Das Begehren, auch die Privilegien heterosexueller Paare genießen zu können, ist groß. Die Kritik an der Institution Ehe generell ist indessen sehr leise geworden.

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Bei der rechtlichen Gleichstellung von homosexuellen Menschen hat die Regierung keine Eile: Während Türkis-Blau in sozialpolitischen Fragen und bei der geplanten Ausweitung der Höchstarbeitszeit auf Tempo setzt, wird die Umsetzung der Ehe für alle auf die lange Bank geschoben. Die "Auswirkungen des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs" würden aktuell "analysiert", antwortete Justizminister Josef Moser kürzlich auf eine parlamentarische Anfrage der Neos, eine "umfassende Reform des Ehe- und Partnerschaftsrechts" sei nicht geplant.

Auch wenn die Regierung die Frist verstreichen lässt: Ab 1. Jänner 2019 werden in Österreich sowohl die Ehe als auch die eingetragene Partnerschaft homo- und heterosexuellen Paaren offenstehen. "Zuerst einmal finden wir es im höchsten Maße beschämend, dass der Beschluss der Gleichstellung nicht aus dem Parlament gekommen ist, sondern der Verfassungsgerichtshof die Politik zu diesem Schritt hat zwingen müssen", sagt Lui Fidelsberger, Obfrau der Homosexuellen Initiative (Hosi) Wien. Überrascht von dieser "Verzögerungstaktik" ist sie dennoch nicht: "Die jetzige rechtskonservative Regierung thematisiert in ihrem Programm andere Lebens- und Liebesformen sowie Geschlechtsidentitäten mit keinem Wort", sagt Fidelsberger zum STANDARD.

Endlich "Ja" sagen

Für Ulrike K. und Katharina F. bedeutet das: noch länger warten. Seit August 2017 sind die beiden verlobt, geplant war erst eine eingetragene Partnerschaft. Ulrikes Eltern, die die Beziehung ihrer Tochter zumindest akzeptiert hatten, reagierten ablehnend auf die geplante Verpartnerung. "Nachdem wir uns nach langem Hin und Her endlich dazu durchgerungen hatten, den Schritt ohne unsere Familien zu gehen, kam der Spruch des Verfassungsgerichtshofs", erzählt Katharina F., die als Theaterpädagogin in Wien arbeitet. Statt der eingetragenen Partnerschaft will das Paar nun in Österreich heiraten, den vorübergehenden Plan, einander in Deutschland das Jawort zu geben, haben sie verworfen. "Wer weiß, welche bürokratischen Hürden damit auf uns zukommen könnten. Ich gehe davon aus, dass es uns die Regierung möglichst schwermachen will", sagt Ulrike.

Auch bei einer Beratungsstelle legte man ihnen nahe, den Jänner 2019 abzuwarten. Der Wunsch, eine Ehe einzugehen, ist für die beiden jungen Frauen, die auch queer-feministisch aktiv sind, im Grunde neu. "Für mich war die Ehe Symbol eines historisch gewachsenen Unterdrückungssystems, ich habe immer gesagt: Heiraten ist nichts für mich", erinnert sich Katharina F. In der Beziehung zu Ulrike kamen dann aber nicht nur romantische, sondern auch ganz praktische Überlegungen auf: "Wir sind Partnerinnen und wohnen zusammen, sind rechtlich aber überhaupt nicht abgesichert."

Wenig kontrovers

Als politische Forderung hat die Ehe für alle an Brisanz verloren. Der Wunsch nach Teilhabe an den Privilegien, die bisher heterosexuellen Paaren vorbehalten waren, wird vielerorts selbst von konservativen PolitikerInnen unterstützt, im Pride-Monat Juni feiern AktivistInnen, Parteien und Unternehmen "Vielfalt unter dem Regenbogen". Slogans wie "Love Is Love" oder "Love Wins" zielen auf die gesellschaftliche Anerkennung homosexueller Liebe und die Akzeptanz der Ehe für alle – die auch innerhalb der LGBTI-Community (Lesben, Schwule, Bi-, Trans-, Inter-Personen) nicht unumstritten ist. Die Kritik an der Institution Ehe ist allerdings leiser geworden. "Man kann vielleicht sogar sagen: Die Kritik ist gegessen. Das Begehren nach Gleichstellung in der Community war einfach zu groß", sagt Marty Huber, langjährige Aktivistin und Mitbegründerin der Queer Base, die LGBTI-Personen unterstützt, die nach Österreich geflüchtet sind.

