespannt sitzt er an der langen Theke, um dem Sushi-Meister auf die Finger zu schauen. Was nun folgt, gleicht einer Oper. "Wir sollten nicht so viel miteinander sprechen. Das wäre unhöflich dem Koch gegenüber", sagt Hattori, während Ono immer wieder unterschiedliche Teller und Schüsselchen aus den Kästen der steril wirkenden Küche holt. Darauf drapiert er unter anderem gegrillten Aal, frische Abalone mit Leber oder Bonito in einer Zwiebel-Soja-Marinade.

Irgendwann hört man auf, die unzähligen Gänge zu zählen. "Es braucht ungefähr zehn Jahre, bis man ein guter Sushi-Meister ist. Man muss nicht nur die Anatomie jedes Fisches kennen, sondern mit Kunden kommunizieren. Schließlich steht man in der Auslage und muss Gäste unterhalten", erklärt Ono.

Gut gewickelt

Auch im Sushiy Ono spielt die Alge eine wesentliche Rolle. Junpei Ono wickelt beispielsweise frischen Seeigel in ein Nori-Blatt oder beizt ein Stück Goldbrasse in Kombu. Neben Kombu gehört auch Nori zu den wichtigsten Algensorten in Japan. Fast die Hälfte der jährlich zehn Millionen Tonnen geernteten Algen ist Nori. Die leicht süßlich schmeckende Rotalge ist den meisten vor allem als Maki-Hülle im Sushi-Restaurant bekannt.

Über eine Million Nori-Blätter produziert Kazuhiko Kurokawa in einem Jahr. In Yokohama betreibt der Unternehmer eine überraschend kleine Produktionsstätte direkt am Wasser. Hier werden zwischen November und April die geernteten Nori-Algen mit dem Boot angeliefert und direkt verarbeitet.

Bei der Ernte hilft die ganze Familie mit. "Es ist keine leichte Arbeit, bei Minusgraden im kalten Wasser Seegras zu ernten", sagt Kurokawa. Die Algen wachsen auf riesigen Netzen, die im Wasser liegen. "Wir müssen die Netze aus dem Wasser holen und die Algen herunter lösen."

Danach kommen sie in eine Art Waschmaschine, um sie vom Schmutz zu befreien. Nach dem zweiten Waschgang werden die Algen in einem überdimensionalen Wolf zerkleinert. Schließlich wird der Algenbrei in einer riesigen Maschine portioniert, in Formen gepresst und getrocknet. Bevor die trockenen Nori-Blätter verpackt und in die ganze Welt verschickt werden, röstet sie Kurokawa noch kurz über Feuer.

Nori-Blätter werden in quadratische Formen gepresst und getrocknet.
Foto: Irina Thalhammer

Kontrolle ist besser

Nachdem Joji Hattori bereits in der Früh nach Yokohama gereist ist und die unterschiedlichen Nori-Blätter verkostet hat, gibt er eine Großbestellung bei Kurokawa für sein Restaurant auf. "Die Blätter aus der November-Ernte sind die besten", erklärt Kazuhiko Kurokawa, als er durch seinen kleinen Laden führt, der direkt an die Produktionsstätte angeschlossen ist.

Wieder zurück in Tokio geht es in den bekanntesten Kombu-Laden der Stadt. Katsuyoshi Suita ist eine nationale Größe und betreibt das Geschäft in fünfter Generation. Gerade sind ein paar junge Japaner in seinem Geschäft, die Selfies mit dem Algenexperten machen wollen, nachdem sie ihn im Fernsehen gesehen haben.

Es gibt kaum eine Algenart, die man nicht in Suitas Geschäft findet. Der Fokus liegt hier aber klar auf Kombu. "Auch bei Kombu-Algen gibt es große Unterschiede. Die Qualitätsstufen werden von einer Fachjury festgelegt. Dementsprechend unterschiedlich sind die Preise der Algen", sagt Suita. Rund 90 Prozent der in Japan verkauften Kombu-Algen stammen aus kultiviertem Anbau. Ein Großteil davon wird vor den Küsten von Hokkaido gezüchtet.

Die Nori-Blätter werden meistens für Sushi-Rollen, zum Beispiel mit frischem Seeigel, verwendet.
Foto: Irina Thalhammer

In Suitas Geschäft gibt es Kombu unter anderem als hauchdünn aufgeschnittene und kandierte Süßigkeit, eingelegt als Salat oder als salzige Knabberei. Der Verkaufsschlager ist aber getrockneter Kombu, ist er doch Grundlage für viele Gerichte und quasi der Suppenwürfel der japanischen Küche. Das wird auch beim Besuch eines traditionellen Oden-Restaurants deutlich.

Bei der Zubereitung von Oden werden unterschiedliche Zutaten wie Tofu, Aal oder Ei in einer Dashi-Brühe mit Kombu gekocht. Im Restaurant Kombu Ya wird täglich ein neuer Fond angesetzt, in dem dann den ganzen Tag über die köstlichsten Gerichte gegart werden.

Ähnlichkeiten

"Jeder denkt, dass die japanische Küche extrem speziell ist. Dabei ist vieles der westlichen Küche sehr ähnlich. Statt Rindssuppe verwendet man eben hier einen Fond aus Algen. Das Prinzip ist aber das gleiche", sagt Hattori. Dass Algenfonds auch ohne tierische Einlage hervorragend schmecken können, merkt man, wenn die ersten Gänge im Spitzenrestaurant Daigo serviert werden. Das vegetarische Restaurant in Tokio ist mit zwei Michelin-Sternen bewertet und zelebriert die Alge in jeder erdenklichen Form.

Gegessen wird traditionell in einem Tatami-Raum mit Blick auf einen Zen-Garten. Für Joji Hattori ist der Besuch im Daigo ein Muss bei jedem Tokio-Besuch und ein würdiger Abschluss seiner Japan-Reise. Mit vielen Ideen und noch mehr Algen im Gepäck fliegt er zurück nach Wien, um seinen Köchen von der Reise zu berichten. Die geschmackliche Vielfalt der Algen wird es ab sofort als Gruß aus der Küche in seinem Restaurant geben. "In Österreich müssen wir noch viel über japanische Küche lernen. Ich denke, das ist eine ganz gute Möglichkeit." (Alex Stranig RONDO, 22.6.2018)

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Die wichtigsten japanischen Algensorten

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Nori: Nori wird meistens aus Rotalgen hergestellt. Die Algen werden getrocknet und geröstet. Die getrockneten Blätter werden vor allem für Sushi-Rollen verwendet.

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Kombu: Kombu ist fest und schmeckt intensiv. In Japan wird er vor allem als Suppengrundlage verwendet. Man bekommt ihn getrocknet in Streifen oder als Pulver.

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Wakame: Wakame ist eine Braunalge mit transparent-grünen Blättern. Die Alge hat einen guten Biss und wird oft als Salat oder als Einlage für Misosuppe verwendet.

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Hijiki: Hijiki-Algen sehen aus wie kleine Suppennudeln. Sie schmecken leicht süßlich und können für Suppen und Salate verwendet oder im Wok gebraten werden.