Oxford – Lange Zeit galt die Clovis-Kultur als Wurzel aller späteren indigenen Völker auf dem amerikanischen Kontinent. Ihre Angehörigen sollen die ersten Menschen gewesen sein, die vor mehr als 13.000 Jahren vom Norden her über die Landbrücke Beringia in das neue Land vorstießen. Zahlreiche Funde der vergangenen 25 Jahren belegen allerdings, dass die Besiedelungsgeschichte Amerikas doch etwas komplizierter war, und in vielen Aspekten immer noch Rätsel aufgibt: Ausgrabungen unter anderem in Texas, Oregon, Alaska und sogar Chile brachten so etwa Gebeine und Artefakte ans Licht, die auf eine Jahrtausende frühere Einwanderung durch andere Kulturen schließen lassen.

Eine plausible Einordnung der Clovis-Kultur wird vor allem auch durch den Umstand erschwert, dass es mit einer Ausnahme keine menschlichen Überreste gibt, die man dieser Kultur eindeutig zurechnen kann – und selbst dieses einzige bekannten Clovis-Grab war in Fachkreisen bislang umstritten.

Der Begräbnishügel an der Anzick-Ausgrabungsstätte im Westen von Montana enthielt das bisher einzige bekannte Clovis-Skelett.
Foto: Texas A&M University

Umstrittenes Kinderskelett

Das später unter der Bezeichnung Anzick-1 bekannt gewordene Skelett eines ein- bis zweijährigen Knaben war 1968 bei Bauarbeiten im Westen von Montana zunächst eher unsachgemäß freigelegt worden. In seiner Umgebung fanden die Wissenschafter später mehr als 100 Werkzeuge aus Stein und Hirschgeweih, die in der Tradition bekannter Clovis-Funde standen. Und es war der erste prähistorische Ureinwohner Amerikas, dessen Genom genauer untersucht wurde.

Damit bildete Anzick-1 alsbald einen Eckpfeiler vieler Theorien über die Herkunft und Ausbreitung des Menschen auf dem amerikanischen Doppelkontinent – gleichwohl immer begleitet von Skepsis, denn die ursprüngliche Datierung der Knochen lieferte unklare Ergebnisse. Während die Beifunde ein Alter von 13.000 Jahren ergaben, schien das Skelett gleich mehrere Tausend Jahre jünger zu sein. Grund genug, viele Schlussfolgerungen aus diesem Fund in Zweifel zu ziehen.

Die Werkzeuge von der Anzick-Stätte passen in die Clovis-Tradition.
Foto: Texas A&M University

Sorgfältig gereinigt

Nun ist es jedoch einem Team um Lorena Becerra-Valdivia von der University of Oxford gelungen, diesen Streit endgültig beizulegen: Die Archäologin und ihre Kollegen nahmen sich Anzick-1 und die in der Nähe gefundenen Werkzeuge noch einmal vor und unterzogen sie einer erneuten Radiokarbondatierung. Zuvor wurden die Fundstücke penibel von nachträglichen Verunreinigungen befreit, die das Resultat hätten verfälschen können.

Das im Fachjournal "Pnas" vorgestellte Ergebnis untermauert die bisherigen Annahmen und korrigiert damit gleichzeitig die ursprünglichen, konfusen Datierungen: Sowohl die Artefakte als auch die Gebeine des Kindes stammen aus dem selben Zeitabschnitt vor 13.000 Jahren. Ursache der früheren Fehldatierungen dürften jüngerer Kohlenstoffisotope gewesen sein, die die damaligen Proben kontaminiert hatten.

Mit dieser Studie erhalten auch die bisherigen genetischen Analysen mehr Gewicht, die unter anderem ergaben, dass die Clovis-Kultur indirekt zwar mit südamerikanischen Indigenen verwandt ist, nicht jedoch mit den heute noch in Nordamerika lebenden Ureinwohnern. (tberg, 20.6.2018)