Huber ist keine vehemente Ehegegnerin, aber sie sieht kritisches Potenzial, das verlorengegangen sei. "Es wäre interessant gewesen, mit mehr Selbstbewusstsein eine Alternative zu entwickeln. Die jetzige Gleichstellung bedeutet letztendlich auch eine Anpassung an ein klassistisches und rassistisches System", sagt die Theaterwissenschafterin. Große Hürden gibt es etwa nach wie vor für binationale Paare: Österreichische StaatsbürgerInnen, die mit Drittstaatsangehörigen verheiratet sind, müssen ein Mindesteinkommen nachweisen, damit ihre PartnerInnen eine Niederlassungsbewilligung bekommen. 1.334,17 Euro netto plus Miete waren es im Jahr 2017 – was Frauen angesichts der massiven Einkommensunterschiede ganz besonders trifft, kritisiert der Verein Ehe ohne Grenzen.

Widerständige Lesbe

Eine Fundamentalkritik an der Ehe und der bürgerlichen Kleinfamilie, die Frauen auf die Mutterrolle festschreibe und gesellschaftlich isoliere, hat in feministischen Bewegungen eine lange Tradition. "Die Kleinfamilien-Problematik hat sich seit den 70er-Jahren nicht grundsätzlich verändert. Die Qualität der Auseinandersetzung mit ihr sehr wohl. Während heute die Frage von Alternativen nicht einmal in Diskursen aufscheint, war für die 68er und wenig später die Frauenbewegung klar: So wollen wir nicht leben", schreiben die Autorinnen im kürzlich erschienenen Buch "Zündende Funken" über die Wiener Frauenbewegung der 1970er-Jahre – und vergessen dabei aktuelle Debatten um Polyamorie und andere alternative Lebens- und Beziehungsformen. Dass sich eine andere Problematik sehr wohl verändert hat, macht ein im Buch zitierter Text aus der feministischen Zeitschrift "AUF" deutlich: Eine Lesbe ist ein Monster, heißt es darin. "Eine Frau, die in Eigenregie arbeitet, lebt, liebt. Ein Monster in einer Gesellschaft, die (um überhaupt funktionieren zu können) von Frauen verlangt, dass sie sich durch den Mann identifizieren", schreibt eine anonyme Autorin 1976.

Wenn Marty Huber heute an die Repräsentation von Lesben denkt, fallen ihr eher fürsorgliche Mütter ein. "Durch das öffentlich stark präsente Thema der Regenbogenfamilien sind Lesben vor allem als Paare mit Kindern sichtbar geworden – was auch wieder etwas darüber erzählt, wie und wo Sichtbarkeit für Frauen und Lesben möglich ist", sagt die Aktivistin. Zugleich seien Lesben hier gegenüber schwulen Paaren privilegiert – homosexuelle Frauen würden als weniger "bedrohlich" wahrgenommen. Schwulen Männern biete die Ehe für alle nicht zuletzt gesellschaftliche Legitimation entgegen dem Vorwurf der Promiskuität.

Vermögensgemeinschaft

Aber auch in ökonomischer Hinsicht tut sich ein Gender-Gap auf. "Es gibt aus feministischer Sicht immer noch ausreichend Gründe, diese Beziehungsform im Kern zu kritisieren", sagt Andrea Ludwig, Leiterin der Rechtsdurchsetzung beim Klagsverband und stellvertretende Vorsitzende im Verein Die Juristinnen. Österreich ist einer der letzten Staaten Europas, in dem im Scheidungsrecht noch das Verschuldensprinzip gilt. Probleme würden sich hier besonders für Frauen ergeben, die in einer sogenannten Versorgerehe gelebt haben und im Alter auf eine Witwenpension angewiesen sind. "Es besteht nämlich nur dann ein Anspruch auf die volle Witwenpension, wenn die Ehe wegen tiefgreifender unheilbarer Zerrüttung nach mehrjähriger Trennung geschieden wurde", erklärt die Juristin. Lesbische Paare mit Kindern benachteilige hingegen etwa das Abstammungsrecht. Kinder erwerben die österreichische Staatsbürgerschaft mit der Geburt, wenn die Mutter österreichische Staatsbürgerin ist. Sind die Eltern verheiratet, wird die Staatsbürgerschaft hingegen auch erworben, wenn nur der Vater österreichischer Staatsbürger ist.

"Mit der Öffnung der Ehe ist es also gerade für Frauen und lesbische Paare nicht getan. Es braucht umfassende Reformen, die jedenfalls das Familien-, Sozial- und Abstammungsrecht umfassen müssen", so das Resümee von Juristin Andrea Ludwig.

Für Ulrike und Katharina, die im kommenden Jahr heiraten werden, sind Kritikpunkte an der Ehe wichtig und legitim – aktuell möchten sie sich aber so rechtlich absichern, wie das auch Hetero-Paare können. Und dann ist da noch die rechtskonservative Regierung, die die Ehe-Öffnung eigentlich lieber nicht umsetzen würde. "Irgendwie denke ich mir da: jetzt erst recht", sagt Katharina. (Brigitte Theißl, 24.6.2018)